Keineswegs übertrieben ist der Untertitel von David Sterritts Monographie The Cinema of Clint Eastwood : »Chronicles of America«. Amerikanische Chroniken, das sind Eastwoods Filme. Americana. Amerikanische Passionsgeschichten. Die aber nicht erst seit 1992, seit Erbarmungslos ( Unforgiven ), globale Themen verhandeln, hochmoralische und philosophische. So ist es nur folgerichtig, dass amerikanische Filmwissenschaftler einen Band der Philosophie Clint Eastwoods widmeten.
Sind die Figuren, die Helden, die Eastwood spielt, nicht ambivalent, oft angeknackst oder gebrochen? Ja, sind es überhaupt noch Helden ? »Von Beginn an«, schreibt Georg Seeßlen, »lebt und kämpft der Eastwood-Held auf des Messers Schneide, er ist ein ebenso verzweifelter Dissident wie militanter Rechtsanarchist; zur Selbstjustiz braucht er nicht einmal solche ideologischen und sentimentalen Legitimationen wie Charles Bronson. Er schießt Menschen tot, das ist seine Passion. Aber während er das tut, lässt er uns in seine Abgründe blicken, die nicht die seinen allein sind.« Die Western- und Polizisten- und Familien- und die amerikanischen Helden – alles Abgründe. Alles Abgesänge auf Männlichkeit, auf Gefühls- und Gewaltanarchie, auf Selbstjustiz und loner -tum? Oder Lobgesänge?
Mit großer ökonomischer Raffinesse – zeitökonomische Effizienz schlägt sich beim Regisseur Eastwood in bemerkenswert kurzen Drehzeiten nieder, 35 bis höchstens 39 Tage – wechseln sich bei ihm kommerzielle Arbeiten ab mit Filmen, die thematisch eher riskant anmuten.
Zugleich verhilft er Schauspielerinnen und Schauspielern zu Glanzrollen: Hilary Swank in Million Dollar Baby (2004), Kevin Costner in A Perfect World (1993), Forrest Whitaker in Bird (1988), Tim Robbins in Mystic River (2003) oder Jeff Daniels in Blood Work (2002), einem Film, den die Kritik nicht mochte, unverdientermaßen, wie ich finde, und das Publikum auch nicht, was ich für noch unverständlicher halte. Und mehrfach Morgan Freeman.
Filmpartner wie Telly Savalas, Gene Hackman oder John Malkovich nutzten seinen kaum einen Gesichtsmuskel verziehenden Stoizismus, um exzessiv dagegenzuhalten. Die New Yorker Filmkritikerin Pauline Kael, die Eastwoods Filme mit Hohn begleitete, stufte ihn einmal als Absolventen der Mount Rushmore School of Acting ein, der Mount-Rushmore-Schauspielschule, womit sie das gewaltige Bergmonument in South Dakota meinte, aus dem steinerne Riesenköpfe von vier US-Präsidenten herausgeschlagen wurden.
»The Last of the Independents«. Als dies Don Siegel 1973 in seinem Film Der große Coup ( Charley Varrick ) auf den Firmenwagen Varricks, verkörpert von Walter Matthau, pinseln ließ, hätte er damit noch nicht den damals 43-jährigen Eastwood, mit dem er mehrfach zusammengearbeitet hatte, meinen können. Heute schon. Denn seine Filmproduktionsgesellschaft Malpaso gründete Eastwood 1967. Seitdem gibt es diese kleine, unabhängige Firma, ohne Unterbrechung und ohne Arbeitspause. Ihr Büro war bis Mitte der 1970er Jahre auf dem Produktionsgelände der Universal, seither bei Warner Bros. angesiedelt. Im Lauf von über 50 Jahren hat Eastwood ein friktionslos eingespieltes Team um sich geschart. Was Schauspieler, die zum ersten Mal mit ihm arbeiteten, staunen ließ, und waren sie auch schon so lange im Geschäft wie Ed Harris:
Mit Clint Eastwood zu arbeiten, war, wie mit einer gut geölten Maschine zu arbeiten. Um ihn sind all diese Leute, mit denen er schon so lange zusammenarbeitet. Ich glaube, ich kann mich ehrlich nicht daran erinnern, täglich länger als bis vier Uhr nachmittags gearbeitet zu haben. Und wir haben nie mehr als zwei Takes gebraucht.
Diese Vertrautheit lässt sich an Beispielen festmachen. Seit den frühen Siebzigern hat Eastwood mit nur drei Kameramännern zusammengearbeitet, mit Bruce Surtees, Jack N. Green und Tom Stern. Er vertraute nur vier Cuttern: erst Ferris Webster, dann über 30 Jahre lang Joel Cox plus Gary D. Roach und 2016 Blu Murray, Sohn eines Sound Editors, der seinerseits seit langem zum Eastwood-Team gehört. Von 1973 bis 2006 war nur ein Production-Designer für ihn tätig, der 1915 geborene Henry Bumstead. Und von 1982 bis 2006 nur eine Casting-Direktorin, Phyllis Huffman.
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Eine Promenade durch seine Filmographie und sein Leben zeigt auf, welche Motive sein gesamtes Werk durchziehen. Wie er mit teme hantiert hat. Wie er mit variazioni umgegangen ist. Wie er sie ausdauernd ausgebaut, revidiert, anderes aus ihnen und aus sich herausgeholt hat. Wie er sie demontiert und ins Existenzielle umgewendet hat. Überraschen dürfte bei dieser Film-Revue, wie hoch die Höhepunkte dieser mehr als Halbhundertjahr-Karriere sind, aber auch dass es künstlerische Dürreperioden gab.
Wohl noch überraschender dürfte sein, dass er, als Konservativer in Hollywood eher politischer Außenseiter – unrühmlicher Tiefpunkt war ein skurriler Auftritt im Jahr 2012 auf der Republican National Convention, dem Landesparteitag der Republikanischen Partei der USA, bei dem er auf dem Podium einen leeren Stuhl ins Kreuzverhör nahm, der Präsident Obama verkörpern sollte (sehr rasch bedauerte Eastwood diese spontane Idee und nannte den Auftritt »this silly thing«) –, in nicht wenigen Filmen liberale Positionen einnimmt, freiheitliche und individualistische, nicht nur gemeinschaftsstützende, sondern gemeinschafts kreierende und jeder Gewalt zuwiderlaufende.
Kindheit, Familie, Karriereanfänge
Gewaltlos fing alles an, sehr normal. Im Kleinbürgertum, das von Weltwirtschaftskrise und der Rezession im Amerika der 1930er Jahre gebeutelt wurde. So auch die Familie von Clinton Eastwood Junior, geboren am 31. Mai 1930 in San Francisco. Sein Vater zog mit der bald vierköpfigen Familie – Clints Schwester Jeanne wurde im Januar 1934 geboren – durch Kalifornien von Ort zu Ort und nahm unterschiedlichste Jobs an. 1940 schließlich kamen die Eastwoods finanziell zu etwas Sicherheit und ließen sich in der Kleinstadt Piedmont (Einwohnerzahl damals: 9844 Seelen) nahe Oakland nieder. Dort besuchte Clinton jr. Grund- und Mittelschule, notenmäßig wenig aufregend. Viel aufregender waren für den 1,93 Meter langen, sehr sportlichen, sehr schlanken Clint die Mädchen. Nach der High School hangelte er sich von Job zu Job, arbeitete als Rettungsschwimmer oder Aushilfstankwart. Seine Vorstellungen von Zukunft, einschließlich der eigenen, waren diffus. 1950 musste er beim Militär einrücken. In Fort Ord an der Bucht von Monterey wurde er als Schwimmlehrer eingesetzt. Im Frühjahr 1951 war der Militärdienst vorbei, er heuerte als Rettungsschwimmer in Seattle an. Anschließend zog der Anfangszwanziger nach Los Angeles und schrieb sich am dortigen City College für Wirtschaft ein. Er lernte Margaret Neville Johnson kennen. Sie heirateten eine Woche vor Weihnachten 1953. Die Schauspielerei hatte der durchtrainierte Schlaks schon immer interessant gefunden. Ein Fotograf überredete ihn, bei der Filmgesellschaft Universal-International vorzusprechen, die ein Ausbildungsprogramm für junge Talente aufgelegt hatte. Im April 1954 wurde er in dieses Programm aufgenommen. Nun bekam er 75 US-Dollar wöchentlich für 40 Wochen des Jahres. Fast ebenso viel verdiente er nebenbei, indem er bei Erdarbeiten für den Bau von Swimmingpools mitschaufelte. Eastwood erhielt Sprech- und Schauspielunterricht. Von den sportlichen Unterrichtungen wurde er nicht gefordert – er war schon ein guter Reiter und Läufer, ein exzellenter Schwimmer ohnehin. Sehr bald wurde er in Filmen besetzt. Aber in was für welchen, samt und sonders B-Streifen! Im Ritterfilm Die nackte Geisel ( Lady Godiva of Coventry , 1955) war er ein (lächerlich überlanger) namenloser Sachse, in Jack Arnolds Die Rache des Ungeheuers ( Revenge of the Creature , 1955) ein Laborassistent, in Tarantula! (1955) erkannte man ihn als Bomberpilot, der eine Riesenspinne mit Napalm zu töten hatte, kaum, verhüllten doch Helm und Atemmaske sein Gesicht.
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