»Yvonne hatte in ihrem ganzen Leben noch nie einen Feind«, stellte Blake Bercone mit erhobener Stimme klar. Es schien ihm sehr wichtig zu sein, dass wir das zur Kenntnis nahmen. »Sie war stets bemüht, mit allen gut auszukommen, und das gelang ihr auch in so gut wie allen Fällen.«
»Und wenn es ihr mal nicht gelang?«, hakte Milo nach.
»Dann ging sie dieser Person einfach aus dem Weg«, sagte Bercone.
Es entstand eine kurze Pause.
Dann bemerkte mein Partner: »Sie haben sich bestimmt schon ungezählte Male gefragt, warum das gestern passiert ist, Mr. Bercone.«
Der Sport-Moderator nickte mit finsterer Miene. »O ja, das habe ich.«
»Und was für eine Antwort haben Sie sich darauf gegeben?«
»Keine Antwort, Agent Tucker«, antwortete Bercone. »Ich kann mir einfach nicht erklären, wieso das meiner Tochter zugestoßen ist.«
Tags darauf kam Andrew Holden von seiner Autogramm-Tour zurück. Er war in Begleitung seiner schönen - weil zweimal gelifteten - Frau Laura. Und Blackfeather und Steve Tardelli passten auf die beiden auf.
Sie trafen auf dem La Guardia Airport ein und wurden von einer großen Reporter-Traube empfangen. Blitzlichtgewitter. Fragen prasselten auf den prominenten Neo-Autor nieder. Er beantwortete nur die, die ihm genehm waren. Alle ändern überhörte er geflissentlich.
Holden hatte Ähnlichkeit mit George Clooney, war 52 Jahre alt und ein begehrter Womanizer.
Wir brachten ihn vor den Reportern in »Sicherheit«. Dem publicitysüchtigen Ex-Politiker war das gar nicht recht, denn je größer das Medien-Interesse, desto besser verkaufte sich sein Buch. Das war eine unbezahlbare Gratis-Werbung, auf die er nicht verzichten wollte.
In einem der VIP-Räume informierten wir ihn sodann über den Tod seiner Sekretärin. Er wusste bereits davon. Ich suchte vergeblich in seinem Gesicht nach einem Ausdruck von Trauer.
Seine Härte gefiel mir nicht. Dieser Mann hatte ein kaltes Herz. In seinen Augen war wohl jeder Mensch austauschbar. Yvonne ist tot? Dann muss eben eine andere Sekretärin her. Das war wohl das Einzige, was ihm im Moment durch den Kopf ging.
Jetzt kann ich noch besser verstehen, wieso ihn so wenige Menschen mögen, dachte ich. Er hat ja selbst in der eigenen Partei keine Freunde.
Dass Yvonne Bercone einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war, hielt er für ausgeschlossen. »Aus welchem Grund hätte man sie umbringen sollen?«, fragte er. »Sie war völlig unbedeutend!«, schwang still in seinen Worten mit.
»Vielleicht wollte jemand Sie damit treffen«, bemerkte Milo.
Blackfeather, Steve Tardelli und Mrs. Holden waren zwar anwesend, beteiligten sich aber nicht an dem Gespräch, waren bloß Zuhörer.
Andrew Holden blies seinen Brustkorb auf. »Wenn jemand mich treffen möchte, dann muss er gegen mich persönlich vorgehen«, tönte er.
»Wollen Sie damit sagen, dass der Tod Ihrer Sekretärin Sie überhaupt nicht berührt?«, fragte mein Partner rau.
Holden sah ihn scharf an. »Unterstellen Sie mir nichts, Agent Tucker«, wies er ihn harsch zurecht. »Ich habe nichts dergleichen gesagt. Ich lasse mich von Ihnen nicht...«
»Wir versuchen lediglich Antworten auf die fünf ›W‹ zu finden«, fiel mein Partner ihm frostig ins Wort.
»Auf welche fünf ›W‹?«, wollte Holden wissen.
Milo zählte sie auf: »Wer? Wie? Wo? Wann? Warum? Jedes Mal, wenn ein Mensch keines natürlichen Todes gestorben ist, müssen wir uns das fragen.«
Holden warf einen ungeduldigen Blick auf seine Armbanduhr. »Hören Sie, wird das noch lange dauern? Ich habe keine Lust...«
»Ist es Ihnen lieber, wenn wir uns mit Ihnen im FBI-Building unterhalten, Sir?«, fragte ich. »Das lässt sich problemlos einrichten.«
»Vorsicht, Agent Trevellian«, fuhr er mich gereizt an. »Vergessen Sie nicht, wen Sie vor sich haben. Ich könnte Ihnen großen Ärger machen.«
Ich bleckte die Zähne. »Ich mag es nicht, wenn man mir droht.«
Er hob die Hände und erwiderte scheinheilig: »Ich habe Ihnen nicht gedroht. Ich habe Sie lediglich gewarnt. Überspannen Sie den Bogen nicht, sonst sehe ich mich gezwungen...«
»Sie können gehen, Sir«, unterbrach ich ihn.
Er stutzte. Blinzelte. Dann sagte er: »Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Er wandte sich an seine Frau. »Schatz, hast du gehört? Wir haben die Erlaubnis von Agent Trevellian, zu gehen. Ich denke, das werden wir auch umgehend tun.«
Er verließ den Raum. Laura Holden, Blackfeather und Steve Tardelli - ihr Job war noch nicht zu Ende - folgten ihm.
Milo schaute ihm grimmig nach und knurrte: »Ich kann diesen Mann nicht riechen.«
Ich nickte. »Ich auch nicht.«
Zwei Tage danach wurde Mrs. Holden entführt...
Sie war zu Besuch bei Audrey Zima, ihrer besten Freundin aus frühesten Jugendtagen.
Audrey hatte sich nicht so gut gehalten wie Linda.
Sie war so dick geworden, dass sie sich ihre Garderobe nähen lassen musste, weil ihr keine gängige Konfektionsgröße passte. Und sie gefiel sich am besten mit strohblonden Perücken, besaß gut ein Dutzend davon, in jeder Haarlänge.
Ein Maskierter näherte sich dem Haus mit raschen Schritten.
Die Reise durch nahezu alle Bundesstaaten war für Linda Holden sehr anstrengend gewesen, das sah Audrey Zima ihrer Freundin an.
»Scheint eine ziemliche Strapaze für dich gewesen zu sein«, bemerkte sie.
Linda seufzte abgespannt. »Das war es in der Tat. Ich habe so gut wie nichts davon gehabt. Jeden Tag in einer anderen Stadt, in einem anderen Hotel, in einem anderen Bett. Du weißt, wie sehr ich das hasse.«
»Warum bist du nicht zu Hause geblieben?«
»Andrew wollte, dass ich mitkomme.«
Audrey lächelte spöttisch. »Und wenn dein Herr und Gebieter befiehlt, musst du gehorchen.«
»Ich bin seine Frau.«
»Wenn ich an deiner Stelle wäre, hätte ich Andrew schon längst in die Wüste geschickt. Er ist ein rücksichtsloser Egoist und behandelt dich wie den letzten Dreck.«
»Du übertreibst. So schlimm ist es nun auch wieder nicht.«
»Und er betrügt dich am laufenden Band«, setzte Audrey Zima noch eins drauf. »Kein Weiberrock ist vor deinem testosterongesteuerten Mann sicher. Du weißt das, aber du siehst großzügig darüber hinweg.«
»Ich lasse ihn für seine Untreue auf eine andere Art bluten«, erwiderte Laura Holden gelassen. »Er muss nach jedem Seitensprung ganz tief in die Tasche greifen.«
Audrey Zima rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf. »Das wäre für mich trotzdem kein Leben. Mich könnte dieser Mistkerl nicht so sehr erniedrigen. Man hat als Frau doch auch eine gewisse Würde...«
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