»Doch.« Ich sage ihr nicht, dass ich den Truck nicht verlassen habe. Ein Teil von mir will sie verärgern. Ein anderer möchte ihr ins Gesicht schreien, dass sie nicht mehr die Kontrolle über mich hat.
»Wenn du jemals einen neuen Ehemann finden möchtest, solltest du dich von einer besseren Seite präsentieren«, informiert sie mich und schiebt sich den Riemen ihrer Fendi-Handtasche über die Schulter. Diese hat wahrscheinlich ein kleines Vermögen gekostet. Wie immer wirkt meine Mutter wie aus dem Ei gepellt – von ihren dunkel gefärbten Haaren, die sie zu einem straffen Knoten hochgesteckt und aus ihrem mit Botox verjüngten Gesicht frisiert hat, bis zu ihren flachen schwarzen Schuhen mit dem goldenen Fendi F darauf. Sie passen perfekt zu ihrer Tasche und ihrem Gürtel, ihrer schwarzen Hose und der weißen Bluse, die wahrscheinlich mit so viel Wäschestärke bearbeitet wurde, dass sich nicht einmal die kleinste Falte in ihre Nähe traut.
»Wie gut, dass ich keinen Ehemann suche.« Ich verdrehe die Augen und höre meinen Vater schnauben, als würde er sich ein Lachen verbeißen. Unsere Blicke begegnen sich und als ich sein warmes Lächeln sehe, wünschte ich, es wäre echt. Aber dem ist nicht so. Wenn er getrunken hat, wirkt er süß, lustig und nett, aber so ist er nicht wirklich. Rücksichtslos, kalt, unversöhnlich und gefühllos trifft es eher. Jekyll und Hyde sind nichts gegen ihn. Während meine Mutter ihre Missbilligung offen zur Schau stellt, versteckt mein Vater seine im Rausch. Sobald er wieder nüchtern ist, kommt sie wieder zum Vorschein.
»Ermutige sie nicht noch, George«, schnauzt Mom, als ich zur Tür gehe und meinen Schlüssel aus meiner Tasche hole.
»Sie ist lustig, Beatrice«, murmelt er, als ich die Tür öffne und das Licht anschalte.
»Ich dachte, du hast ein Umzugsunternehmen engagiert«, sagt Mom missbilligend, als sie mir in die Küche folgt.
»Habe ich auch.« Ich lasse meine Tasche auf die Couch fallen und drehe mich zu ihr um, während sie sich umschaut.
»Und du hast ihnen gestattet, deine Sachen in deiner Küche und im Flur stehen zu lassen?«
»Das Wohnzimmer muss noch gestrichen und ein Teppich verlegt werden. Ich fand es zwecklos, die Möbel schon dort hinzustellen, wenn sie bald wieder wegmüssen«, informiere ich sie und frage mich, ob ich nach dem, was vorhin mit Tide passiert ist, ein anderes Bauunternehmen suchen muss. Bei dem Gedanken, ihn nicht wiederzusehen, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen.
»Das macht Sinn, Schatz«, meint Dad, als er umhergeht und die anderen Räume einer Musterung unterzieht. »Es ist kleiner als dein und Joshs Haus in San Francisco«, betont er, als sich unsere Blicke treffen.
»Ja«, lautet mein einziger Kommentar, denn was soll ich mehr dazu sagen? Das Haus, in dem Josh lebte, war riesig. Es hatte mehr Platz, als man als frisch verheiratetes Paar braucht, aber wir kauften es, da ich eine eigene Familie gründen wollte. Damals war ich überzeugt, dass ich ihn und er mich lieben würde. So sehr ich mir ein eigenes Kind wünschte, bin ich heute froh, dass Josh mit der Familiengründung noch warten wollte. Auch wenn mir seine Entscheidung damals sehr wehgetan hat. Dabei spielte er bei meiner Familienplanung keine so große Rolle. Ich brauchte einfach Menschen, zu denen ich gehöre und die zu mir gehören. Punkt.
»Hast du mit ihm gesprochen?«, will Dad wissen, setzt sich auf das Sofa und stellt eine Tasche, die ich vorher nicht bemerkt habe, neben sich ab.
»Nein, wir haben nichts zu reden.« Ich lehne mich zurück und verschränke die Arme vor der Brust.
»Er erzählte mir, er hätte dich angerufen«, berichtet Mom mit einem Seufzer, der mich noch mehr aufregt. »Er macht sich Sorgen um dich.«
»Das bezweifle ich. Gemeinsamen Bekannten zufolge hat er viele Dates und genießt sein Leben in vollen Zügen.«
»Er ist single. Du kannst ihm keinen Vorwurf machen, weil er sich verabredet.«
»Mom, es ist mir egal, was er tut«, entgegne ich so neutral wie möglich, auch wenn ich am liebsten schreien würde.
»Natürlich interessiert es dich. Du hast ihn geliebt.«
»Habe ich nicht ... Ich glaube nicht einmal, dass ich weiß, was Liebe ist. Jede Beziehung, die ich in meinem Leben hatte, war toxisch und stets an irgendwelche Bedingungen geknüpft. Nach dem Motto: Tu das, benimm dich so und kauf mir das, dann werde ich dich lieben . Niemand hat mich jemals um meinetwillen gemocht, mit meinen Fehlern und Schwächen.«
»Beatrice, du musst diese Idee endlich loslassen. Aria und Josh werden wieder zusammenkommen, wenn sie füreinander bestimmt sind, sonst nicht«, wirft Dad ein. Seine Aussage weckt in mir die Frage, ob er das von sich und Mom glaubt. Immerhin hatte sie während ihrer dreißigjährigen Ehe nicht nur mehrere Affären, sondern auch emotionale Beziehungen zu anderen Männern.
»Hast du wenigstens noch vor, zu unserer Party am Ende des Sommers zu kommen, auch wenn Josh da sein wird?«
Oh Gott, wie könnte ich diese Feier je vergessen? Sie findet jedes Jahr statt, seit ich mich erinnern kann. Während ich mit meinem Ex zusammen war, musste ich da stets auftauchen. Natürlich hat Mom ihn eingeladen, obwohl wir geschieden sind. »Kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen. Das hängt von meinen Verlagsfristen ab«, lüge ich, denn ich habe momentan gar keine.
»Es ist ein Abend. Ich bin sicher, dass du einen Weg findest, vorbeizuschauen.« Sie blickt auf ihre Uhr, dann sieht sie sich um. »So, zeig uns jetzt dein Haus. Dein Vater und ich treffen uns gleich noch mit Freunden zum Dinner.«
Ich verbeiße mir einen herben Fluch und führe sie durch die Räumlichkeiten. Während des Rundgangs schwöre ich mir, morgen etwas Salbei zu bestellen, um den Raum von ihren Energien zu befreien.
5. Kapitel
Tide
Kaum habe ich das Rusty Rose betreten, steuere ich auf direktem Wege die Bar an. Nach der Sache mit Aria brauche ich ein Bier, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ehrlich gesagt, habe ich null Ahnung, was zur Hölle da passiert ist. Ich hätte nicht so heftig reagieren sollen, als sie meinte, ich solle mich besser auf den Heimweg machen. Sie war eindeutig nicht glücklich über das Auftauchen ihrer Eltern. Was nichts an meiner Wut ändert oder daran, dass ich diese gezeigt habe.
Da ich hier aufgewachsen bin, kenne ich die Spencers schon mein ganzes Leben – sie sind seit jeher herablassende Schnösel. Inzwischen bin ich mir sicher, dass Aria mich nur vor ihrer Gesellschaft bewahren wollte, aber vorhin fühlte es sich an, als wäre es ihr peinlich, mit mir gesehen zu werden. Selbst wenn, sollte es keine Bedeutung für mich haben; sie ist nicht meine Freundin. Wir kennen uns nicht. Ich arbeite nur an ihrem Haus – zumindest rede ich mir das immer wieder ein.
»Was ist los, Mann?« Colton begrüßt mich mit einem Fistbump, und ich setze mich auf einen der Stühle am Tresen, hinter dem er beschäftigt ist. »Ich dachte, du musst heute Abend arbeiten.«
»Das war der Plan, aber dann ist das Ganze irgendwie den Bach runtergegangen.« Oder besser gesagt: Ich habe es verbockt.
»Inwiefern?« Er macht mir ein Bier auf, lehnt sich gegen die Bar, verschränkt die Arme vor der Brust und mustert mich.
»Erinnerst du dich an Aria Spencer?«
Er runzelt die Stirn. »Aus der Highschool?«
»Ja.« Ich genehmige mir einen Schluck. »Sie ist vor kurzem wieder hierhergezogen und ich repariere aktuell einige Dinge an ihrem Haus.«
Er legt den Kopf schief und eine steile Falte bildet sich zwischen seinen Brauen. »Ich dachte, sie würde zusammen mit ihrem Ehemann in San Francisco leben. Zumindest hat das ihr Vater das letzte Mal erzählt, als er auf genau dem gleichen Platz saß, wie du jetzt.«
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