Anna Maria Sigmund - Tatort Genfer See

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Anarchistische Gewalt wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Schrecken der bürgerlichen Welt. „Kein Stein soll auf dem anderen bleiben!“, lautete eine Parole. Anschläge mit Gift, Dolchen und Bomben gegen Monarchen und Präsidenten erschütterten Europa. In der langen Liste anarchistischer Morde wurde Kaiserin Elisabeth das erste weibliche Ziel. Die unglückliche Frau Franz Josephs starb gleichsam stellvertretend, als Symbolfigur des Hauses Habsburg. Dabei lebte sie zurückgezogen, spielte in der Politik keine Rolle und galt als scharfe Kritikerin von Adel und Kirche. Anna Maria Sigmund „ermittelt“ anhand des Obduktionsberichtes und anderer Quellen mit kriminalistischem Spürsinn zu den Tatumständen und zeichnet ein packendes Bild der narchistischen Szene im „Jahrzehnt der Bomben“.

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Gewidmet Monika Rabel in dankbarer Erinnerung Das Gl - фото 1 Gewidmet Monika Rabel in dankbarer Erinnerung Das Glück das die Menschen - фото 2

Gewidmet Monika Rabel in dankbarer Erinnerung

картинка 3

Das Glück, das die Menschen innerhalb der Wahrheit suchen, steht unter tragischen Gesetzen. Wir leben am Rande eines Abgrunds von Not und Schmerz, den die Lüge der menschlichen Gesellschaftsmoral gegraben. Es ist die Kluft zwischen unserem jetzigen Zustand und jenem, in welchem wir uns befinden sollten. Eine Kluft bleibt immer eine Kluft. Sobald wir sie überschreiten wollen, stürzen wir ab und zertrümmern.

Kaiserin Elisabeth am 20. März 1892 in Paleokastrizza auf Korfu

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Ich bin Anarchist!

Eine Obduktion im Grand Hôtel

Die Reise ins Verderben

Im Zeichen der schwarzen Fahne

Luigi Luchenis Weg zum »Anarchisten der Tat«

Glamour und Angst – Leben im Schatten der Gefahr

Prominente Opfer und ihre Mörder

War Lucheni Einzeltäter oder Auftragskiller?

Ein gefährliches Staatsbegräbnis

Ein Mordprozess und seine Folgen

Der Mörder und die Kaiserin

Epilog

Ausgewählte Literatur

Die Autorin

Ich bin Anarchist Die Ermordung der Kaiserin Elisabeth von Österreich am 10 - фото 4

Ich bin Anarchist!

Die Ermordung der Kaiserin Elisabeth von Österreich am 10. September 1898 durch den italienischen Wanderarbeiter Luigi Lucheni erregte internationales Aufsehen. Eine Welle der Empörung richtete sich gegen den Täter, der sich stolz brüstete: »Ich bin Anarchist!«

Den Zusammenhängen zwischen dem Anarchismus und dem Drama von Genf ist bislang nur wenig Beachtung geschenkt worden. Vielmehr wurde Elisabeths Tod meist als singuläres Ereignis betrachtet, als zufällige, tragische Verkettung von Umständen. Die Kaiserin war aber nicht das zufällige Opfer eines fanatischen Einzelnen. Sie war vielmehr in ein gnadenloses Räderwerk geraten, dem sich der junge Lucheni zugehörig fühlte und dem er begeistert diente.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich die Bewegung der Anarchisten radikalisiert. Diese suchten ihre theoretisch formulierten Ziele – Abschaffung aller Staaten, Beseitigung aller Amtsträger, Erlösung der Menschen von jeder Autorität – durch die »Propaganda der Tat« zu erreichen: mit Gift, Dolchen, Pistolen und Bomben. »Kein Stein darf auf dem anderen bleiben!«, war das Motto der Anhänger der »Schwarzen Bewegung«, die in allen Kontinenten ihre Blutspuren zogen. Die Zahl der ermordeten Monarchen, Präsidenten und Politiker ging in die Hunderte. Die Berichte über anarchistische Terroranschläge füllten die Zeitungen und wurden mit Schrecken gelesen. Den Nährboden für die Anhänger des Anarchismus bildeten die großen sozialen Probleme des Maschinenzeitalters im 19. Jahrhundert, in dem Teile der Bevölkerung verarmten, während gleichzeitig enorme Vermögen entstanden.

Kaiserin Elisabeth erlebte eine Periode großer Spannungen, den rasanten Aufstieg des Bürgertums, das nach Demokratie rief, und das Entstehen großer politischer Parteien, den neuen Trägern der Macht. Die Monarchin erkannte die Zeichen der Zeit. Voll Sarkasmus kommentierte sie in ihren Schriften die sich an Titel und Privilegien klammernde, im Abstieg begriffene Aristokratie. Sie schrieb vom »Adel, der auf der faulen Haut liegt« und sagte das Ende des Habsburgerreichs vorher.

In den Augen der Öffentlichkeit führte die schöne Kaiserin ein beneidenswertes Leben voll Glanz, Glamour und Luxus. Dieses war jedoch überschattet von enormen, überall drohenden Gefahren. Offizielle Auftritte wie die Besuche in Venedig, Mailand und Triest wurden von wütenden Protesten begleitet. Die vielen Attentate auf bekannte und befreundete Herrscher erforderten zunehmend größere Sicherheitsvorkehrungen, die von der Kaiserin jedoch abgelehnt wurden. Obwohl die Erinnerung an den Mordversuch an Kaiser Franz Joseph unvergessen blieb, forderte seine Gattin das Schicksal mit Reisen in gefährliche Gegenden und auf einsamen Wanderungen immer wieder neu heraus.

Elisabeth selbst wurde das Opfer eines Stellvertretermords. Im Gegensatz zu den Lügen von Luigi Lucheni – er gab als ursprünglichen Kandidaten den Prinzen d’Orléans an – hatten sich seine anarchistischen Auftraggeber zur Ermordung der Kaiserin entschlossen, um damit Kaiser Franz Joseph einen schweren Schlag zu versetzen. Es war der erste Anschlag, der sich gegen die völlig unpolitische Gattin eines Monarchen richtete. Selbst das Begräbnis der Kaiserin gedachte man noch als Schauplatz für ein weiteres Attentat zu nutzen – Anarchisten machten sich mit Bomben auf den Weg nach Wien. Der geplante Mord am italienischen Thronfolger sowie ein Blutbad unter den Trauergästen wurde von der aufmerksamen österreichischen Polizei verhindert. Nicht verhindert werden konnte die Flut von Gratulationen, die Sympathisanten dem Mörder Lucheni in das Évêché-Gefängnis von Genf sandten. Dieser zeigte während seiner Haft zwar keine Reue, beschäftigte sich aber immer mehr mit seinem Opfer. Er vermutete bei Elisabeth »kongeniale« anarchistische Gedanken sowie Todessehnsucht und freute sich, die Monarchin von ihrem vermeintlichen Leid erlöst zu haben.

Die Tragödie von Genf hatte nicht zuletzt internationale Folgen: In Rom fand noch 1898 eine große Konferenz zum Kampf gegen den Anarchismus statt – die hier getroffenen Beschlüsse zur polizeilichen Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg markieren die Anfänge von Interpol.

Im Bewusstsein der Nachwelt leben Opfer und Täter in sehr unterschiedlicher Weise fort. Während die Kaiserin zu einer weltweit bekannten, vielfach kontroversiell diskutierten Kultfigur geworden ist, hat man ihren Mörder beinahe vergessen. Nur in manch anarchistischen Kreisen genießt Lucheni noch immer Verehrung.

EINE OBDUKTION IM GRAND HÔTEL

Die sterbende Kaiserin wird vom Schiff getragen Lithografie 1898 Ich weiß es - фото 5

Die sterbende Kaiserin wird vom Schiff getragen. Lithografie, 1898.

Ich weiß es mir auch nicht auszudenken, dass sie auf gewöhnliche Art aus dem Leben scheiden könnte, nachdem sie in das reale Leben nicht hineingehört. Ihre Lebensatmosphäre ist eine andere als diejenige, wo wir atmen.

Constantin Christomanos, Lehrer und Vorleser der Kaiserin Elisabeth, 1892

Am10. September 1898 gelangte das berühmte Grand Hôtel Beau-Rivage in Genf durch eine Tragödie in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit. Diese war von der Art, wie sie jeder Hotelbesitzer fürchtet und zu verheimlichen sucht – der Tod eines Gastes im eigenen Haus. Geheimhaltung war im vorliegenden Fall allerdings unmöglich, da es sich um die Kaiserin von Österreich handelte.

Der Ort des Todes das Luxushotel BeauRivage in Genf Bereits einen Tag - фото 6

Der Ort des Todes: das Luxushotel Beau-Rivage in Genf.

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