Auch unser Befinden beeinflussen sie und bieten so Schutz vor Depressionen. Wissenschaftler des Max-Planck-Weizmann-Labors für experimentelle Neuropsychiatrie und Verhaltensneurogenetik haben die Aufgabe von microRNAs in Nervenzellen untersucht, die Serotonin produzieren – also jenen Botenstoff, der Appetit, Schmerzempfinden oder Gefühlsregungen beeinflusst und der gemeinhin als Glückshormon gilt. Die Forscher haben dabei eine spezielle microRNA identifiziert, die im Gehirn und im Blut von depressiven Patienten im Vergleich zu Kontrollprobanden in geringeren Mengen vorkommt.
Die mächtigen, schicksalhaft wirkenden Winzlinge microRNA, auch das hat die Forschung herausgefunden, sind davon abhängig, in welchem Zustand wir sie von unseren Eltern übernommen haben, aber auch davon, was um uns selbst herum geschieht, welchen Umweltfaktoren wir ausgesetzt sind, was wir eben so erleben. Schicksal, das wir selbst in der Hand haben, ähnlich wie die schicksalhaften epigenetischen Prägungen. Was wir denken, was wir fühlen und was wir tun, das zeigt auch die evolutionäre Entwicklungsbiologie anhand der microRNA, das geht weit, sehr weit, generationenweit über die unmittelbar sichtbaren Effekte davon hinaus.
Die Übertragung der microRNA durch unsere Vorfahren auf uns kann dabei ebenso Fluch wie Segen sein, je nachdem, wie sehr diese Vorfahren im Einklang mit ihrer Umwelt, mit ihrer ganzen Umgebung und mit sich selbst gelebt und damit ihre microRNA geformt haben. Wir profitieren von dem, was sie gut gemacht haben, und es spukt durch unser Leben, was sie schlecht gemacht haben.
Doch auch hier bleibt das Schicksal wandelbar. Wir können es durch unseren eigenen Lebensstil korrigieren. Und gleichzeitig erhalten Lebensregeln, wie sie uns etwa die Heilige Schrift mitgibt, eine ganz neue, biologische, holistische Bedeutung. Sie in ihrem ursprünglichen Sinn zu befolgen, so könnte man das sehen, bedeutet, die Biologie des Lebens und damit die Anatomie des Schicksals von nicht weniger als der Menschheit an sich positiv zu beeinflussen.
Da ist übrigens noch etwas, was man erst seit Kurzem weiß: Die DNA, der Erbfaden, hat eine extrem gute Leitfähigkeit. Eine bessere Leitfähigkeit als der Draht für den Strom. Das heißt, es könnte drinnen, im Haus der Gene, Strom fließen. Lebensenergie. Was das bedeutet, muss erst erhellt werden. Ein weites Feld an Interpretationsmöglichkeiten eröffnet sich uns da.
Ein interessanter Bogen, der sich neuerdings über das Schicksal spannen lässt. Und da ist noch mehr.
Wir werden in den folgenden Kapiteln auch noch sehen, wie sehr das Immunsystem mit dem Gehirn kommuniziert und für Dinge sorgt, die wir in Unkenntnis als schicksalhaft bestimmt, abgehakt und hingenommen haben. Heute wird das durch die neu erkannten Mechanismen verständlicher.
Vorweg ein Beispiel, das zunächst ganz banal klingt: Menschen, die sich öfter im Wald aufhalten und sozusagen gute Luft atmen, sind psychisch ausgeglichener.
Ach, werden Sie sagen, wirklich? Wissenschaftlich gesehen ist Erfahrung gut, aber noch kein Grund, Dinge als bewiesen anzusehen. Ganz genau weiß man nämlich nicht, warum Bäume so gut für uns sind.
Die Forschung hat dazu Daten von 45.000 Stadtbewohnern ausgewertet: Angaben zur Wohnungssituation, zur Nähe von Grünanlagen und zu psychischen Erkrankungen. Ergebnis: Am besten wirkten sich Bäume auf das seelische Wohlbefinden aus. In Nachbarschaften von Stadtwäldern ist das Risiko von Erwachsenen, unter psychischen Problemen zu leiden, um fast ein Drittel geringer als in Gegenden mit weniger Bäumen. Auch der allgemeine Gesundheitszustand ist in der Nähe von Bäumen besser. Wiesen oder andere Grünflächen aus Büschen und Sträuchern haben diese Wirkung laut der Studie dagegen nicht.
Warum sich Bäume so positiv auswirken, ist, wie gesagt, nicht ganz klar. Ein einfacher Teil der Antwort ist sicher der Schatten, den sie spenden. Schon etwas spekulativer ist die größere Biodiversität von Bäumen im Vergleich zu Wiesen. Ein Forscherteam aus Dänemark hat jedenfalls herausgefunden, dass Kinder, die mit Natur aufwachsen, als Erwachsene zu 55 Prozent seltener psychisch erkranken als Gleichaltrige, die ohne Grün lebten.
Es muss also etwas in der Luft sein, das uns zufrieden macht oder unruhig werden lässt. Dabei könnte das Immunsystem seine Wirkung entfalten. Es registriert die Ruhe auf dem Land und die Hektik in der Stadt und gibt das an das Gehirn weiter. Das Immunsystem steht in ständigem Dialog mit der Außenwelt und auch mit dem Gehirn. Alles, was passiert, hat Auswirkungen. Gute, schlechte, wie auch immer. Unsere Umwelt bestimmt so, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, was wir tun, wie wir denken. Wie wir sind.
Das Schicksal liegt also auch in der Umwelt, die wir unsererseits beeinflussen. Im Umfeld, in dem wir uns bewegen. Es liegt in dem, was wir sehen, hören, riechen, schmecken oder ertasten. Das Immunsystem wacht über unsere Begegnungen, auch mit der Umwelt, und bietet uns nicht nur Schutz, sondern verändert Emotionen und Denkmuster im Gehirn.
Das Schicksal ist sinnlich.
Wir machen es selbst.
Diese Erkenntnisse könnten wunderschön sein, schon weil sie naturwissenschaftlich belegen, dass Gutes im Sinne etwa von Respekt vor der Umwelt Gutes bewirkt. Sie sind aber auch besorgniserregend angesichts der Respektlosigkeit, mit der wir die Natur behandeln. Denn in diesem holistischen System, in dem alles mit allem zusammenhängt, drängt sich eine bange Frage auf: Wie wird, wenn wir uns nicht rasch und gründlich ändern, dieses von uns selbst hervorgerufene Schicksal uns und die nächsten Generationen noch bestrafen?
Von der Puppe zum Puppenspieler
Also: Woraus besteht es nun wirklich, unser Schicksal?
Um sich dem großen Ganzen zu nähern, braucht es eine Bestimmung der Begrifflichkeiten und auch eine moderne Interpretation, wenn nicht sogar eine Neudefinition.
Der Duden sagt: »Schicksal – von einer höheren Macht über jemanden Verhängtes, ohne sichtlich menschliches Zutun sich Ereignendes, was jemandes Leben entscheidend bestimmt.« Vielleicht nicht ganz flockig beschrieben, aber im Sinn: Hier werkt ein Überwesen, und der Mensch ist machtlos. Höhere Gewalt kann man nicht beeinflussen.
Na ja. Das definieren wir bald neu.
Der Brockhaus sagt über das Schicksal: »Die Erfahrung, dass vieles, was dem Menschen widerfährt oder was sich in der Welt und Geschichte ereignet, nicht Resultat menschlichen Wollens und Handelns, sondern ihm von außen auferlegt ist.«
Auch das stimmt nicht mehr. Hier braucht es eine Definitionsänderung.
Wir werden sie im Laufe des Buches herausarbeiten und dann Wikipedia schenken.
Denn: Der Mensch kann das Schicksal aus eigenem Willen und Antrieb bis zu einem gewissen Grad verändern.
Der Mensch wird von der Puppe zum Puppenspieler.
Kein NPC mehr sein, darum geht es. NPC steht für Non Player Character und bezeichnet Figuren in Computerspielen, die kurzzeitig auftauchen und nichts zum Game beitragen. Sie stehen nur herum oder gehen im Kreis. Elektronische Statisten ohne Plan und Bedeutung.
Das Schicksal ist der Ablauf von Ereignissen im Leben eines Menschen. Manche sind unveränderbar wie das der Venus. Manche sind veränderbarer, als wir dachten.
Im Sprachgebrauch finden sich verschiedene Nuancen. Die passiven Formulierungen lauten: »Er wurde vom Schicksal zu etwas bestimmt.«
Sprich Fremdeinwirkung. Oder: »Das Schicksal nahm seinen Lauf.« Ja eh. Oder: »Einen Schicksalsschlag erleiden.« Ja, leider! Oder: »Das Schicksal meint es gut mit ihm.« Da kommt Freude auf. »Eine Laune des Schicksals.« Wie nett. Oder: »Sein Schicksal meistern.« Handwerklich gesehen, mit dem zurechtzukommen, was einem auferlegt worden ist.
Jedenfalls folgt das alles noch der alten Definition: Da kann man nichts machen, das ist halt so.
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