► Pro: „Das ganze Gerede von der Völlerei ist übertrieben“ (unbekannt). Es heißt doch immer: „Wer gut arbeitet, der soll auch gut essen“ (aus Russland). Wir alle wissen: „Der Appetit kommt beim Essen“ ( F. Rabelais ). Schon der kluge Konfuzius erkannte: „Essen und Beischlaf sind die beiden größten Begierden des Mannes.“ Manche Männer schwören darauf: „Viel Bier ist gut gegen Schlaflosigkeit“ (unbekannt). Auch: „Eine Flasche Wein pro Tag hilft gegen niedrigen Blutdruck“ (unbekannt). So hat jeder seine Rechtfertigungen. Aber leider gilt: „Der Bauch hat keine Ohren“ ( M. Luther ). Wenn der Mensch vom vielen Trinken einen Kater hat: „Der Kater hat nicht immer Völlerei, er hat auch Fastenzeiten“ (Sprichwort).
► Contra: Der französische Schriftsteller J.A. Brillat-Savarin drückt es sachlich und treffend aus: „Fresser und Säufer verstehen nichts vom Essen und Trinken.“ Man sollte das Essen und Trinken genießen, aber nicht übertreiben. Vielfach wird auch Weihnachten, eigentlich das Fest der Liebe, missbraucht. „Weihnachten: ein besonderer Tag der Völlerei, Trunksucht, Gefühlsduselei, Annahme von Geschenken, öffentlichem Stumpfsinn und häuslichem Protzen gewidmet“ ( A.G. Bierce ). Da verhalten sich Tiere besser: „Während das Tier die Lust sucht, um sich zu erhalten, erhalten wir Hedonisten das Leben um der Lust und Völlerei willen und gefährden so nicht selten unsere Selbsterhaltung“ ( A. Vogt ). Deshalb gelten die folgenden, wohlgemeinten Ratschläge: „Lass dich durch kein Beispiel zu den verbreiteten Ausschweifungen der Völlerei und der Trunkenheit verleiten – die erste bewirkt unvermeidlichen Stumpfsinn und die andere Tollheit“ ( P.D. Stanhope ). Und zum Schluss: „Hütet euch aber, dass eure Herzen nicht beschwert werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung und komme dieser Tag schnell über euch.“ (Lukas 21,34).
► Conclusio: Manche Menschen fürchten überhaupt nichts und leben ganz einfach in den Tag hinein. Der deutsche Politiker Walther Rathenau nennt sie Furchtmenschen: „Was den Furchtmenschen unrettbar verrät ist, dass er sich amüsieren kann. Der Furchtfreie kennt die Freude, die Begeisterung, den Rausch, die Völlerei – aber er ist nicht amüsabel.“ Der italienische Regisseur Marco Ferreri geht erheblich weiter: Er schockierte in 1973 mit seinem Film „Das große Fressen“ die Welt, denn er zeigte den Schock des Suizid durch übermäßiges Fressen und erzeugte große Abscheu, u. a. durch unappetitliche Gelage. Auch die Kirche war hier nicht immer ein Vorbild: Der italienische Kirchenlehrer Thomas von Aquin war so beleibt, dass eine Rundung in sein Pult gesägt werden musste, damit er arbeiten konnte. Und im Kloster Sankt Gallen tranken Mönche im Mittelalter nachweislich täglich fünf Maß Bier.197
Die Verführungen des Alkohols und des fetten Essens sind auch heute nicht zu unterschätzen. Deshalb sage ich: „Wenn du lebst im Überfluss, kommt sehr bald ein kalter Guss.“* Denn die Gesundheit spielt irgendwann nicht mehr mit: „Übermäßiges Essen und Trinken tötet mehr Menschen als das Schwert“ ( Sir W. Osler ). Deshalb ist zu raten: „Wenn das Essen am besten schmeckt, soll man aufhören“ (Sprichwort). Vor allem für manche Jugendliche gilt: „Komasaufen kann keiner brauchen!“* Und auch: „Gelegentliches Fasten ist die beste Heilnahrung“ ( E. Rau ). Zum Schluss: „Saufen, Fressen und dergleichen, von welchem ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, dass, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.“ (Galater 5,21).
2.6 Antriebe des Menschen
Antriebe sind in der Psychologie Impulse, die zielgerichtetes Handeln des Menschen auslösen, z. B. Bedürfnisse, Motive, Begehren, Egoismus, Ehrgeiz, Leidenschaft, Strebungen und Wollen. Sie bilden die wichtigste Grundlage des Verhaltens des Menschen. Häufig treten sie zusammen mit Emotionen auf, z. B. mit Affekten, Gefühlen und Stimmungen. Alle hier angesprochenen Antriebe sollen in dialektischer Sicht beurteilt werden.
Ein Bedürfnis ist das Empfinden eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch, ihn zu beheben.198 Es stellt einen Beweggrund für menschliches Handeln dar: „Der Mensch braucht Wünsche“ ( C.A. Helvetius ). Die Bedürfnisse der Menschen sind praktisch unbegrenzt, die Mittel zu ihrer Befriedigung aber knapp. Die Bedürfnisse können vielfältiger Art199 sein, z. B. primäre Bedürfnisse (z. B. Hunger, Durst) und sekundäre Bedürfnisse, z. B. geistig-kulturelle Bedürfnisse. Es gibt soziale Bedürfnisse (z. B. Kontakt-, Geltungsbedürfnisse) und ökonomische Bedürfnisse, z. B. Kaufbedürfnisse. Es können auch individuelle und kollektive Bedürfnisse (z. B. Wunsch nach Verkehrssicherheit) unterschieden werden. Die Bedürfnispyramide von A. Maslow zeigt die hierarchische Ordnung der Bedürfnisse.200 Die Bedürfnisse sind Motive, die uns Menschen antreiben. Dabei gilt: „Die Evolution des Triebes ist das legitime Bedürfnis“ ( F.P. Rinnhofer ). Motive können im geisteswissenschaftlichen Universum positive und negative Wirkungen auslösen.
► Wir Menschen möchten glücklich leben: „Der Mensch hat ein gebieterisches und unaufhörliches Bedürfnis nach Glück“ (Sprichwort). Dabei haben Körper und Geist nicht die gleichen Motive: „Des Leibes Bedürfnis heißt nehmen, des Geistes Bedürfnis geben“ ( A. Essigmann ). Der Geist sucht eher den Genuss: „Essen ist ein Bedürfnis, genießen ist eine Kunst“ ( La Rochefoucauld ). Jeder Mensch genießt aber anders: „Jedem das Seine“ ( M.P. Cato ). Mancher liest dem Partner die Wünsche vom Mund ab: „Dein Wunsch ist mir Befehl“ ( Vergil ). Und: „Wir sollten nicht vergessen, dass sich jeder Mensch nach Liebe sehnt.“* „Der Mensch ist wohl mit einem Bedürfnis nach Liebe geboren, dem er nie entwächst“ (Sprichwort). Zum Schluss eine Weisheit: „Wer sich vom Feuer der Liebe verzehren lässt, hat kein Bedürfnis, das Feuer des Hasses zu schüren“ ( K. Haberstich ).
► Bedürfnisse können aber auch negative Wirkungen haben: „Jede Begierde ist ein Bedürfnis, das sich als Schmerz bemerkbar macht“ ( Voltaire ). Ein ähnliches Argument liefert A. Einstein : „Ein Leben, das vor allem auf die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist, führt früher oder später zur bitteren Enttäuschung.“ Und: „Je größer die Bedürfnisse, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Unzufriedenheit.“ Es gibt im Leben nicht nur große sondern auch kleine Geister: „Kleingeister verspüren ein großes Bedürfnis, sich anderen überlegen zu fühlen“ ( E. Ferstl ). Wie entsteht unser Wille? „Alles Wollen entspringt aus Bedürfnis, also aus Mangel, also des Leides“ ( A. Schopenhauer ). Welche Folgen sind mit Machtbedürfnissen verbunden? „Das Bedürfnis des Machtgefühls treibt die große Politik vorwärts“ ( F.W. Nietzsche ). Und zum Schluss typisch: „Es gehört zum deutschen Bedürfnis, beim Biere von der Regierung schlecht zu reden“ ( O. von Bismarck ).
► Fazit: Wir Menschen haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse, die beispielsweise durch die Tradition, den Instinkt, die Bildung, die Gesellschaft bzw. die soziale Stellung geprägt sein können. Und es gilt auch: „Hinter jedem irritiertem Bedürfnis steckt ein gesunder, unerfüllter Wunsch“ ( A. Selacher ). Stärker ausgedrückt: „Was die Triebe dir diktieren, kann der Kopf nicht korrigieren“ ( E. Koch ). In den Wirtschaftswissenschaften rücken diejenigen Bedürfnisse in den Vordergrund, die am Markt als effektive Nachfrage wirksam werden. An der Spitze der individuellen Bedürfnisse des Menschen steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, welches für eine Person die erstrebte Entfaltung und Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten mit sich bringt. Selbstverwirklichung stößt aber immer wieder dann an Grenzen, wenn sie in die Gefahr gerät, dass sie ausufert. Dazu ein weiser Spruch:
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