„Alles in Ordnung“, sagte er. „Fehlt kein Pfennig.“
„Gratuliere“, erwiderte Meiost. „Aber irgendetwas müssen die Einbrecher doch gesucht haben.“
„Ich wüsste nicht, was. Die Filme, die wir in unseren Räumen lagern, kann jeder im Kino ansehen. Hier liegen keine Wertsachen herum.“
„Vielleicht wurden die Einbrecher durch ein Geräusch aufgeschreckt und sind vorzeitig getürmt.“
Meiost und Trepte verließen das Büro. Brankov folgten ihnen.
„Sie sind also der Ansicht, das nichts verschwunden ist?“, fragte Trepte.
Brankov nickte. „Ja, es lohnt nicht, sich die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen.“
„Na gut. Ich lasse den Nachtwächter ins Krankenhaus bringen und einen meiner Männer als Posten hier.“
„Einverstanden.“
Sie gingen den Gang entlang und erreichten die Loge, wo sich zwei Sanitäter um den verletzten Mann kümmerten. Er winkte Meiost heran.
„Der Eingang war versperrt“, sagte er mit leiser Stimme. „Ich habe die Tür selbst abgeschlossen.“
„Sind Sie sicher?“, fragte Meiost.
„Ja, natürlich. Deshalb war ich ja auch so erschrocken, als die beiden plötzlich vor mir standen.“
Meiost wandte sich an den Mann von der Spurensicherung. „Haben Sie das Schloss untersucht?“
„Ja. Es weist keinerlei Beschädigungen auf. Offenbar hatten die Männer einen Schlüssel.“
„So?“ Meiost blickte Brankov durchdringend an. „Und wie viele Personen besitzen einen Schlüssel für diese Tür?“
„Mindestens ein Dutzend. Alle leitenden Mitarbeiter haben einen.“
„In Ordnung“, sagte Meiost gähnend. „Das wär‘s dann für den Augenblick. Falls Sie doch noch etwas vermissen sollten, rufen Sie uns an.“ Er gab dem Mann seine Visitenkarte und verabschiedete sich.
Am nächsten Tag betrat Mario Bredereck, der Cheflaborant des Kopierwerks, den Raum im ersten Stock, ging an den Regalreihen entlang und blieb plötzlich wie versteinert stehen. Statt der acht Filmdosen, die er vor zwei Tagen selbst hierher gebracht hatte, lagen dort nur noch fünf. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er die Aufschrift vor sich hinmurmelte. „Blutige Meute, Produktion der Joswig-Filmkunst, Rollen vier bis acht.“
Und wo sind die anderen drei Dosen? , fragte er sich. Vielleicht hatte sie jemand verlegt. Er suchte das gesamte Regal ab, doch die Dosen waren unauffindbar. Bredereck hatte zwar von dem nächtlichen Zwischenfall gehört, aber er brachte das Verschwinden der Filmdosen nicht damit in Verbindung.
Noch nicht.
Mit raschen Schritten ging er zu dem Telefon, das an der Wand hing, und wählte die Nummer des Labors.
„Sagt mal, habt ihr schon einen Teil der Blutigen Meute in Arbeit?“
Die Antwort, die er bekam, fiel so aus, dass er sich genötigt sah, sofort in Kurt Brankovs Büro zu stürmen.
„Verschwunden?“ Er runzelte die Stirn. „Wie soll ich das verstehen? Bei uns kommt doch nichts weg. Sind die Filme nicht drüben in der Entwicklung?“
„Nein“, antwortete Bredereck. „Die Entwicklung war erst für heute Nachmittag vorgesehen. Drei Filmdosen sind nicht auffindbar. Ich habe alles abgesucht.“
Ein Verdacht, den er noch nicht auszusprechen wagte, stieg in Brankov empor. Er richtete sich auf und ging um den Schreibtisch herum. „Suchen wir noch einmal gründlich alles ab. Und wenn wir das ganze Haus auf den Kopf stellen müssen.“
Obwohl sich die gesamte Belegschaft an der Suche beteiligte, blieb sie ergebnislos. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend kehrte Brankov in sein Büro zurück und ließ sich in den schweren Ledersessel sinken. Wie bringe ich das dem Produzenten bei? , fragte er sich immer wieder. Falls die Rollen nicht wieder auftauchten, war Eckard Joswig gezwungen, die erste Filmhälfte neu drehen zu lassen. Brankov wusste, dass die Werbung für den Film bereits auf Hochtouren lief. Seit Wochen flimmerten die Trailer über sämtliche Kinoleinwände in ganz Deutschland. Joswig konnte sich keine Verzögerung leisten. Die Verluste würden in die Millionen gehen.
Doch dann kam Brankov die rettende Idee. Wozu war er schließlich versichert? Hastig suchte er die Nummer heraus und wählte. Dann erzählte er dem Mann von der Casibus-Versicherung seine Geschichte.
„Ich schicke Ihnen jemanden, der sich mit der Angelegenheit befasst“, erklärte der Mann am anderen Ende der Leitung. „Unternehmen Sie vorläufig nichts.“
„Und die Polizei?“, fragte Brankov. „Soll ich nicht …“
„Warten Sie noch damit. Wo sind Sie heute Abend gegen zweiundzwanzig Uhr zu erreichen?“
„In meiner Wohnung.“
„Gut. Erwarten Sie die beiden dort. Sie haben sämtliche Vollmachten.“
„Auch zur Regulierung des Schadens?“, wollte Brankov wissen.
„Was dachten Sie?“, kam es zurück. „Aber überzeugen Sie sich in der Zwischenzeit noch einmal davon, dass Sie sich nicht getäuscht haben. Auf Wiederhören.“
Kurt Brankov sah endlich einen winzigen Silberstreifen am Horizont, als er den Hörer auf den Apparat legte. Jetzt musste er nur noch Eckard Joswig über den Diebstahl informieren. Gerade als er die Nummer wählen wollte, öffnete sich die Tür, und der Filmproduzent kam ohne anzuklopfen hereingestürmt.
Joswig war Mitte fünfzig, braungebrannt und 1,80 Meter groß. Breitbeinig baute er sich vor Brankovs Schreibtisch auf. Seine Lippen zitterten, als er seine erste Frage formulierte.
„Ist es wahr?“
Brankov nickte. „Woher wissen Sie es?“
Joswig ließ sich in den breiten Besuchersessel fallen. „Jemand rief mich vor einer halben Stunde an. Er behauptete, er besäße die Hälfte der Blutigen Meute. Für eine Million D-Mark könnte ich die unentwickelten Filmrollen zurückbekommen. Was sagen Sie zu dieser Unverschämtheit?“
Brankov sank in seinem Sessel zusammen. „Verdammt!“, stieß er hervor. „Was haben Sie ihm gesagt?“
„Ich habe ihn einen Lügner genannt.“
„Der Anrufer hat die Wahrheit gesagt.“ Brankov erzählte seinem Besucher, was geschehen war. „Aber Sie können vollkommen beruhigt sein. Die Versicherung schickt mir zwei Leute. Der Schaden wird …“
„Schaden!“, entgegnete Joswig. „Mit Geld ist mir nicht gedient. Ich brauche die Filmrollen. Wenn ich die nicht zurückbekomme, kann ich einpacken. Der Streifen wurde in Italien gedreht. Die Darsteller haben inzwischen andere Verpflichtungen und …“
„Aber Moment mal“, unterbrach ihn Brankov. „Hat der Anrufer nicht gesagt, dass er sich noch einmal melden würde?“
„Natürlich hat er das. Vorher sollte ich mich aber erst einmal über den Verlust informieren, sagte er.“
„Na, sehen Sie. Dann ist ja alles in Ordnung. Wir werden die Rollen einfach zurückkaufen.“
Nachdem Arno Drews, der Chefmanager der Casibus-Versicherungsgesellschaft, über Telefon erfahren hatte, dass einige rätselhafte Umstände bei dem Diebstahl der Filmdosen im Spiel gewesen waren, regte sich in ihm das angeborene Misstrauen seines Berufsstandes. Nachdenklich ging er die Liste der Fachleute durch, die für solche Fälle infrage kamen. Keiner der versicherungseigenen Detektive schien ihm geeignet, der Sache auf den Grund zu gehen. Immerhin konnte dieser Diebstahl, falls es einer war, seine Gesellschaft einige Millionen D-Mark kosten.
Er brauchte jemanden, der sich in Berlin auskannte und außerdem die nötige Erfahrung mitbrachte, um festzustellen, ob es sich wirklich um einen Schadensfall handelte, oder um einen geschickt eingefädelten Betrug. Entschlossen nahm er den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.
Privatdetektivin Katharina Ledermacher schwitzte. Jede einzelne Pore öffnete sich. Sie hatte das Gefühl, als würde alle Flüssigkeit, die sich in ihrem Körper befand, auslaufen. Sie genoss es. Schließlich hatte sie dafür bezahlt. Katharina hockte in der Sauna. Neben ihr saß ein Mann, der mit einem Nassrasierer in seinem Gesicht herumfummelte. Es hatte den Anschein, als wolle er sich nicht nur die Bartstoppeln restlos abschaben, sondern auch die obersten Hautschichten.
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