Der Kommandant fügte sich diesem Rate, und die ›Resolute‹ erhielt Befehl, sich der Insel Kumbeni zu nähern. Am Vormittag des 16. April wurde der Ballon inmitten einer Lichtung der großen Wälder in Sicherheit gebracht.
Man pflanzte zwei achtzig Fuß hohe Masten auf, welche in derselben Entfernung voneinander aufgestellt wurden; Rollen, die an ihren oberen Enden spielten, gestatteten, das Luftschiff mithilfe eines transversalen Taues zu heben; es war zur Zeit noch nicht aufgebläht, und der innere Ballon dergestalt oben an dem äußeren befestigt, dass dieser wie jener emporgehoben werden konnte. An den unteren Teil jedes Ballons wurden die beiden für den Wasserstoff bestimmten Leitungsrohre angelegt.
Der 17. April ging damit hin, den Gaserzeugungsapparat zu ordnen. Er bestand aus dreißig Tonnen, in welchen die Zersetzung des Wassers dadurch bewirkt wurde, dass man altes Eisen und Schwefelsäure mit einer großen Menge Wasser in Verbindung brachte. Nachdem der Wasserstoff auf seinem Durchgang gewaschen worden war, trat er in einen ungeheuren Zentralbehälter ein und gelangte von dort durch die Leitungsröhren in jedes der Luftschiffe. So wurden beide Ballons mit einer genau bestimmten Menge Gas angefüllt.
Für diese Operation musste man 1.870 Gallonen Schwefelsäure, 16.050 Pfund Eisen und 966 Gallonen Wasser verwenden. Diese Operation begann in der folgenden Nacht gegen drei Uhr morgens, und sie nahm beinahe acht Stunden in Anspruch.
Am folgenden Morgen schwebte das Luftschiff, mit seinem Netz bedeckt, anmutig über der durch eine große Zahl von Sandsäcken zurückgehaltenen Gondel. Der Aufblähungsapparat wurde mit äußerster Sorgfalt in Tätigkeit gesetzt und die von dem Luftschiff ausgehenden Röhren genau an dem zylindrischen Kasten befestigt. Anker, Stricke, Instrumente, Reisedecken, Zelte, Lebensmittel und Waffen mussten an den ihnen angewiesenen Plätzen in der Gondel untergebracht werden. Der Wasservorrat wurde aus Sansibar herbeigeschafft und die 200 Pfund Ballast, in fünfzig Säcke verteilt, im unteren Raum der Gondel, jedoch so, dass man sie leicht erreichen konnte, aufgestaut.
Diese Vorbereitungen hatten gegen fünf Uhr abends ihr Ende erreicht, Posten hielten fortwährend um die Insel herum Wache, und die Boote der ›Resolute‹ durchfurchten den Kanal nach allen Seiten.
Die Neger fuhren indessen fort, ihren Zorn durch Geschrei, Grimassen und wunderliche Körperverdrehungen an den Tag zu legen. Zauberer eilten unter den gereizten Gruppen hin und her, ihre Wut zu hellen Flammen anschürend, und einige Fanatiker versuchten, die Insel schwimmend zu erreichen, wurden jedoch zurückgeworfen. Alsdann begannen die Zaubersprüche und Beschwörungsformeln. Die Regenmacher, welche vermeinen, den Wolken gebieten zu können, riefen die Orkane und ›Platzregen von Steinen‹[4] zu ihrer Hilfe herbei. Dazu pflückten sie Blätter von allen verschiedenen Bäumen des Landes ab und ließen sie bei gelindem Feuer aufkochen, während man einen Hammel schlachtete, indem man ihm eine lange Nadel ins Herz bohrte. Aber trotz ihrer Zeremonien blieb der Himmel klar, und sie hatten ihren Hammel umsonst geschlachtet und ihre Faxen vergebens gemacht.
Die Neger ergingen sich nun in rasenden Orgien, indem sie sich mit ›Tembo‹, einem dem Kokosnussbaum extrahierten Likör, und in einem außerordentlich zu Kopfe steigenden Bier, ›Togwa‹ genannt, berauschten. Ihre Gesänge ohne eigentliche Melodie, aber in sehr genauem Takt vorgetragen, folgten einander bis tief in die Nacht hinein.
Gegen sechs Uhr abends vereinigte ein letztes Mahl die Reisenden am Tische des Kommandanten und seiner Offiziere. Kennedy, den niemand mehr befragte, flüsterte ganz leise unverständliche Worte vor sich hin. Er ließ Doktor Fergusson nicht aus den Augen.
Bei dieser Mahlzeit ging es übrigens recht traurig zu. Das Herannahen des erhabenen Augenblicks flößte allen quälende Erwägungen und beunruhigende Gedanken ein. Was behielt das Schicksal den kühnen Reisenden noch vor? Würden sie sich je inmitten ihrer Freunde am häuslichen Herde wiederfinden? Wenn die Beförderungsmittel sie im Stich ließen, was sollte unter den wilden Völkerstämmen, in jenen unerforschten Gegenden, vielleicht tief in unermesslichen Wüsten aus ihnen werden?
Diese bis dahin nur zeitweilig auftretenden Gedanken, die man immer bald wieder zurückgedrängt hatte, ließen sich jetzt aus der so heiß erregten Fantasie nicht mehr verscheuchen. Doktor Fergusson, immer kühl und ruhig, sprach von diesem und jenem; aber er versuchte vergebens, die Traurigkeit, welche sich aller bemächtigt hatte, zu zerstreuen. Da man einen feindlichen Angriff gegen die Person des Doktors und seiner Begleiter befürchtete, schliefen sie alle drei an Bord der ›Resolute‹. Um sechs Uhr morgens aber verließen sie ihre Kajüte und begaben sich zu der Insel Kumbeni.
Der Ballon wiegte sich leicht im Hauch des Ostwindes. Die Sandsäcke, welche ihn hielten, waren durch zwanzig Matrosen ersetzt worden. Der Kommandant Pennet und seine Offiziere wohnten dieser feierlichen Abfahrt bei. In diesem Augenblick ging Kennedy plötzlich auf den Doktor zu, fasste ihn bei der Hand und sagte:
»Es ist also entschieden, Samuel, dass du abfährst?«
»Ganz entschieden, mein lieber Dick.«
»Ich habe doch alles, was in meinen Kräften stand, getan, um diese Reise zu verhindern?«
»Das bezeuge ich dir.«
»Dann kann ich mein Gewissen in Bezug auf diesen Punkt beruhigen, und – ich begleite dich.«
»Ich habe mich darauf verlassen«, antwortete der Doktor, und man konnte in seinen Gesichtszügen eine gewisse Rührung lesen.
Der Augenblick des Abschieds kam heran. Der Kommandant und seine Offiziere umarmten tief bewegt ihre unerschrockenen Freunde, ohne den würdigen, stolzen, hocherfreuten Joe auszuschließen, und jeder der Anwesenden wollte dem Doktor noch seinerseits kräftig die Hand drücken.
Um neun Uhr nahmen die drei Reisegefährten in der Gondel Platz. Der Doktor zundete sein Knallgasgebläse an und vergrößerte die Flamme, um eine rasche Hitze hervorzubringen, worauf der Ballon, welcher sich auf der Erde in vollkommenem Gleichgewicht gehalten hatte, nach Verlauf einiger Minuten anfing, sich zu heben. Die Matrosen mussten etwas von den ihn zurückhaltenden Stricken ablassen, und die Gondel erhob sich um etwa zwanzig Fuß. Der Doktor stand zwischen seinen beiden Begleitern, nahm den Hut ab und rief:
»Meine Freunde, geben wir unserem Luftschiff einen Namen, der ihm Glück bringe! Es heiße, die ›Viktoria‹!«
Ein laut schallendes Hurra erklang:
»Es lebe die Königin! Es lebe England!«
In diesem Augenblick wuchs die emportreibende Kraft des Ballons außerordentlich. Fergusson, Kennedy und Joe winkten ihren Freunden ein letztes Lebewohl zu.
»Lasst alles los!«, rief der Doktor.
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