Immanuel Wallerstein - Rasse, Klasse, Nation

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Was ist die Spezifik des gegenwärtigen Rassismus? Wie lässt sie sich mit dem Kapitalismus und den Widersprüchen des Nationalstaats verknüpfen? Wann artikulieren sich Konflikte zwischen den Klassen rassistisch? Und sind hier noch andere als ökonomische Strukturen im Spiel? Diesen Fragen gehen Étienne Balibar und Immanuel Wallerstein in diesem Grundlagenwerk der Rassismustheorie nach. Sie belegen, dass die Konflikte zwischen den Klassen noch in andere als nur ökonomische Strukturen eingebunden sind; die Widersprüchlichkeit des Rassismus zeigt sich in der Formierung nationaler und ethnischer Identitäten ebenso wie in der zweideutigen Wirksamkeit herrschender Ideologien.

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Étienne Balibar

Immanuel Wallerstein

Rasse, Klasse Nation

Ambivalente Identitäten

Deutsch von Michael Haupt und Ilse Utz

Rasse Klasse Nation - изображение 1

Argument Verlag

Zum 30-jährigen Jubiläum dieses im Dialog zwischen Balibar und Wallerstein entstandenen, weltweit rezipierten »Meilensteins in der kritischen Analyse des Rassismus« initiiert das Haus der Kulturen der Welt (Berlin) ein Forschungsprojekt zur Rezeptionsgeschichte und eine internationale Tagung.

Titel der französischen Originalausgabe:

Race, Nation, Classe. Les identités ambiguës

© Éditions La Découverte, 1988

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

Neuausgabe mit leicht geändertem Satzbild, Paginierung gegenüber früheren Ausgaben geringfügig abweichend

Alle Rechte der deutschen Fassung vorbehalten

© Argument Verlag 1990

Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg

Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020

www.argument.de

ISBN 978-3-86754-858-8

Sechste Auflage 2017

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

Inhalt

Unseren Freunden

Mokhtar Mokhtefi und Elaine Klein

Vorwort

Étienne Balibar

Die in diesem Band zusammengefassten Aufsätze, die wir dem französischen Leser gemeinsam vorstellen möchten, sind persönlich erarbeitete Beiträge, für die jeder von uns die Verantwortung übernimmt. Aber die Umstände haben aus ihnen Elemente eines Dialogs gemacht, der sich in den letzten Jahren intensiviert hat und den wir heute wiedergeben möchten. Das ist unser Beitrag zur Klärung einer brennenden Frage: Was ist die Spezifik des heutigen Rassismus? Wie lässt sie sich mit der Klassenspaltung im Kapitalismus und den Widersprüchen des Nationalstaats verknüpfen? Inwiefern zwingt uns das Phänomen des Rassismus wiederum zu einem Überdenken des Nationalismus und der Klassenkämpfe? Mit dieser Fragestellung wollen wir auch einen Beitrag zu einer umfassenderen Diskussion leisten, die seit mehr als zehn Jahren im »westlichen Marxismus« geführt wird, und wir können nur hoffen, dass sich dieser genügend erneuern wird, um auf der Höhe seiner Zeit zu sein. Natürlich ist es kein Zufall, dass dies eine internationale Diskussion ist, dass sich in ihr die philosophische Reflexion mit der historischen Synthese und der Versuch der Entwicklung einer neuen Begrifflichkeit mit der Analyse von politischen Problemen verbindet, die heute (besonders in Frankreich) mehr als drängend sind. Das ist zumindest die Überzeugung, die wir Anderen vermitteln möchten.

Man erlaube mir einige persönliche Hinweise. Als ich Immanuel Wallerstein 1981 zum ersten Mal traf, kannte ich bereits den (1974 erschienen) ersten Band seines Werkes The Modern World-System, hatte den zweiten jedoch noch nicht gelesen. Ich wusste folglich nicht, dass er mir dort eine »theoretisch bewusste« Darstellung der »traditionellen« marxistischen Theorie bezüglich der Periodisierung der Produktionsweisen zugeschrieben hatte. Diese Periodisierung setzt die Manufakturperiode mit einer Periode des Übergangs und den Beginn der eigentlichen kapitalistischen Produktionsweise mit der industriellen Revolution gleich. Dem stehen Auffassungen entgegen, die, um den Beginn der Moderne zu markieren, einen zeitlichen »Einschnitt« vorschlagen, der entweder bei 1500 liegt (die europäische Expansion, die Schaffung des Weltmarkts) oder bei 1650 (die ersten »bürgerlichen« Revolutionen und die wissenschaftliche Revolution). Vor allem wusste ich nicht, dass ich in seiner Analyse der Hegemonie Hollands im siebzehnten Jahrhundert einen Ansatzpunkt finden würde, um Spinoza (mit seinen revolutionären Zügen, die sich nicht nur auf die »mittelalterliche« Vergangenheit, sondern auch auf die zeitgenössischen Tendenzen bezogen) in die merkwürdig atypischen parteipolitischen und religiösen Kämpfe der Zeit einzuordnen (mit ihrer Mischung aus Nationalismus und Kosmopolitismus, Demokratismus und »Furcht vor den Massen«).

Wallerstein wusste wiederum nicht, dass ich seit Beginn der siebziger Jahre infolge der durch unsere »Strukturalistische« Lesart des Kapital ausgelösten Diskussionen und um gerade den klassischen Aporien der Periodisierung zu entgehen, die Notwendigkeit erkannt hatte, die Analyse der Klassenkämpfe und ihrer Auswirkungen auf die Entwicklung des Kapitalismus in den Rahmen der Gesellschaftsformation und nicht nur der Produktionsweise zu stellen, die als ein idealer Durchschnitt oder ein invariantes System betrachtet wurde (was eine völlig mechanistische Strukturkonzeption ist). Daraus folgte einerseits, dass der Gesamtheit der historischen Aspekte des Klassenkampfes ein bestimmender Einfluss auf die Konfiguration der Produktionsverhältnisse zuzuschreiben war (einschließlich der Aspekte, die Marx mit dem mehrdeutigen Begriff »Überbau« bezeichnet hatte). Andererseits bedeutete dies, dass im Rahmen der Theorie die Frage nach dem Raum aufgeworfen wurde, in dem die Reproduktion des Verhältnisses Kapital-Arbeit (oder der Lohnabhängigen) stattfand; dabei war der ständige Hinweis von Marx mit Inhalt zu füllen, dass der Kapitalismus die Internationalisierung der Akkumulation und der Proletarisierung der Arbeitskraft impliziert, während es gleichzeitig galt, die Abstraktion des undifferenzierten »Weltmarktes« zu überwinden.

Auch hatten mich die Entwicklung der spezifischen Kämpfe der Arbeitsimmigranten in Frankreich in den siebziger Jahren und die Schwierigkeit ihrer Übersetzung ins Politische sowie die These von Althusser, der zufolge jede Gesellschaftsformation auf der Kombination von mehreren Produktionsweisen beruht, zu der Überzeugung gebracht, dass die Spaltung der Arbeiterklasse kein sekundäres oder residuelles Phänomen, sondern ein strukturelles (was nicht heißen soll: invariantes) Charakteristikum der heutigen kapitalistischen Gesellschaften ist. Es bestimmt sämtliche Perspektiven der revolutionären Veränderung und selbst der täglichen Organisierung der sozialen Bewegung. 1 1 Ich muss an dieser Stelle erwähnen, dass u. a. die Forschungen von Yves Duroux, Claude Meillassoux und Suzanne de Brunhoff über die Reproduktion der Arbeitskraft und die Widersprüche der »Lohnform« einen entscheidenden Einfluss auf diese Überlegungen gehabt haben. 2 Wie es Wallerstein vor allem in Der historische Kapitalismus (Hamburg, Argument Verlag, 2. Aufl. 1989, S. 65ff.) darlegt. 3 Meines Erachtens wird durch diesen Gesichtspunkt auch die Perspektive einer »Konvergenz« der »antisystemischen Bewegungen« in Zweifel gezogen (zu denen Wallerstein zugleich die sozialistischen Bewegungen der Arbeiterklasse und die nationalen Befreiungsbewegungen, den Kampf der Frauen gegen den Sexismus und den Kampf der unterdrückten – insbesondere dem Rassismus ausgesetzten – Minderheiten zählt; sie alle sind potenzieller Teil einer einzigen »Weltfamilie der systemfeindlichen Bewegungen«, Der historische Kapitalismus, a.a.O., S. 96): denn diese Bewegungen erscheinen mir nicht als untereinander »zeitgemäß«, als bisweilen unvereinbar, an universelle, aber unterschiedliche Widersprüche gebunden, mit sozialen Konflikten verknüpft, die in verschiedenen »gesellschaftlichen Formationen« ungleich gewichtet sind. Ich sehe ihre Verdichtung zu einem einzigen historischen Block nicht als eine langfristige Tendenz, sondern als ein durch die Umstände bedingtes Zusammentreffen, dessen Dauer von politischen Innovationen abhängig ist. Das gilt zu Allererst für die »Konvergenz« von Feminismus und Klassenkampf: es wäre interessant, sich zu fragen, warum es praktisch nur in den gesellschaftlichen Formationen eine »bewusste« feministische Bewegung gegeben hat, in denen es auch einen organisierten Klassenkampf gab, wenngleich sich diese beiden Bewegungen niemals hätten verbinden können. Liegt das an der Arbeitsteilung? Oder an der politischen Form der Kämpfe? Oder am Unbewussten des »Klassenbewusstseins«? 4 Ich verwende im Französischen lieber den Begriff embourgeoisement anstelle des von Wallerstein benutzten Begriffs bourgeoisification, obwohl der Ausdruck möglicherweise mehrdeutig ist (ist sie eigentlich so sicher? So wie sich die Militärs aus zivilen Kreisen rekrutieren, stammen die Bürger in der x-ten Generation aus nichtbürgerlichen Kreisen).

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