Solange uns das Schlafen keine Probleme bereitet, machen wir uns darüber auch meist nicht viele Gedanken. Ebenso selten machen wir uns klar, wie viele Stunden unseres Lebens wir gewissermaßen „verschlafen“. Pro Jahr sind es bei einem Erwachsenen etwa 3.000 Stunden, was auf die Lebensdauer des Durchschnittsdeutschen bezogen 24 Jahren entspricht. Noch einmal anders gerechnet bedeutet dies, dass Sie etwa jede dritte Stunde des Tages bei ausgeschaltetem Bewusstsein verbringen.
Dabei ist der Schlaf keineswegs ein passiver Zustand, sondern ganz im Gegenteil ein höchst aktiver Prozess, den Sie allerdings nicht bewusst registrieren – vorausgesetzt, Sie haben keine Ein- oder Durchschlafprobleme. Wer schlecht schläft, schleppt sich oft schlapp und genervt durch den ganzen folgenden Tag. Gute Schläfer hingegen sind fit und leistungsfähig, meistens auch einigermaßen stressresistent und ausgeglichen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und werden in den folgenden Kapiteln ausführlich erläutert.
Rein physiologisch betrachtet ist der Schlaf ein hochkomplexer Prozess, bei dem zahlreiche Körperfunktionen herabgesetzt, andere hingegen erst jetzt aktiv werden. Blutdruck und Pulsschlag sind verlangsamt, die Verdauung arbeitet auf Sparflamme und die Körpertemperatur nimmt ab. Andererseits werden jetzt eine ganze Reihe von Hormonen hergestellt, die ihrerseits in den Stoffwechsel eingreifen, Reparaturprozesse einleiten oder im Gehirn für Ordnung sorgen (mehr dazu S. 15f.). Im Schlaf nimmt der Mensch nichts mehr wahr, ähnlich wie in einem Betäubungszustand – mit dem Unterschied, dass Sie aus dem Schlaf jederzeit geweckt werden können.
Wie wichtig guter Schlaf für Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit ist, merkt man immer erst im Wachzustand: Zu wenig oder gestörter Schlaf zeigt spätestens dann seine Folgen, wenn der Morgen graut und Müdigkeit, Schlappheit und Konzentrationsprobleme auftreten. Auch das Aussehen leidet, der Teint ist bleich, die Haut schlaff und die Wahrnehmungsfähigkeit herabgesetzt. Man benötigt mehr Zeit, um auf Signale zu reagieren oder übersieht sie ganz. Weil das Gehirn müde ist, ist auch das Reaktionsvermögen verlangsamt. Dies kann in Extremfällen so weit gehen, dass man sich nicht mehr richtig mitteilen kann.
Doch natürlich dauert es ziemlich lange, bis unser Körper aufgibt. Zuerst leidet die gute Laune, müde Menschen sind gereizter und streitlustiger. Man fühlt sich körperlich und geistig immer weniger leistungsfähig. Hobbys und soziale Kontakte werden zunehmend vernachlässigt, das gesamte Aktivitätsniveau nimmt ab. Wer über Wochen und Monate hinweg schlecht schläft, schadet seinem Immunsystem und allen Organfunktionen und erkrankt wesentlich leichter an Depressionen, Herz-Kreislauf-Leiden, Stoffwechsel- und Autoimmunerkrankungen sowie Krebs. Menschen, die mit starken Schlafstörungen zu kämpfen haben, leiden also keinesfalls nur nachts, sondern geraten häufig in einen Teufelskreis aus Unwohlsein und Erschöpfung, Niedergeschlagenheit und schlimmstenfalls sogar Vereinsamung.
Was sagt die Schlafforschung?
Schlafforscher und Schlafmediziner können inzwischen eine ganze Reihe von Folgen dieser Schlafdefizite für Körper und Seele benennen. Allerdings können sie bis heute nicht genau erklären, warum wir überhaupt schlafen müssen. Licht ins Dunkel brachten die Untersuchungsmethoden der Gehirnforschung, die einen Blick auf die Aktivitäten der grauen Zellen während unserer Nachtruhe erlauben. Denn am Schlafgeschehen sind viele Gehirnregionen und -substanzen beteiligt.
Dem berühmten Schlafforscher Charles Czeisler gelang zuerst der Nachweis, dass wir wie alle Säugetiere vom Tageslicht beeinflusst werden, was unsere aktiven und passiven Phasen anbelangt. Als tagesaktive Lebewesen unterliegen wir also dem Einfluss von Sonnenlicht. Dieses wirkt über unsere Augen auf eine winzige Gehirnregion im Zwischenhirn: unsere innere Uhr, die Tag und Nacht in einem Rhythmus von etwas mehr als 24 Stunden tickt. Aus diesem Grund wird dieser Rhythmus auch als circadianer Rhythmus (lat. circa diem = ungefähr ein Tag) bezeichnet. Er steuert in unserem Organismus viele Körperfunktionen, wie etwa die Körpertemperatur, in einem steten Auf und Ab sowie den Wechsel von Leistungsfähigkeit und Erholungsbedürfnis.
Dieser Rhythmus ist der innere Taktgeber für jede Körperzelle: Bis zu 15 Prozent unserer Gene, die sich im Zellkern befinden, sind nur zu bestimmten Tageszeiten aktiv, genauso wie sich Hormon- und Enzymkonzentrationen, die im Stoffwechsel wirksam sind, immer wieder ändern. Im Vergleich zum Biorhythmus hat dies allerdings wenig mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus zu tun.
Unter diesem Gehirnareal, dem sogenannten suprachiasmatischen Nukleus (SCN), kreuzen sich die Sehnerven. Je nachdem ob morgens die Sonne scheint oder abends wieder untergeht, landet dort das wahrgenommene Licht. Aufgenommen wird es von speziellen Nervenzellen, die sich unter der Netzhaut im Auge befinden und einen Sehfarbstoff, das Melanopsin , enthalten. Diese Substanz kann zwar keine Farben erkennen, dafür aber zwischen Hell und Dunkel unterscheiden. Unser Ruhe- und Aktivitäts-Zyklus wird also gesteuert, indem Nervenzellen von hier aus Signale durch den Körper an hormonbildende Drüsen schicken. Diese produzieren Botenstoffe, die wiederum die Organfunktionen steuern.
Im nur 5-Cent-großen Hypothalamus, einem Abschnitt des Zwischenhirns und der obersten Steuereinheit des hormonbildenden Systems, befinden sich ganz bestimmte Nervenzellen, die den Botenstoff Hypocretin herstellen. Diese Substanz ist maßgeblich an der Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt. Eine hohe Konzentration an Hypocretin (auch: Orexin) macht uns munter, eine niedrige macht uns schlapp.
Natürlich wirken auch unser Lebensstil – also der Grad der körperlichen Aktivität in unserem Alltag, wie und wann wir unsere Mahlzeiten zu uns nehmen und woraus diese bestehen – und auch äußere Reize wie Geräusche auf unseren Schlaf-Wach-Rhythmus. Das Licht ist jedoch der stärkste Taktgeber und hilft unserem Körper, sich auch im Wechsel der Jahreszeiten an sich ändernde Außenbedingungen anzupassen. In Urzeiten, als der Alltag des Menschen ausschließlich an die Rhythmen der Natur geko ppelt war, sicherte dieser Takt das Überleben.
Wenn das Licht ausgeht, wird ein anderer Botenstoff wirksam, der in der Zirbeldrüse, dem Darm und in der Netzhaut des Auges freigesetzt wird. Die Konzentration des sogenannten Schlafhormons Melatonin steigt die Nacht über und erreicht gegen drei Uhr morgens ihren Höhepunkt. Dringt wieder Tageslicht ins Schlafzimmer oder schalten Sie das Licht an, so wird die Melatonin -Ausschüttung sofort herabgesetzt. Insofern ist das Hormon ein bedeutender Zeitgeber im Körper, der lebenswichtige Prozesse in Gang setzt, wie beispielsweise die Ausschüttung des Wachstumshormons Somatropin während der Tiefschlafphase. Zudem wirkt Melatonin antioxidativ, das heißt, es schützt Körperzellen vor der Zerstörung durch freie Radikale. Gebildet wird Melatonin aus dem Gute-Laune-Hormon Serotonin , das wiederum aus dem Eiweißbaustein (Aminosäure) Tryptophan hergestellt wird. Die Produktion dieses Gegenspielers des Melatonins wird wiederum durch Lichteinfluss angeregt. Dieser Botenstoff sorgt tagsüber für ausreichend Antrieb und bringt den Stoffwechsel in Schwung, sofern Sie genügend Zeit an der frischen Luft verbracht haben.
Im Winter dagegen, wenn die Tage kürzer sind, ist der Melatoninspiegel häufig erhöht, was dazu führt, dass man sich auch tagsüber müde fühlt oder morgens nicht richtig in die Gänge kommt. Die beste Gegenmaßnahme sind regelmäßige Spaziergänge. In manchen Fällen kann auch eine Lichttherapie helfen.
Grundsätzlich gilt: Je mehr Serotonin tagsüber produziert wird, desto besser funktioniert die hormonelle Gegensteuerung durch das Melatonin . Ein zu niedriger Melatoninspiegel hingegen kann zu Schlafstörungen führen. Alterungsprozesse, Schichtarbeit und Fernreisen (Jetlag) beeinträchtigen den Melatoninspiegel ebenfalls.
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