»Wo immer du dich befindest, ist dein Ausgangspunkt.«
KABIR
Der individuelle Yoga-Stil
Vermutlich sind Sie in der Lebensmitte und voll motiviert, aber leider läuft Ihnen die Zeit hinten und vorne davon? Für viele ist es kaum möglich, sich auf einen fixen Zeitpunkt an 5–7 Wochentagen mit striktem Übungsprogramm festzulegen. In einigen Yoga-Traditionen wird zwar so verfahren, aber ich kenne nur wenige Menschen, die über die Jahre dabeibleiben. Die Yoga-Philosophie im Allgemeinen schreibt keine strikte Übungsdauer, Uhrzeit oder Ort vor, aber es ist viel die Rede von Regelmäßigkeit, Selbsterkenntnis und Akzeptanz, ebenso Hingabe, Mitgefühl und Gelassenheit.
Finden Sie die Nische im Alltag Ihrer durchgetakteten Arbeitswoche: irgendwie, irgendwo, irgendwann. Als Berufstätige, Pflegende, Mütter oder Alleinerziehende fällt es oft schwer, am Ball zu bleiben, nach einer Krankheit oder anderen Schicksalsschlägen wieder aktiv zu werden, ist besonders schwer. Viele meinen auch, ein bestimmtes Niveau halten zu müssen: Aber einem fünfzigjährigen Körper das Leistungspensum von Dreißigjährigen zuzumuten, grenzt nahezu an körperlichen Missbrauch. Es ist nie zu spät, mit Yoga zu beginnen oder die Praxis auf einem angemessenen Level fortzuführen. Experimentieren Sie und begeben Sie sich auf Ihren ganz persönlichen Yoga-Pfad mittels Übungen, die den tatsächlichen Bedingungen der transformierenden Lebensmitte entsprechen und sich einfach in den Alltag integrieren lassen: mal aktivierend, mal entspannend, hormonbalancierend, schlaffördernd oder sanft regenerierend – täglich anders, immer individuell.
Ausstrahlung statt Perfektion
Je früher wir uns den Sinnfragen stellen, desto mehr Zeit bleibt, um Veränderungen zu bewirken und sich vielleicht sogar neu zu (er-)finden. Das Ergebnis wird sicherlich nicht so perfekt wie bei (photogeshopten) Models in Hochglanz-Magazinen oder bei Leistungssportlern sein, dazu wäre ein immenser Aufwand nötig. Dieser Aufwand wäre nicht nur überproportional hoch für ein neues Selbstkonzept, in vielerlei Hinsicht lässt sich zudem mit einem allzu hohen Leistungsanspruch gar nichts erreichen. Versöhnen Sie sich stattdessen mit sich selbst und werden Sie schlussendlich so, wie das Universum Sie erdacht hat. Setzen Sie lieber auf Ihre ganz persönliche Ausstrahlung, statt sich an Perfektion abzurackern. Der Pfad des Yoga führt ohne Überanstrengung zu dem, was wesentlich, essenziell und echt ist. Authentisch leben heißt, den Wandel einzukalkulieren, nach vorne zu blicken und Altes hinter sich zu lassen. That’s real life!
Reden Sie sich nicht ein, dass Ihre fruchtbaren Tage gezählt sind. Rein biologisch sind wir zwar zur Lebensmitte hin ausgereift, haben vielleicht Kinder bekommen und die reproduktive Phase ist vollendet. Vor nicht allzu langer Zeit war ein Menschenleben zu diesem Zeitpunkt tatsächlich vollzogen, die Moderne allerdings beschert uns sozusagen eine »zweite Halbzeit«. Vielleicht, um der nachfolgenden Generation als unterstützendes Role Model zu dienen? Die Essenz unseres Lebens existiert fort, bildet im Verborgenen gar kräftige Triebe und drängt zu weiterer Entwicklung. Das Wachstum vollzieht sich nun eher auf geistiger und seelischer als auf körperlicher Ebene. Bisher vertraute Konzepte, Verbindungen und Gewohnheiten erweisen sich als überholt und wandeln sich plötzlich: Dies kann verwirren, Ängste, Krisen und Unsicherheiten auslösen, Fragen aufwerfen. Tauglich für uns ist schlussendlich, was sich nicht nur als schöner Schein erweist, sondern uns stabilisiert und damit durch den Alltag bringt.
Viele alte Kulturen würdigten diesen Abschnitt weiblicher Transformation und die Lebensreife: Die weisen Älteren und Alten, sie hatten ihren angestammten Platz in der Gemeinschaft, ihr Wissen war essenziell für die nächste Generation. Heute hingegen halten Frauen ab der Lebensmitte in zunehmendem Maße am Konzept ewiger Jugend fest, verordnen sich einen Relaunch mit teilweise absurden Verjüngungsmaßnahmen und konkurrieren mit den Jungen. Physische und psychische Signale wie Schmerz, negative Emotionen oder eben die Symptome des Reifungsprozesses werden verdrängt.
Manches Alte aber muss losgelassen werden, damit aufs Neue ein fruchtbarer Lebensabschnitt beginnen kann. Die biologische Reproduktion steht nicht länger im Vordergrund. Der Körper baut sich um wie einst in anderer Weise in der Pubertät. Die Natur fordert ihr Recht und ringt ein allzu sehr auf bisherige Rollen und Persönlichkeitsentwürfe fixiertes Ego nieder. Was bringt es jedoch, an der Mutterrolle eisern festzuhalten, wenn das Nest bereits leer ist? Der Freundeskreis oder Ihre Familie fixieren Sie? Biologische Veränderungen und damit einhergehende seelische Reaktionen können dazu führen, dass die Chemie mit dem Partner plötzlich nicht mehr stimmt. Kein Wunder: Die Hormonfabrik rüstet um. Führen wir uns die Fakten klar vor Augen, um zu begreifen, was da eigentlich genau passiert.
»Die kräftigsten Bäume wachsen oft unter den schwierigsten Bedingungen.«
UNBEKANNT
Bis etwa zum 30. Lebensjahr ist der Körper in der Aufbau- und Wachstumsphase, erreicht den physischen Zenit hinsichtlich Knochendichte, Hormonspiegel und Belastbarkeit. Dann zeigen sich allmählich erste Fältchen, die Haare verändern ihre Struktur und Fülle, die Sehkraft, Muskelmasse und Kondition nehmen ab, das Gewicht steigt möglicherweise – all dies markiert den Wandel. Etwa in der Lebensmitte, die durchschnittlich bei 40 Jahren liegt, verändert sich die Hormonsituation der Frau. Die Eierstöcke produzieren weniger Geschlechtshormone, der Eisprung setzt immer mal wieder aus, die Fruchtbarkeit nimmt ab. Die Menstruationszyklen sind in dieser Phase anfangs kürzer, dann meist länger – bis die Monatsblutung endgültig versiegt.
Die letzte Blutung wird Menopause genannt und erfolgt bei einem Durchschnittsalter von etwa 50 Jahren: Manche Frauen haben die letzte Regel bereits mit 40, mitunter auch früher, andere erleben die Menopause hingegen erst mit Mitte 50. Bis die hormonelle Umstellung komplett vollzogen ist, vergehen oft noch weitere Jahre. Diese von Frau zu Frau variierende Zeitspanne hormoneller Veränderungen wird als Wechseljahre oder Klimakterium bezeichnet. Eine Entfernung der Eierstöcke und Gebärmutter bewirkt einen ähnlichen Zustand.
Während der Menstruationszyklen in der fruchtbaren Lebensphase einer Frau balancieren sich die Hormone Östrogen und Progesteron aus: Ein Hormon fällt, während das andere ansteigt, und umgekehrt. In der Phase des natürlichen Klimakteriums sinkt zunächst der Progesteronspiegel, das Östrogen befindet sich weiterhin im Normalbereich – allerdings nun verhältnismäßig im Überschuss (Östrogendominanz). Im weiteren Verlauf sinkt das Progesteron weiter ab, und der Östrogenspiegel beginnt stark zu schwanken: In den Eierstöcken reifen nicht selten ganze Gruppen von Eizellen heran statt nur einzelner pro Zyklus. Dies erklärt übrigens die Häufigkeit von Zwillingsgeburten im fortgeschrittenen Gebäralter. Der Progesteronabfall begründet sich damit, dass immer weniger heranreifende Eizellen den kompletten Prozess des Eisprungs durchlaufen. Die weiteren weiblichen Geschlechtshormone FSH (follikelstimulierendes Hormon) und Gelbkörperhormon, die exakt an den Zyklusverlauf angepasst von der Hypophyse des Gehirns freigesetzt werden, verzeichnen ebenfalls starke Schwankungen aufgrund der unregelmäßigen Eisprünge. Kurz vor der letzten Blutung, der Menopause, stabilisiert sich die hormonelle Konzentration dieser beiden Hormone – wie eine Umstellung von Wechsel- zu Gleichstrom – auf einem höheren Level bis ans Lebensende. Wechseljahresbeschwerden sind Zeichen des variierenden Östrogen-Progesteron-Spiegels.
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