Gudrun Fritsch - Ich wird fällig

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Gudrun Fritsch präsentiert eine in Form und Inhalt unverwechselbare und facettenreiche Auswahl von Texten mit dem Anspruch zu berühren – durch Wahrhaftigkeit und Zärtlichkeit. Und mitunter bleibt nur der Wunsch nach Zurückgeborenwerden in eine Nussschale oder wieder an einem Glücksbissen zu kauen, wie damals. Die Armbanduhr aber tickt wie eine Zeitbombe. Wie lange schon. Fast immer. Kaum anders.

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„Nur noch das noch, dann …“ – „Wenn das jetzt fertig ist, dann …“

Diese Sätze sind unser Standardrepertoire seit Jahren, sie wurden als Durchhalteparolen miss- und gebraucht, die das Funktionieren gewährleisten sollten – und diesen Zweck wohl auch erfüllten.

„Was kam nach dem ,dann’“?, höre ich dich in klarem, wachem Ton fragen. – Ja, als den äußeren Erfolgsimperativen untertan, nichts weiter als das Übliche – Abhaspeln der allmächtigen Erledigungslisten, die stets voller und länger waren als die verfügbare Zeit und Kraft …; stets im Rückstand, mit Unruhe, Schlaflosigkeit

oder Bauchgrimmen als Begleiter.

So sollte es nicht sein, so war’s nicht gut …

Ich weiß es jetzt besser, glaub mir.

Noch etwas muss ich dir sagen. So oft, Liebstes, hast du deinen Rücken gekrümmt, bist eine Sprosse gewesen in der Lebensleiter der anderen; nun ist’s höchste Zeit und an mir, dir die hilfreichen Sprossen zu zimmern.

In Liebe,

dein Gero

Das Ich ist ein reales Ich, gebrandmarkt und weidwund, aber bereit, heil zu werden; es wurzelt in der Wirklichkeit der Gegenwart, es atmet, es lebt. Und es zitiert Adolf Muschg: „Schreibend setzt sich der Bedürftige ins Recht – ins Recht des Gefühls, das ihm zur rechten Zeit nicht geworden ist.“

Ich lege den Stift zur Seite und greife in die linke Schreibtischlade. Ein Päckchen Papiertaschentücher liegt dort. Es trägt den Aufdruck: „Wir sind hier nicht bei Wünsch dir was, sondern bei so is es.“

Mein Herz bäumt sich auf. Es will ausweichen, dem Schwerthieb der Wirklichkeit entgehen.

Ihr müsst verstehen. Gero ist vor einem halben Jahr gestorben.

Lojze, Vinzidorfbewohner. Ein Gruß.

Ich kannte ihn nicht. Überhaupt nicht. Ihn, den Lojze Marjan, Vinzidorfbewohner und längst schon zu Grabe getragen, im Frühling.

Ich kannte ihn nicht. Überhaupt nicht. Bin ihm wahrscheinlich niemals begegnet, von Angesicht zu Angesicht.

Aber etwas geschieht mit mir, als ich eine Fotografie dieses Mannes, eingebettet in die berührenden Abschiedsworte von Pfarrer Pucher, in der Zeitschrift „Armendienst“ sehe. Es reißt mir das Herz auf. Mit einem Mal bin ich diesem Bild völlig ausgeliefert.

Das Gesicht strahlt. Es ist ein Strahlen, das ganz und gar von innen her kommt. Ein Strahlen und inwendiges Leuchten, das bis zum innersten Kern meiner Seele vorzudringen vermag.

Ich kannte ihn nicht. Überhaupt nicht. Aber ich kann kaum den Impuls unterdrücken, in das schwarz-weiße Abbild dieses Menschen hineinzufassen, diesen seinen Kopf zu umfangen, zu halten, zu wiegen, zu bergen, in eine unbenennbare grenzenlose Zärtlichkeit zu betten. Eine besondere großformatige Zärtlichkeit, die entschädigen soll für all das Übermaß an Hartem und Schwerem, für all das schmerzhaft Fehlende und bitterlich Vermisste, die zahlreichen Bürden der Vergangenheit.

Ich kannte ihn nicht. Überhaupt nicht. Den Herrn Lojze Marjan, aus Pettau gebürtig, in Slowenien, am Leben 1943 bis 2008.

Tränen rinnen unbarmherzig über meine Wangen. Ich muss mich hinsetzen und standhalten. Meine unvorbereitete, unerwartete Trauer zulassen.

Da ist jemand fortgegangen, heimgegangen, dessen Menschsein nicht von Verhärtung und Bitterkeit über die Schläge und das vielfache Misslingen des Lebens, seines Lebens, gekennzeichnet war, sondern – ganz gegenteilig – von tiefer Dankbarkeit für die Aufnahme in diese tragende, schützende, Geborgenheit vermittelnde einzigartige Vinzidorfgemeinschaft, aber auch gekennzeichnet von sichtbarer Zufriedenheit über das ihm spät, aber doch Zuteilgewordene. In seinen Zügen kann man eine außergewöhnliche Herzenswärme erspüren. Wie warme Energie, so sagte es mein Sohn. In diesen Zügen liegt aber auch der Ausdruck einer seltenen, einer beispielhaften Bescheidenheit. Und Würde. Und die Erfülltheit aus seinem Tun als Verantwortlicher der Dorfwerkstätte.

In zahllosen Begegnungen mit Menschen, die in Wohlstand und gemeinhin als glückvoll bezeichneten Umständen leben, habe ich nach dieser Größe innerer Haltung vergeblich gesucht.

Ich kannte ihn nicht. Überhaupt nicht. Ihn, den Lojze Marjan, ehemaliger Vinzidorfbewohner.

Ihm gilt mein Gruß. Auf geheimen Wegen wird ihn die Botschaft erreichen. Ganz sicher.

Du bist vor Anker gegangen

in Wellen gelber Wärme

Lautlos vereinten sich Strudel prickelnder Sehnsucht

im befriedeten Innen

Filigraner Wonnetau weht übers Jetzt

Und Schaukelschiffe aus dem Gestern ankern in der Ruhebucht

Wellen gelber Wärme wiegten in den Schlaf

Und du weißt nun

Silberglanzgeborgenheit nistet im Horizont

Und vielleicht dachtest du einst, wenn auch in anderen Worten:

Vielleicht

wird es wieder ein Erwachen geben

mit buntgefärbten Flügeln

Vielleicht

werden die Gläser sprunglos

mein Morgengesicht grüßen

Vielleicht

wird die Libelle ihren Smaragdmantel

in meinen Horizont gleißen

Vielleicht

werden die Vögel heimkehren

ins breite Weinrankgestrebe

Vielleicht

werden neue Lebensbäche

durch mein Atemgeflecht mäandern

Und vielleicht dachtest du einst:

Dann stückteile ich mein Herz

und verborge es an die Herzlosen.

Du, ein Großherziger, bist schon angekommen

Ohne Schluchtendunkelfliehen lebst und wächst

in Lichterstraßen der Unendlichkeit entgegen.

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