Klaus Vater
Brandt-Gefahr
Der 29. Kappe-Fall
Kriminalroman
Jaron Verlag
Klaus Vater, geboren 1946, studierte Politische Wissenschaften, bevor er ab 1972 als Redakteur arbeitete. Ab 2000 war er Pressesprecher zunächst des Bundesarbeitsministeriums, später des Bundesgesundheitsministeriums, schließlich stellvertretender Sprecher der Bundesregierung. Vater schrieb diverse Sachbücher zum Arbeitsmarkt und zum wirtschaftlichen Strukturwandel. Für seinen Jugendkriminalroman «Sohn eines Dealers» erhielt er 1992 den Jugendbuchpreis «Emil». In der Reihe «Es geschah in Berlin» erschien von ihm bereits «Am Abgrund» (2011). Er schreibt regelmäßig für den Blog «Carta», das Magazin «Cicero» und die Zeitschrift «Berliner Republik».
Originalausgabe
1. Auflage 2017
© 2017 Jaron Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
www.jaron-verlag.de
Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin
Satz: Prill Partners|producing, Barcelona
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017
ISBN 978-3-95552-028-1
Cover
Titel Klaus Vater Brandt-Gefahr Der 29. Kappe-Fall Kriminalroman Jaron Verlag
Impressum Klaus Vater , geboren 1946, studierte Politische Wissenschaften, bevor er ab 1972 als Redakteur arbeitete. Ab 2000 war er Pressesprecher zunächst des Bundesarbeitsministeriums, später des Bundesgesundheitsministeriums, schließlich stellvertretender Sprecher der Bundesregierung. Vater schrieb diverse Sachbücher zum Arbeitsmarkt und zum wirtschaftlichen Strukturwandel. Für seinen Jugendkriminalroman «Sohn eines Dealers» erhielt er 1992 den Jugendbuchpreis «Emil». In der Reihe «Es geschah in Berlin» erschien von ihm bereits «Am Abgrund» (2011). Er schreibt regelmäßig für den Blog «Carta», das Magazin «Cicero» und die Zeitschrift «Berliner Republik». Originalausgabe 1. Auflage 2017 © 2017 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. www.jaron-verlag.de Umschlaggestaltung: Bauer + Möhring, Berlin Satz: Prill Partners|producing, Barcelona E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017 ISBN 978-3-95552-028-1
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
NACHBEMERKUNG
Es geschah in Berlin …
Mittwoch, 16. November 1966
AM MORGEN sah es nach Regen aus. Daher zog der Berliner Kriminaloberkommissar Otto Kappe einen hellen Popelinemantel über seinen dunkelblauen Anzug, nahm seinen schwarzen Stockschirm zur Hand, setzte eine Tweedmütze auf, schlug den Mantelkragen hoch und ließ sich von seiner Frau Gertrud begutachten. Im Flur schaute er kurz in den Wandspiegel. Er sah ein schmales Gesicht mit kaltem Blick, einer geraden Nase und zusammengekniffenen Lippen. Der Mann, den er vor sich hatte, wirkte abweisend. Das störte ihn aber nicht weiter. Schließlich gab er Gertrud einen flüchtigen Kuss auf die Wange und sagte, dass er noch nicht wisse, wann er am Abend nach Hause komme. Otto rügte sich im Stillen wegen dieses nichtssagenden Abschiedsrituals, zog deshalb seine Frau an sich, drückte sie fest und atmete ihren Duft ein. Er küsste sie erneut, nahm ihr Gesicht in beide Hände und betrachtete sie einen Augenblick, bevor er die gemeinsame Wohnung im Horstweg verließ und zum Sophie-Charlotte-Platz ging.
Er stieg in die U 1, um bis zum Nollendorfplatz zu fahren. Dort wollte er in die U 4 wechseln, um am Bayerischen Platz auszusteigen. Er suchte sich einen freien Platz, setzte sich hin und klemmte den Stockschirm zwischen die Knie.
Neben ihm unterhielten sich zwei ältere Frauen über den heutigen Buß- und Bettag: «Die Nazis haben ’34 daraus einen Feiertag für alle gemacht, ihn aber ’39 praktisch wieder abgeschafft …»
Otto Kappe machte sich nichts aus diesem kirchlichen Feiertag, er war nicht religiös. Dennoch war er davon überzeugt, dass es irgendetwas da oben geben müsse – etwas, das Ordnung geschaffen hatte. Denn an Zufälle glaubte er weder im Beruf noch im Hinblick auf Natur und Kosmos.
Am Abend zuvor hatten Gertrud und er seine Eltern beköstigt. Gertrud hatte eine Ausnahme gemacht. Da sie selbst berufstätig war, kochte sie meist nur am Wochenende warm. Es hatte hausgemachte Buletten, grüne Bohnen und Salzkartoffeln und als krönenden Abschluss Eiscreme mit Kirschsirup gegeben – Letzteres auf besonderen Wunsch von Ottos Vater Oskar. Der hatte während des Essens angekündigt, man werde am Buß- und Bettag einen Gottesdienst in der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde besuchen, denn er sei nun in dem Alter, in dem man bereits die Landebahn vor sich habe, wie eine DC 6, die in Tempelhof einschwebe. Er müsse sich langsam darauf einstellen, dass sein Leben sich dem Ende zuneige, und deshalb sei Beten nicht der schlechteste Rat.
«Was meinst du damit?», hatte Gertrud erschrocken gefragt.
Oskar, mittlerweile achtzig Jahre alt, hatte geantwortet: «Ich habe den Eindruck, dass einiges den Bach runtergeht. Die Nazis ziehen wieder in die Parlamente ein, und die Stadt ist zu einem Schieber- und Gaunerparadies geworden. Für die kleinen Leute wird zu wenig getan. Wie sich das alles weiterentwickeln wird, weiß niemand.» Der alte Herr war ganz aufgeregt gewesen. «Der Churchill hat mal gesagt, die Deutschen habe man entweder zu den Füßen oder an der Kehle. Da hat der alte Knabe wohl recht gehabt.»
«Und du meinst, beten hilft?», hatte Otto entgegnet.
«Werd ich ja bald sehen.»
Der Sohn hatte nur den Kopf geschüttelt und gerätselt, ob sein Vater auf seine letzten Tage noch wunderlich werde.
Ottos Mutter Frieda, genannt Friedel, hatte der Unterhaltung mit wachsendem Unbehagen gelauscht. Bevor ihr Mann fortfahren konnte, hatte sie eingeworfen: «Oskar regt sich immer so fürchterlich auf, wenn er Rundfunk hört. Neulich hat ein …»
Otto hatte das Interesse am weiteren Verlauf des Gesprächs verloren. Ihn hatte vielmehr der Gedanke beschäftigt, was es zu bedeuten habe, dass der Berliner Kripochef am Buß- und Bettag eine Unterrichtung angesetzt hatte.
Diese Frage ließ Otto Kappe auch jetzt, in der U-Bahn, nicht los. Fast hätte er vergessen, am Bahnhof Nollendorfplatz auszusteigen. Er sprang wie von der Tarantel gestochen auf, rannte zur Schiebetür, stemmte sie auf und fluchte leise vor sich hin. Das hätte ihm heute noch gefehlt, zu spät beim Dienst zu erscheinen! Er möge bitte pünktlich sein, hatte Frieda Kessel, seine Sekretärin, nachdrücklich hinzugefügt, als sie ihm gestern kurz vor Dienstende mitgeteilt hatte, dass der Direktor der Berliner Kripo, Günther Niederzier, ihn heute um neun Uhr zu einer Besprechung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz erwarte.
Worum konnte es bloß gehen? War irgendetwas passiert, das ihm bisher entgangen war? Hat einer seiner Kollegen etwas derart versiebt, dass der Verfassungsschutz auf den Plan gerufen wurde? Unwahrscheinlich. Er ging noch einmal alle aktuellen Fälle durch, aber keine der laufenden Ermittlungen bot viel Zündstoff. Das Einschalten der Verfassungsschützer machte Kappe jedenfalls misstrauisch. Der riesige Apparat der West-Berliner Polizei glich einem Labyrinth, in dem man leicht den Überblick verlor. Überzeugte Sozialdemokraten und alte Nationalsozialisten fochten ihre Kämpfe aus. Außerdem wusste niemand, wie viele Spitzel Ost-Berlins und Moskaus in den drei Westsektoren aktiv waren, denn bis zum Mauerbau 1961 hatten diese ungehinderten Zutritt zum Westen gehabt. Viele hatten sich als Flüchtlinge registrieren lassen, um auf die Chance zu warten, dem kapitalistischen Klassenfeind Schaden zufügen zu können. Niemand konnte sagen, wer diese Spitzel waren, wo sie steckten oder mit wem sie in Kontakt standen. Otto Kappe war sich sicher, dass die Polizei des freien Teils der Stadt Ulbrichts Spitzel anlockte wie Tannenhonig die Braunbären.
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