Remke van Veelen
Geschichten von Nasreddin Hodscha
Spaß am Lesen Verlag
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Der Spaß am Lesen Verlag gibt leicht lesbare Zeitungen, Bücher und informative Broschüren heraus. Mit diesen Ausgaben soll die Fähigkeit des Lesers zur Selbsthilfe gefördert werden.
Sämtliche Veröffentlichungen des Spaß am Lesen Verlags zeichnen sich durch leicht verständlichen Sprachgebrauch und deutliche Gestaltung aus.
Die Geschichten in diesem Buch wurden mündlich überliefert. Schon seit Jahrhunderten erzählen Menschen die Geschichten von Nasreddin Hodscha.
Dieses Buch erscheint in der Reihe Volkserzählungen .
Verfasser: Remke van Veelen
Deutsche Übersetzung: Bettina Stoll Translations
Gestaltung: Hans Jansens / Nicolet Oost Lievense
Illustrationen: Thomson Digital
© 2009 Spaß am Lesen Verlag, Deutschland.
Alle Rechte vorbehalten. Nichts aus dieser Ausgabe darf ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Herausgebers vervielfältigt, in einer automatisierten Datenbank gespeichert oder in irgendeiner Art und Weise – elektronisch, mechanisch, in Form von Fotokopien, Aufnahmen oder auf andere Art und Weise – veröffentlicht werden.
ISBN 978-3-944668-12-3
Die Hauptfigur in diesem Buch heißt Nasreddin Hodscha. In diesen Geschichten wird er meistens einfach „der Hodscha“ genannt, um das Buch leichter lesbar zu machen.
Nasreddin Hodscha kommt aus der Türkei.
Aus dem Dorf Akschehir.
Dort lebte er vor hunderten von Jahren, im 13. Jahrhundert.
Der Hodscha war ein wichtiger Heiliger.
Er hatte seine eigene Moschee, wo er fast jede Woche eine Predigt hielt.
Hodscha wird auf Türkisch ‚hoça‘ geschrieben.
Hoça ist das Wort für Lehrer.
Und genau das war der Hodscha, ein Lehrer.
Aber ein ungewöhnlicher Lehrer.
Fragen beantwortete der Hodscha am liebsten mit Fragen.
Probleme löste er, indem er erst noch mehr Probleme verursachte.
Und zwischendurch machte er viele Witze.
Doch letztendlich sorgte er dafür, dass alles gut endete.
Und deshalb liebten alle den Hodscha.
Immer noch ist der Hodscha für viele Menschen ein besonderer Mann.
Nicht nur in der Türkei werden noch viele Geschichten über ihn erzählt.
Auch in allen anderen Ländern im Nahen Osten.
Als Kind heißt Nasreddin Hodscha noch nicht Hodscha.
Er heißt einfach Nasreddin.
Nasreddin muss fast jeden Tag in die Schule.
In die kleine, alte Schule bei der Moschee.
Sein Lehrer ist streng.
Wie alle Lehrer damals.
Der Lehrer schlägt die Kinder, wenn sie etwas falsch machen.
Diese Strafe wird „Falaka“ genannt.
Die Kinder müssen dabei auf dem Rücken liegen.
Und Schuhe und Strümpfe ausziehen.
Mit einem Zweig schlägt der Lehrer hart auf die Fußsohlen.
Das tut sehr weh.
Das Holz schneidet in die Füße.
Die Fußsohlen brennen wie Feuer.
In der Schule gibt es keine Bänke oder Stühle.
Die Kinder sitzen auf einem Teppich auf dem Boden.
Sie lernen Suren zu singen.
Suren sind Stücke aus dem Koran.
Es wird auch Literatur und Poesie unterrichtet.
Und sogar Sternkunde.
Nasreddin erzählt während des Sternkunde-Unterrichts über den Mond:
„Gestern musste ich Wasser holen.
Aber was sehe ich da?
Den Mond! Er ist in den Brunnen gefallen!
Zum Glück liegt dort ein langes Seil.
Ich nehme das Seil und werfe es dem Mond zu.
‚Halt dich gut fest, dann zieh´ ich dich heraus!‘, rufe ich ihm zu.
Der Mond ist sehr schwer.
Ich ziehe.
Endlich kommt der Mond nach oben.
Ich ziehe aber so stark am Seil, dass ich umfalle.
Ich falle auf den Rücken.
Und wisst ihr, was ich dann sehe?
Den Mond! Der Mond ist wieder am Himmel!
Ich habe es geschafft, ich habe den Mond aus dem Wasser geholt!
Der Mond sagt ‚Danke‘.
Er schämt sich, weil er so dumm war.
Deshalb versteckt er sich hinter einer Wolke.“
Nasreddin geht jeden Tag zur Schule.
Er passt gut auf.
Eines Tages fragt ihn der Lehrer:
„Nasreddin, was ist wichtiger: die Sonne oder der Mond?“
„Der Mond“, antwortet Nasreddin sofort.
„Die Sonne geht tagsüber auf, wenn es hell ist.
Das ist einfach.
Aber der Mond geht nachts auf, wenn es dunkel ist.
Und das ist viel schwieriger.
Wir haben Angst im Dunkeln, weil man nichts sieht.
Wir haben Angst, dass es immer dunkel bleibt.
Aber dann geht plötzlich der Mond auf.
Der Mond scheint hell, und unsere Angst ist weg.
Wir wissen dann, dass es zuerst dunkel ist und dann hell wird.
Der Mond gibt uns Hoffnung.
Manchmal ist das Leben auch dunkel und schwierig.
Aber es kann immer wieder hell werden.“
Der Unterricht über den Mond geht weiter.
Der Lehrer fragt:
„Jeden Monat gibt es einen neuen Mond.
Aber was passiert mit dem alten Mond?“
Nasreddin weiß es.
„Allah wirft nie etwas weg. Er ist sparsam.
Er bricht den alten Mond in Stücke.
Die Stücke wirft er in die Luft.
Deshalb sehen wir all die Lichter im Dunkeln.
Das sind die Sterne.“
Dem Lehrer gefällt diese Geschichte.
Aber natürlich stimmt sie nicht.
Der Mond bleibt der Mond.
Wir sehen ihn nur nicht mehr.
„Du musst etwas lernen“, sagt der Lehrer.
„Nicht immer Geschichten erzählen!“
Und dann bekommt Nasreddin die Falaka-Strafe.
Es tut furchtbar weh.
Nasreddins Füße brennen wie Feuer.
Wütend sagt er:
„Nur dumme Menschen glauben, dass man mit Schlägen besser lernt.
Ein Herz brennt, weil es lernen will.
Aber wenn die Füße brennen, wollen sie nur kaltes Wasser.“
Mit zehn Jahren will Nasreddin seinem Vater nicht mehr gehorchen.
Wenn ihm sein Vater etwas sagt, macht er genau das Gegenteil.
Der Vater sagt zum Beispiel:
„Zieh dir die Schuhe an!“.
Dann zieht Nasreddin die Schuhe aus.
Oder der Vater sagt: „Geh hinüber zum Nachbarn!“
Dann bleibt Nasreddin zu Hause.
Nasreddin hat oft Streit mit seinem Vater.
Der Vater wird dann sehr böse.
Aber das hilft auch nichts.
Nasreddin tut einfach das, was ihm gefällt.
Und das ist immer das, was sein Vater nicht will.
Doch Nasreddins Vater ist nicht dumm.
Er denkt:
Ich will, dass Nasreddin zu Hause bleibt.
Also sagt er: „Nasreddin, geh zum Nachbarn und bitte um einen Topf.“
Das tut Nasreddin natürlich nicht.
Er bleibt zu Hause.
Gut, denkt der Vater.
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