»Gestern Abend hätte ich nicht so reagieren sollen, als du mich gebeten hast, zu gehen.« Ich umrunde die Couch, die noch mitten in der Küche steht, und stelle eine Papiertüte auf der Anrichte ab.
»Hättest du nicht?«
Ich drehe mich zu ihr um und sehe, dass sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr schiebt. Mein Eingeständnis scheint sie zu überraschen.
»Nein, hätte ich nicht«, bestätige ich und mache mich daran, die Bagels und den Frischkäse auszupacken.
»Sind die von Leo’s ?«, fragt sie und kommt zu mir rüber.
»Ja. Hast du einen Toaster?« Als sie an mir vorbeigreift, um ihren Becher auf die Anrichte zu stellen, spüre ich, wie sie ihre Brust gegen meinen Bizeps drückt, und der Duft von Lavendel steigt mir in die Nase. Der unschuldige Kontakt sollte mir nicht derart nahe gehen, aber mein Schwanz regt sich und ich kämpfe dagegen an, meinen Arm um ihre Taille zu legen und sie an mich zu ziehen, um meinen Mund auf ihren zu pressen.
»Ja.« Sie steuert einen der Kartons an und reißt das Klebeband ab, nicht ahnend, welche Richtung meine Gedanken eingeschlagen haben. »Er befindet sich in einer der Schachteln ... oder sollte es zumindest«, sagt sie, als sie hineinspäht und etwas rauszieht, das wie eine zusammengerollte Halloween-Girlande aussieht, die besser im Müll gelandet wäre. »Möglicherweise bin ich nicht sonderlich klug vorgegangen, was die Organisation der Umzugskisten betrifft, als die Möbelpacker hier waren.« Sie pustet sich eine rotblonde Strähne aus dem Gesicht und lässt den Girlandenklumpen auf den Boden fallen. Dann wühlt sie tiefer in dem Karton herum, bevor sie den Deckel schließt und den nächsten öffnet. Als sie Anstalten macht, noch weiterzusuchen, halte ich sie auf.
»Wir können einfach den Herd benutzen. Wenn du Pech hast, ist der Toaster in deinem Schlafzimmer oder sonst wo.«
»Da hast du vielleicht recht.« Sie lächelt und die Haarsträhne, mit der sie schon die ganze Zeit kämpft, fällt ihr wieder ins Gesicht. Ohne nachzudenken, berühre ich ihre Wange. Als ich die Haare zurück hinter ihr Ohr schiebe, zieht sie scharf die Luft ein. Mein Blick heftet sich auf ihren verlockenden Mund, und sie weicht rasch einen Schritt zurück, ohne zu bemerken, dass sich die Armlehne der Couch hinter ihr befindet.
»Mist.« Ich greife nach ihr, um zu verhindern, dass sie darüber stolpert, aber zu spät. Keine Ahnung, was ich erwartet habe, jedenfalls nicht, dass sie so herzlich über ihren Sturz lacht. Fröhlich stimme ich mit ein, ehe ich um das Sofa herumgehe. »Alles okay?«
»Ja, aber ich muss dieses Ding endlich aus der Küche schaffen.« Sie nimmt meine Hand, als ich sie ihr hinhalte, um ihr beim Aufstehen zu helfen, dann rückt sie ihr Top und ihre Shorts zurecht. »Danke.«
»Kein Problem.« Sie blickt zu mir auf, und ich bemerke erstaunt, wie sich ihre Wangen rosa färben. Ich glaube, ich habe seit meiner Kindheit keine Frau mehr rot werden sehen. Diese unschuldige Reaktion berührt mich und macht Aria nur noch attraktiver. Da ich nicht möchte, dass sie sich unwohl fühlt, trete ich einen Schritt zurück, drehe mich zum Herd und schalte ihn ein. »Wie ist es gestern Abend mit deinen Eltern gelaufen?«
»Mein Vater war betrunken und meine Mutter abwertend wie eh und je, also lief es so, wie du es dir vorgestellt hast.« Angesichts ihrer Worte ziehe ich eine Braue hoch und schaue sie über meine Schulter hinweg an. »Du lebst schon ewig hier. Ich bin mir sicher, dass du bereits die Unannehmlichkeit hattest, meinen Eltern zu begegnen.« Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum, als ich anfange, einen der Bagels in zwei Hälften zu schneiden. »Das ist der einzige Grund, warum ich dich gestern Abend nicht bat, reinzukommen.« Die Worte schießen so schnell aus ihr heraus, dass sie beinahe nicht zu verstehen sind.
»Was mir klargeworden ist, als ich in Ruhe darüber nachdenken konnte.«
»Wirklich? Aber ...«
»Meine Reaktion war falsch, und du hattest recht. Ich kenne deine Eltern, und auch wenn es unbedeutend sein sollte ...«
»Du dachtest, ich würde mich schämen, mit dir gesehen zu werden«, unterbricht sie mich, und ich nicke bestätigend. »Dabei habe ich dich eigentlich gerettet.« Seufzend greift sie nach ihrem Kaffeebecher. »Nicht einmal ich möchte Zeit mit meinen Eltern verbringen, also will ich erst recht niemand anderen damit foltern.«
»Ihr versteht euch nicht?«
»Ich bin ihnen gleichgültig. Ich wünschte, es wäre anders, aber sie gehören nicht zu den Menschen, zu denen ich eine Beziehung haben möchte. Dank unserer gemeinsamen DNA habe ich aber keine andere Wahl.«
»Das ist ätzend, Baby.« Eine Untertreibung. Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen, weil ich sehr eng mit meiner Familie verbunden bin. Mein Vater und ich stehen uns nahe, und meine Mutter geht immer noch genauso liebevoll mit mir um wie früher. Dann ist da noch meine Schwester, die eine meiner besten Freundinnen ist, auch wenn sie auf der anderen Seite des Landes lebt.
»Es ist, wie es ist.«
»Warum bist du hierher zurückgezogen, wenn euer Verhältnis so verfahren ist?«
»Es war der einzige Ort, der sich richtig anfühlte, nachdem ich beschloss, San Francisco zu verlassen.« Sie macht es sich auf der Anrichte bequem. »Mir war klar, dass ich meine Eltern ab sofort mindestens alle drei Monate zu Gesicht bekäme, sobald ich keine Ausreden mehr habe, ihnen weiterhin aus dem Weg zu gehen. Als ich in Kalifornien lebte, war das allerdings nicht anders, und diese Besuche überlebte ich auch. Vermutlich habe ich mir damit ins eigene Fleisch geschnitten. Mit Sicherheit erwarten sie jetzt, da ich wieder hier bin, dass ich mich bei ihren Partys blicken lasse. Ich habe mir aber geschworen, nur noch Dinge zu tun, die ich wirklich möchte, und ich weigere mich vehement, dieses Versprechen an mich selbst zu brechen.«
»Alle Achtung«, erwidere ich stolz.
»Danke«, flüstert sie zurück, als ich eine Pfanne aus dem Abtropfgitter neben dem Waschbecken nehme, die Bagels hineinlege und sie in den Ofen schiebe.
»Also, was hast du heute vor?«
»Ähm ...« Sie sieht sich um. »Auspacken und heute Nachmittag muss ich mit meiner Agentin telefonieren.«
»Agentin?«
»Für meine Bücher.« Sie zuckt mit den Schultern. »Sie steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch, weil ich ihr noch keine Idee für eine weitere Reihe geliefert habe, und mein Verlag möchte, dass sie ihnen etwas Neues vorstellt.«
»Welche Geschichten schreibst du?«
»Science-Fiction.«
»Science-Fiction«, wiederhole ich, unfähig, meine Überraschung zu verbergen. Aria zieht eine Braue hoch. »Entschuldige, ich dachte, du würdest Liebesromane sagen. Ich wusste nicht, dass du auf Science-Fiction stehst.«
»Nun, Sir, wir kennen uns auch nicht, und ich schreibe tatsächlich so was wie Liebesgeschichten. Jedes meiner Bücher dreht sich um zwei Protagonisten, die aufeinandertreffen, um das Böse zu bekämpfen. Im Laufe der Handlung verlieben sie sich ineinander, was sie meistens stärker und letzten Endes unbesiegbar macht.«
»Verstanden.« Ich lehne mich mit der Hüfte gegen die Anrichte. »Woran arbeitest du gerade?« Mein Interesse wird nur noch größer, als sich ihre Wangen dunkelrot färben.
»Momentan an nichts Bestimmtem. Ich ... Ich habe einfach versucht, einen Entwurf für meine Agentin zu erstellen.«
»Ist dir etwas Passendes eingefallen?« Ich drehe mich zum Ofen und öffne ihn, um nach den Bagels zu schauen. Da sie goldbraun sind, nehme ich ein Küchenhandtuch und hole die Pfanne heraus.
»Nicht wirklich«, antwortet Aria und klingt ein wenig von den Socken, als sie fortfährt. »Warum habe ich nie daran gedacht, meine Bagels im Ofen zu rösten?«
»Wahrscheinlich, weil du immer einen Toaster benutzt hast.« Ich grinse. »Ich bin ebenfalls single und besitze keinen Toaster.«
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