Corinna Griesbach
(Hrsg.)
Haller 17
Corinna Griesbach (Hrsg.)
SPAM!
Haller 17
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: Juni 2021
Corinna Griesbach, die Autoren & Künstler &
p. machinery Michael Haitel
Titelbild & Fotografien: Tom Kluibenschadl & Sara Hawkes-Hollands
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat: Corinna Griesbach, Michael Haitel
Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: Schaltungsdienst Lange oHG, Berlin
HALLER im Verlag p. machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.haller. p machinery.de
ISSN: 1869 4624
ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 249 2
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 848 7
In dieser Ausgabe des HALLER finden sich auf den ersten Blick Texte, in denen wir Tipp- und Rechtschreibfehler übersehen haben. – Wirklich? – Nein, natürlich nicht. Diese Fehler repräsentieren mitunter sittsam bekannte Eigenheiten von Spam in Form von E-Mails. – Also lasse man sich darauf ein. Und genieße.
(WICHTIGEILTSOFORT)
FROM: MR. MIKE DONALD
TEL: +27-78-7806XXX
Email:mikeXXdonald@hotmail.com
Liebe Leserin, lieber LeSer, Dear, Good Friend,
I only got your contact details from the South Africa Exchange Information On-line Service on my personal programmed search.
Sofort entschieße ich mich Sie zu kontaktieren.
It is my great pleasure to write you this letter. Ich schreibe Ihnen dies in bester Absicht. Bitte beachten Sie folgenden Rat:
HALLER 17 – Spam – beschert Ihnen Glück und Freude und Spaß und Denken nach.
Alles, was Sie brauchen zu steigern Potenz und Glück. Wollen auch?
Details you need: Your urgent response please. Thanks for your co-operation. Contact me on this number Tel: +27-78-7806XXX, Or Email Address: mikeXXdonald@hotmail.com, for more information’s.
Regards,
Mr. Mike Donald
Susanne Mathies
Liebe Frau Jamila Rabiatu Brahimi …
Liebe Frau Jamila Rabiatu Brahimi,
ich danke Ihnen für Ihr großzügiges Angebot. Schon immer habe ich davon geträumt, einen Koffer voller Rohdiamanten und Edelsteine in der Hand zu halten – und Sie sagen, dass ich 20 % davon behalten kann, was für ein ungeahntes Glück! Dass Sie an mich gedacht haben, eine Witwe, so wie Sie selbst, rührt mich sehr. Andererseits habe ich aber doch Bedenken, Ihre Großzügigkeit auszunutzen, und ich möchte Sie gern vor nicht ausreichend bedachtem Handeln bewahren.
Wie ich sehe, haben Sie mich nur mit »Hallo« angesprochen – offenbar machen Sie sich Sorgen, dass jemand – wahrscheinlich eines Ihrer Kinder – auf Ihre Mailbox schauen und feststellen könnte, dass Sie sich an eine Ausländerin gewandt haben. Sie haben bestimmt gute Gründe dafür, aber ich kann Ihnen versichern, es bringt endloses Unglück, wenn man etwas vor den eigenen Kindern verheimlichen will. Sie haben sicher einen Sohn – mindestens einen, Sie schreiben ja, dass Sie das Ende Ihrer Familienlinie vermeiden wollen! – und möchten, dass er sich vertrauensvoll mit Ihnen auf die Flucht aus Ihrem gefährlichen Land begibt. Was wird Ihr Sohn von Ihnen halten, wenn Sie einen Koffer mit Diamanten beim Roten Kreuz in Sanaa, Jemen, für eine Ausländerin hinterlegen? Mit den eigenen Kindern muss man sehr behutsam umgehen, davon kann ich ein Lied singen. Ich mag nicht wiederholen, was mein eigener Sohn zu mir gesagt hat, als ich ohne sein Wissen eine neue Hypothek auf unser Haus aufgenommen habe, dabei brauchten wir den neuen Wagen wirklich dringend.
Im Interesse Ihres Familienfriedens bitte ich Sie deshalb, Ihr Angebot noch einmal zu überdenken. Weihen Sie Ihren Sohn ein, und lassen Sie ihn denken, dass das Vorgehen seine Idee war! Wenn Sie ihn überzeugen konnten, schicken Sie mir sein Einverständnis. Dann reise ich gern nach Jemen, um Ihren Koffer für Sie abzuholen. Anliegend übersende ich Ihnen eine Broschüre unserer Pension im Appenzell, wo Sie zu sehr günstigen Preisen übernachten können, inklusive reichlichem Frühstück.
Mit ganz herzlichen Grüßen,
Maria Mutterwell
Gastwirtin
Gudrun Breyer
Herrn Songs Sorge
Kiki legt die Finger auf die Tastatur. Die Tasten sind kühl und angenehm kompakt. Klar voneinander abgegrenzt, unverrückbar, zuverlässig. Sie spürt den Druck auf ihren Fingerspitzen. Ein Ziehen und Pulsieren, das aufhört, wenn sie einen Tag lang nicht tippt. Kiki liest die Mail Zeile für Zeile nochmals.
»Werteste«, wiederholt sie laut, »lassen Sie mich helfen!« Sie nimmt die Teetasse, hält das Gesicht in den aufsteigenden Dampf und stellt sie wieder ab.
»Es ist unerträglich«, antwortet sie. »Die Hitze ist unerträglich, mein Lieber.«
Sie schließt die Augen und sieht das Bild vor sich. Die Wildtiere, die sich suchend immer näher an das Dorf heranwagen. Die ausgetrockneten Bachläufe und Brunnen, das Kichern der Hyänen. Das Knistern des dürren Grases. Sie lehnt an einem Affenbrotbaum, zerteilt ein Stück Bastfaser und beobachtet Geier, die einen Kadaver ausgemacht haben und sich darauf stürzen.
»Die Geier«, schreibt sie, »und die Hyänen.«
»Der Hunger«, schreibt sie, »und Durst.«
Sie sieht Frauen mit Plastikgefäßen auf dem Kopf. Sie gehen hintereinander, drei Steinwürfe von ihr entfernt. Hager. Schleppenden Schrittes. Mit aufrechtem Gang. »Wir danken Ihnen für jede Unterstützung«, schreibt Kiki, massiert sich die Handgelenke und öffnet das nächste Mail.
»Hochgeschätzte, in Gedanken bin ich bei Ihnen und hätte gerne etwas erübrigt, aber …«, liest sie.
»Wie bedauerlich! Ich habe selbst …«
»Wenn ich Arbeit hätte und Geld, würde ich gerne …«
An Tagen wie heute findet sie, dass Mails, die ein ›würde‹, ›bloß‹ oder ›aber‹ enthalten, automatisch im Papierkorb landen sollten. Heute will sie nichts von der Brüchigkeit anderer Existenzen wissen. Nicht an Tagen, an denen sie mit Marianne telefoniert hat. Kurz angebunden und überspannt, wie diese ist. Wie sie sie immer wieder ermahnt, sorgsam zu sein und auf ihr Geld zu achten, beim Beheben und beim Bezahlen. Als bereite es Marianne Schmerzen, wenn sie ein Geschäft verlässt, ohne das Wechselgeld nachgezählt und den Rechnungsbeleg kontrolliert zu haben. Von Bettlern solle sie sich fernhalten, die würden ihr die Börse aus der Tasche ziehen, und die Türe müsse sie gut geschlossen halten vor Hausierern und Betrügern, die sich als Schornsteinfeger, Polizisten oder Mitarbeiter des Wasserwerks ausgäben. Heute will sie nicht mehr an Mariannes scharfes Einatmen erinnert werden, die kurze Stille und das gepresste »Mutter!« Der Achtsamkeitspauke überdrüssig hatte sie diesmal auf regelmäßige ›Hms‹ und ›Ohs‹ verzichtet und dafür gesagt, dass sie ohnehin nichts mehr habe, was eines Übergriffs wert sei. Sie müsse nun Schluss machen, gleich käme ein Käufer für die Brillantcreolen. »Mutter!« Faszinierend, wie viel Panik in diesen zwei Silben Platz findet.
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