Auf ins Büro von Vadim Langholtz, dem Aufsteiger des Jahres in der Ettstraße. Der war Preuße, kam mit unheimlich vielen Vorschusslorbeeren von Berlin nach Bayern und man sagte, er sei der Beste, den München je hatte und haben würde und überhaupt. Überflieger. Seit ich mit dem mal eine lange Nacht lang durch die angesagten Münchener Clubs gezogen war, stand er auf München und mich. Oder umgekehrt. Auf mich und München. Nein, er war keiner vom anderen Ufer, aber irgendwie hatte ich es ihm angetan. Und er mochte Fanny. Nicht unwichtig.
»Vadim, du musst mir helfen. Bitte. Ich weiß, dass du einen besonderen Draht zu einer Dame im gehobenen Dienst in Wiesbaden hast. Den Draht müssen wir jetzt anzapfen. Nein, bevor du mich fragst, ich habe noch gar nichts in der Hand und auch sonst ist mein Ansinnen einigermaßen nebulös, aber ich glaube, daraus könnte sich was Großes entwickeln. Und wenn das so sein sollte, dann bist du der nächste Polizeipräsident Bayerns, mindestens. Das verspreche ich dir!«
Langholtz saß mit versteinerter Miene in einem Sessel, der definitiv nicht auf Münchener Polizeimist gewachsen war. Die Beine hatte er, leicht verschränkt, auf dem zum Sessel passenden Papierkorb platziert und jeder, der durch sein Revier lief, konnte sich an seinen goldgelben Boots entweder ergötzen oder aber den Kopf schütteln. Er schaute kurz zu mir hoch, um dann sofort wieder in seine Denkerstarre zu verfallen. Fanny hatte ihm ungefragt seinen massigen Schädel auf den Oberschenkel gelegt. Einfach so. Ein Blutstau würde in Kürze seine Beine einschlafen lassen … Der Tosa-Inu-Schlawiner hatte mitgedacht. Er wusste, dass Vadim ihn mochte. Und schon kraulte Herr Preußen-Hauptkommissar mein Riesenviech. Auf meine Bitte reagierte er bisher gar nicht. Der saß da, war handgreiflich vertieft in Fannys Locken und mir nicht bekannte Gedanken.
»Sorry, was willst du? Hallo Doktor! «
Jetzt schreckte er hoch, Fanny blickte ihn vorwurfsvoll an und sagte: »Nimm endlich Fanny weg. Sonst komme ich gar nicht mehr zum Nachdenken! Wie war der Urlaub, was willst du?« Er wiederholte sich. Abwesenheit.
Zwei Fragen auf einmal. Ich gab ihm Antwort auf eine:
»Jacob Folgmann. Ich will alles, alles was du mit deinen besonderen Connections zum BKA hast, über den Mann wissen. So schnell es geht, machst du das für mich? Du erzähltest mir von deinem Tête-à-Tête mit der rassigen Dame, die dich eines Nachts in Berlin überfiel … Die meinte ich eben, als ich dich mit meinem Ansinnen überfiel, mir zu helfen. Machst du das?«
»Bist schon ein komischer Typ, Doktor. Haust ab in die Welt, schickst mir nicht mal ‘ne SMS, tauchst nach Monaten wieder auf und baggerst mich ohne Vorrede um Hilfe an. Ich sitze gerade an einem total außergewöhnlichen Fall. Den zu lösen, das ist für mich wichtig. Was geht mich der Folgmann an? Hau ab, lass Fanny hier. Ich rufe dich an, wenn ich was habe, okay?!«
Fanny schaute ihn an, als sei er die tolle Lola aus dem ›Tiberio Palace‹ auf Capri. Das war Vadim Langholtz denn doch zu viel und er schob seinen Freund weg. »Dann geh halt mit deinem unverschämten Herrchen, so sehr bin ich nun doch nicht in dich verliebt!«
»Danke. Beeil dich bitte …«
Enttäuscht verließ Fanny die Ettstraße.
DRAGOMIR war in Hochstimmung. Zwar hatte ihm die letzte Nacht ziemlich zugesetzt, dennoch war er gutgelaunt. Er hatte einen Kopf wie mindestens drei ausgewachsene Ochsen – dabei war er nur ein Ochse. Wieder einmal hatten sie sich die Kante gegeben, bis sie nicht mehr konnten. Gesoffen bis zur Bewusstlosigkeit. Er wusste, dass das unvernünftig war, doch die Mitteilung über den Tod desjenigen, den er vollends beerben wollte, war übergroß gewesen.
Mit noch immer schwerem Kopf griff er sich das Handy und rief eine Nummer in Großbritannien an.
»Was hältst du davon, wenn ich mich jetzt gleich in den Flieger setze und zu dir komme?«
»Du weißt noch nicht, was geschehen ist?«
»Nein, du wirst es mir sagen.«
»Mein Mann ist überfällig. Er hat sich seit seiner Abreise noch nicht gemeldet.« Besorgt klang anders. Duchess Heaven-Hailey Ashtenholm, gerade einmal 27 Jahre alt und seit zweiundsechzig Monaten die neue Ehefrau des Duke und nun Witw … ?
UM kurz vor zwölf lockte ich Fanny mit einem Blick, den der gut verstand, mich zu begleiten. Wir gingen die paar hundert Meter zum Anwesen von Folgmann am Hochufer der Isar. Fanny trabte betrübt hinter mir her. Lola lockte leider noch immer. Er war geknickt. Ich musste ihn aufmuntern. »Fanny, gleich wird es spannend und ich brauche deine Unterstützung. Wir treffen den ‚Schwebenden‘, nein, seine Frau, alles klar?!«, belog ich meinen Freund. Fanny grinste. Vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. Ich hatte mich nicht extra aufgemotzt, nur eine Jeans an, T-Shirt und einen königsblauen Pulli über die Schulter geworfen, der mit den – ebenfalls königsblauen – Sneakers perfekt harmonierte, wie Anna, die mir beides geschenkt hatte, meinte, denn die Klamotten waren noch ziemlich neu. In der Linken hatte ich den Umschlag mit der Kohle, die mir der Werbekönig als Anzahlung für meinen Job gegeben und in den ich nicht mal reingeschaut hatte, die Rechte lag inzwischen auf Fannys Kopf. Er hatte sich mir unauffällig angenähert. Liebeskummer muss was Schreckliches sein …
Sekunden nachdem ich geläutet hatte, erschien das wunderschöne asiatische Wesen in der Tür. Ihr mir höflich und lächelnd entgegengebrachtes ‚Wai‘ erwiderte ich mit gleicher Geste. »Bringen Sie mich bitte zu Frau Folgmann«, flirtete ich sie mit dem charmantesten Blick an, den ich aufsetzen konnte. Sie schwieg, verbeugte sich erneut, lächelte noch mehr und bat mich ihr zu folgen. Wieder ging es vorbei an der Gemäldegalerie, diesmal nicht in den mir schon bekannten Salon, sondern in den der Dame des Hauses. Da saß die Königin und Gemahlin des Königs der Sprüche, ihre langen, leider nicht perfekten, da ein wenig krummen Beine elegant übereinander drapiert, auf einem weinroten Sessel in einem weinrot gehaltenen Salon, der eher an das Entrée eines Edelpuffs erinnerte, wenn da nicht die echten Gemälde an den Wänden gewesen wären. Picasso, Richter, Dali. Die Folgmann trug ein – ebenfalls königsblaues – Minikleid, das mit meinem Pulli korrespondierte, dass es mir fast peinlich gewesen wäre. „Geihnixsplau“, wie die Dresdner sagen würden. Das Modediktat des Jahres hatte auch die Dame des Hauses erreicht. Ich verfluchte für einen Moment Anna und ihre lieb gemeinten Geschenke.
Kühl begrüßte ich die Kühle:
»Ich war eigentlich mit Ihrem Mann verabredet, Frau Folgmann, falls Sie sich entsinnen können …?!«
Sie schlug erneut ihre Beine über. Nun das rechte über das linke. Die Geste kannte ich aus einem Film mit Sharon Stone … Die hier hatte definitiv nichts unter dem teuren Minifetzen an … Lassen wir das. Dabei lächelte sie mich mit ihren schmalen, aber unverkennbar gebotoxten Lippen an, und ihre Augen sagten definitiv: „Nimm mich, oder ich fang‘ dich“.
Ekelhaft.
Sie hielt sich für unwiderstehlich. Ich schien ihr Typ zu sein, wenn sie denn überhaupt Männer nach Typus unterschied und nicht nach …
»Mein Mann kommt leider erst später oder morgen aus der Klinik. Ich sagte es Ihnen. Es tut mir leid, Herr Richter, die Klinik …« Und schon wieder schlug sie ihre langen, leicht krummen Stelzen auffällig entgegengesetzt übereinander, links über rechts, nicht ohne mir einen noch auffälligeren Blick auf das den Beinen Folgende zu gewähren.
Ja, ja, die ‚Klinik‘! Luder!
»Macht nichts. Ich wohne nur ein paar Meter weiter. Fanny, komm, lass uns gehen. Ich versuche es dann um vierzehn Uhr noch mal, wenn Sie das bitte Ihrem Mann ausrichten würden.«
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