Eine weitere erwähnenswerte Nachsuche absolvierte Strolch ein Jahr später auf einen Überläufer, den meine Mutter ihrem Bericht zufolge abends in einem Erbsenschlag krankgeschossen hatte. Am nächsten Morgen nehmen wir bei reichlichem Büchsenlicht die Suche auf. Am Anschuss finden wir Inhalt vom Weidsack 4und so ist es sicher, dass die Sau einen Weidwundschuss hat. Diesmal führe ich den Hund. Strolch liegt gut im Riemen und hält sicher die anfangs gut sichtbare Schweißfährte. Immer weniger Tropfen finden sich und bald sind wir nur noch auf die Nase des Hundes angewiesen. Der führt zunächst durch einen großen Roggenschlag, dann durch eine noch größere forstliche Versuchsfläche, an deren Umzäunung die Sauen schon erfolgreich gearbeitet haben und dann weiter durch Hochwald bis zu einer aufgelassenen kleinen Tongrube. Hier wird der Riemen plötzlich locker und die Sau geht vor mir ab. Den Hund schnallen und die Flinte in Anschlag bringen, sind eins. Die Sau nimmt den kleinen bellenden weißen Hund anscheinend nicht ernst und stellt sich in Sichtweite. Sobald ich den Wildkörper frei habe, bringe ich den Fangschuss an. Vor uns liegt aber kein Überläufer, sondern ein mindestens dreijähriger Keiler, der später 90 Kilogramm auf die Waage bringt.
Strolch mit dem von ihm nachgesuchten Keiler
Eine seiner letzten Nachsuchen macht Strolch im Alter von neun Jahren. Auf der Feldmark hatte der Landwirtschaftsbetrieb am Rande eines Getreideschlages einen schmalen Streifen mit Mais bestellt. Dieser Mais muss wohl vergessen worden sein, denn er steht Ende September noch immer und wird gern vom Rot- und Schwarzwild angenommen. Mein Moped habe ich gut 300 Meter entfernt an einer Windschutzhecke abgestellt. In einem Wildbirnenbaum in der Nähe des Maisstreifens habe ich mir einen Ansitz eingerichtet, aus dem sich eine gute Rundumsicht bietet. Bei noch gutem Büchsenlicht wechselt ein Alttier mit seinem Kalb in den Maisstreifen. Ich konzentriere mich auf das Kalb, das ich mit einem sicheren Blattschuss erlege. Erst, als es liegt, mache ich mir Gedanken darüber, wie ich es bis zu meinem Moped bekommen soll. Denn ich will das Stück weder an Ort und Stelle aufbrechen, noch zur Bergung mit dem Moped heranfahren. Zu verlockend ist dieser kleine Maisschlag für das Wild und ich will die Stelle vor dem nahenden Vollmond nicht verstänkern. So komme ich auf die Idee, mir das starke Kalb auf den Rücken zu laden und es quer über den bereits geschälten Acker mindestens 300 Meter weit bis zu meinem Moped zu tragen. Bereits nach der Hälfte der Strecke bin ich fix und fertig. Ich ahne aber, dass ich das Stück wohl nicht mehr auf den Rücken bekommen werde, wenn ich es erst einmal abgelegt habe. So bleibt mir nichts anderes übrig, als eine Weile stehend zu verschnaufen und mich den Rest des Weges zu quälen. Am Moped angekommen, lasse ich das Kalb vom Rücken gleiten. Gefühlt eine viertel Stunde brauche ich, um wieder zur mir zu kommen.
Am nächsten Abend sitze ich wieder in meinem Birnbaum und hoffe auf Anblick. Der Mond ist schon lange am Himmel, als gegen Mitternacht vom Wald aus kommend ein einzelnes Stück Schwarzwild auf den Mais zuwechselt. Auf den Schuss hin ruckt es deutlich sichtbar zusammen, um dann mit immer kürzer werdenden Fluchten den Wald anzunehmen. Eine Nachsuche noch am selben Abend verbietet sich allein schon deshalb, weil das Stück über die nahegelegene Grenze in das Nachbarrevier geflüchtet ist. Damals gab es noch keine Handys und ich muss ohnehin erst nach Hause, um den zuständigen Jagdleiter zu informieren. Da ich an einem Sonntag nicht in aller Herrgottsfrühe dort anrufen will, fahre ich zunächst am frühen Morgen gemeinsam mit meiner Mutter ins Revier. Bei bereits gutem Licht untersuchen wir den Anschuss. Die Pirschzeichen deuten auf einen Weidwundschuss hin. Ich lege Strolch zur Fährte und er führt uns sicher bis an die Grenze zum Nachbarrevier. Nun ist erst einmal Schluss mit unserer Suche. Meine Mutter bleibt zurück und ich fahre ins nächste Dorf, wo der Jagdleiter wohnt. Nach längerem Klingeln und Klopfen erscheint er schlaftrunken am Fenster und gibt mir sein Einverständnis für die weitere Nachsuche. Bald bin ich zurück und nun geht es auf der Wundfährte zügig weiter. Nach kaum mehr als 100 Metern bricht das schwer-kranke Stück aus einem Ginstergebüsch vor uns hoch und es gelingt mir, den Fangschuss anzubringen.
Es läuft mir noch heute kalt den Rücken hinunter, wenn ich an diese Nachsuchen denke. Wir waren zwar immer zu zweit, aber mit dem Mut der Unerfahrenen haben wir, meine Mutter und ich, uns mehrmals in unnötige Gefahr gebracht. Doch es war nicht leicht, damals einen Hundeführer mit einem firmen Hund und der erforderlichen Zeit zur Nachsuche zu bekommen. Andererseits war es für uns selbstverständlich, die Nachsuche sobald wie möglich zu beginnen.
Strolch war auf all meinen Pirschgängen und Ansitzen dabei. Er war für mich ein zuverlässiger und angenehmer Begleiter und hat mir nie Sorgen bereitet. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern ist er mir auch nie abhanden gekommen.
Wir kommen auf den Hund
In den Jagdgesellschaften hatte die Zucht und Haltung leistungsgeprüfter Jagdhunde inzwischen einen hohen Stellenwert erlangt. Jeder Jäger, der die Möglichkeit zur Haltung eines Jagdhundes hatte, wurde dazu angeregt, sich Gedanken über den Erwerb eines Hundes zu machen. Meine Eltern holten sich aus dem renommierten Rauhaarteckelzwinger „vom Eichhof“ einen Rüden und später dann noch eine Hündin. Bei vielen Gelegenheiten konnte ich mich von den jagdlichen Leistungen der Teckel überzeugen. Meine sehr tierliebe Frau brauchte ich nicht zu überreden und so kam es, dass ich mir bei einem längeren Bildungsaufenthalt in Beeskow, wo der Zwinger beheimatet war, bei vielen Besuchen einen Welpen aussuchen konnte.
„Die Kleinen sind die Feinen“sagte mir die Züchterin Lieselotte Eichhoff und ich wählte einen dunkelsaufarbenen zierlichen, aber putzmunteren Rüden aus. Einen Namen durften wir selbst auswählen und da er im „U“-Wurf gewölft worden war, nannten wir unseren ersten zukünftigen Jagdhund „Utz“ oder richtiger „Utz vom Eichhof“.
Lieselotte Eichoff, von allen liebevoll Tante Lotte genannt
Nach Abschluss meiner Weiterbildung brachte ich den Welpen stolz mit nach Hause. Da wir zur Miete wohnten und keine Möglichkeiten für den Bau eines Zwingers bestanden, bekam er seine Wohnung unter einer Truheneckbank in unserer Küche. Dieses spartanische, aber praktische Möbel der 1960-er Jahre hatte unter beiden Sitzflächen jeweils ein Fach, das nach dem Hochklappen der Sitzfläche zugänglich war. Den Boden eines Faches nahm ich heraus und baute aus Hartfaserplatten und Leisten eine Kiste, die genau unter die Eckbank passte. So hatte der Hund durch eine Öffnung in der Stirnseite den ganzen Raum unter Kontrolle und wir konnten, ohne selbst auf dem Bauch zu liegen, seine Schlafdecke und mancherlei Kinderspielzeug aus seiner Hütte herausholen. Diese Hütte diente uns später als Krankenkiste; sie wird noch eine Rolle in einem weiteren interessanten Erlebnis mit Utz spielen.
Von unserer Jagdgesellschaft bekam ich einen zinslosen Kredit in Höhe von 100,00 DDR-Mark, das waren 50 % des Kaufpreises, für drei Jahre unter der Bedingung zur Verfügung gestellt, dass ich den Hund ordentlich führen, ausbilden und zu den erforderlichen Prüfungen führen würde. Innerhalb von drei Jahren musste der Hund auf einer Prüfung das Prädikat „Leistungsgeprüfter Jagdgebrauchshund“ erworben haben, andernfalls hätte der Kredit zurück gezahlt werden müssen.
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