Ich entdeckte meinen Bustransfer, und stellte fest, dass der Fahrer schon ungeduldig auf mich gewartet zu haben schien. Ich war wohl wieder einmal die letzte. Als ich auf meinem Platz saß, und die Landschaft an mir vorbei rauschte, dachte ich: Mauritius, ich bin da. Ich werde die Zeit hier in vollen Zügen genießen. Ich hatte lange für diesen Urlaub gespart, denn obwohl ich zwar ganz gut verdiente, als Sachbearbeiterin in einer Spedition, war es nicht so, dass ich mir einen solchen Urlaub mal eben spontan hätte leisten können. Fast viertausend Euro hatte mich der Spaß gekostet, und ich war wild entschlossen, jeden verprassten Euro davon zu genießen. Ein fünf Sterne Hotel in einer exklusiven Anlage, direkt am Meer, mit Wellnesspaket und All inklusive. Und diese drei Wochen purer Entspannung sollten mir helfen, Lars zu vergessen; ein für alle Mal.
Das Einchecken war rasch erledigt. Das Personal schien deutschsprachig zu sein, und ausnehmend freundlich.
Ich bekam ein wunderschönes Zimmer mit Meerblick. Die Einrichtung wirkte vornehm, jung und modern. Nur in dem großen Doppelbett kam ich mir ein wenig verloren vor.
Mittlerweile war ich schon drei Tage auf Mauritius. Ich pendelte gewohnheitsmäßig zwischen Meer, hoteleigenem Swimming-Pool, Bar, Restaurant und dem netten kleinen Städtchen, das prima Einkaufsmöglichkeiten bot. Ich traf Touristen aus England, den Vereinigten Staaten, aus Österreich, ja selbst eine Familie aus Dubai logierte hier. Für Unterhaltung war bestens gesorgt und es gab jede Menge Animationsangebote. Gleich morgens starteten sie mit Gymnastik am Swimming-Pool, abends gab es Tanzabende mit Showeinlagen und auch viele Angebote für die kleinen Gäste, damit sich die Eltern entspannen können.
Ich war gerade auf dem Weg zur Bar am Swimming-Pool, als ich ihn sah; meinen Traumquicky. Er stand tatsächlich dort, nahe dem Tresen und unterhielt sich mit dem Personal. Mein Atem stockte, und ich wollte mich gerade umdrehen, um die Flucht zu ergreifen, bevor er mich erkennen konnte. Allerdings kam es nicht mehr dazu, denn der Kellner, der mit seinem Tablett wohl hinter mir hergelaufen war und ebenfalls die Bar angesteuert hatte, schien meine Vollbremsung vermutlich nicht einkalkuliert gehabt zu haben. Sein beladenes Tablett streifte kurz meine Schulter, dann donnerte eine Ladung Gläser und Flaschen scheppernd auf den Fußboden. Beschämt bückte ich mich, um dem armen Kerl zu helfen, die Scherben aufzusammeln. Hoffentlich hat mich Ramon nicht entdeckt, dachte ich überflüssigerweise, denn das Getöse war weithin hörbar gewesen.
Im nächsten Moment berührte mich auch schon eine Hand an der Schulter, und eine vertraute Stimme meinte fröhlich: "Hallo Nina, sie Pechvogel."
Oh Gott, dachte ich, was machst du jetzt? Weglaufen kannst du nicht mehr. Du Volltrottel, warum muss das immer dir passieren, und immer dann, wenn er in der Nähe ist. Ich versuchte gelassen zu wirken und sagte: "Hallo Ramon, verfolgen sie mich etwa?" Verfolgen, meine Güte, glaubst du etwa, du bist Miss Universe, dass dich dieser Adonis verfolgt, blaffte mich meine innere Stimme an.
"Oh nein, obwohl sie eine Verfolgung durchaus wert sind!", verriet er mir mit einem Lächeln, und ich wurde noch roter, sofern das überhaupt möglich war.
"Hätten sie Lust, mit mir etwas zu trinken, oder haben sie schon etwas anderes vor?", fragte er unvermittelt.
Ich rang um Fassung, aber meine Spontanität war schneller: "Na eigentlich wollte ich noch ein paar weiteren Kellnern die Tabletts aus der Hand schlagen, aber das kann ich ja auch morgen erledigen", polterte es aus mir heraus.
Für einen klitzekleinen Moment sah Ramon mir prüfend in die Augen, dann ließ er ein äußerst wohlklingendes Lachen vernehmen.
Wir setzten uns an einen Tisch an der Bar des Swimming-Pools, und ich orderte einen Kaffee, obwohl ich eigentlich gut einen Cognac hätte vertragen können, auf den Schreck.
"Wollen wir uns nicht duzen?", fragte Ramon mit einem strahlend weißen Lächeln, das mir durch Mark und Bein ging.
Klar, sich zu duzen macht sich bestimmt auch viel besser, bevor du mich da vorne auf die Liegewiese trägst und mich dann gleich heftig beglückst, dachte ich bei mir. Ich sagte jedoch: "Gerne, also erzählen sie mal, ich meine natürlich du, was machst du hier?"
"Ich arbeite hier als Animateur und Fremdenführer, betreue Touristen in diesem Hotel und in zwei weiteren in der Nähe. Insgesamt mache ich das für sechs Monate, dann kehre ich nach Frankfurt zurück und beginne mein Studium."
"Ich verstehe", meinte ich. "Und vorher verdienst du dir noch etwas Geld?"
"Nicht nur, ich genieße meine Zeit hier, bevor es losgeht mit dem Studium. Zudem habe ich hier die Möglichkeit gleich mehrere Sprachen zu sprechen."
"Du meinst Englisch und Deutsch?"
"Auch, ich spreche Französisch, Spanisch, Kreolisch, Portugiesisch, Englisch und natürlich Deutsch."
"Wow, beindruckend! Woher kommst du denn nun eigentlich?", fragte ich interessiert.
"Meine Mutter stammt aus Kuba und mein Vater aus Brasilien. Ich wurde in Los Angeles geboren, bin jedoch in Deutschland aufgewachsen."
"Und deine Eltern? Wo leben sie jetzt?"
"In Frankfurt, wir leben dort, seitdem ich fünf Jahre bin."
"Ich bin echt beeindruckt!", konstatierte ich.
"Ach was, das hört sich alles viel berauschender an, als es in Wirklichkeit ist. Aber was ist mit dir, Pechvogel? Erzähl mal etwas über dich."
"Mein Leben ist nicht halb so interessant wie deines. Ich arbeite als Sachbearbeiterin, habe eine kleine, aber kuschelige Wohnung im Frankfurter Süden, und auch ansonsten ist alles recht normal. Keine Abenteuer, kaum Hobbies, keine Haustiere."
"Und kein Mann an deiner Seite?", wollte Ramon wissen. "Keine Kinder? So eine wunderschöne Frau wie du kann doch unmöglich alleine sein!"
"Doch kann sie!", sagte ich entschieden. "Weil der Exfreund nicht auf Spießigkeit steht, sondern auf jüngere, blonde Tussen."
Ramon blickte mir ernst in die Augen. "Also ich hätte eine solche Frau wie dich niemals losgelassen, Nina.", versicherte er mir, was prompt dazu führte, dass ich mich an meinem Kaffee verschluckte. Dennoch sagte ich: "Ramon, lass die Schmeicheleien. Ich gehöre zwar zur Gattung Touristin, aber du musst deswegen nicht gleich sämtliche Animationskünste an mir ausprobieren."
Wieder blickte er mich aus seinen tiefen, blauen Augen ernst und zugleich sehr freundlich an, dass mir ganz warm wurde: "Du irrst dich Nina. Ich kümmere mich zwar um Touristen, aber ich arbeite professionell, dabei spielt es keine Rolle, ob Mann oder Frau; ich behandle alle gleich. Was ich zu dir gesagt habe, meine ich sehr ernst." Während er diese Worte sprach, hatte er seine Hand auf die meine gelegt.
Ich sagte nichts. Was hätte ich auch sagen sollen? Ja, mach weiter so, ich ertrinke gerade in Sehnsucht umgarnt zu werden?
Ramon sah auf seine Uhr und tat so, als bemerke er meine Verlegenheit gar nicht. "Ich muss nun los", meinte er. "Ich habe heute Abend um 20:00 Uhr eine Vorstellung im Nachbarhotel. Hast du eventuell Lust zuzuschauen? Anschließend könnten wir noch eine Kleinigkeit essen gehen, und ich zeige dir die atemberaubende Schönheit dieser Stadt bei Nacht. Dieses kleine pittoreske Städtchen, dass nur nachts seine wahre Schönheit entfaltet."
Ich nickte nur. Zu mehr war ich nicht fähig.
"Gut", strahlte Ramon mich an. "Ich hole dich um sieben Uhr ab. Bis später. Ich freue mich!" Und bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte er mir einen Kuss auf die Wange gehaucht und war entschwunden. Ich starrte ihm mit offenem Mund nach. Doch kaum war er zwei Tische weiter, drehte er sich noch einmal um und rief, über seine Schulter: "Ich freue mich auf dich, heute Abend, Pechvogel!" Und so wie er es gesagt hatte, klang Pechvogel sogar richtig nett.
Aber er freute sich auf mich? Was heißt denn das, fragte ich mich. Ich war ziemlich verwirrt und durcheinander. Was redest du dir da ein, ermahnte mich meine innere Stimme. Glaubst du ernsthaft, der interessiert sich ausgerechnet für dich? Sieh dich hier doch mal um, und dann sieh dich an. Du bist hier nicht die Miss sexiest girl of the world. Vermutlich wollte er einfach nur nett sein, oder noch schlimmer: er hatte Mitleid mit dir. Also bilde dir bloß nichts darauf ein. Ja, du hast ja recht, antwortete ich meiner inneren Stimme. Aber wenn er zu jeder hier so nett sein wollte, dann hätte er verflixt viel zu tun. Und eingeladen hat er eben nur mich.
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