Als Pepusch sich den Puder aus den Augen gewischt, war das tolle widrige Insektenvolk verschwunden. Der Flohbändiger saß ganz erschöpft im Lehnstuhl. »Leuwenhöck«, so rief ihm Pepusch entgegen, »Leuwenhöck, seht Ihr nun wohl, was bei Euerm Treiben herauskommt? – Da habt Ihr wieder zu Euern Vasallen Zuflucht nehmen müssen, um Euch die Leute vom Leibe zu halten! – Ist’s nicht so?«
»Seid Ihr’s«, sprach der Flohbändiger mit matter Stimme, »seid Ihr’s, guter Pepusch? – Ach! mit mir ist es aus, rein aus, ich bin ein verlorner Mann! Pepusch, ich fange an zu glauben, dass Ihr es wirklich gut mit mir gemeint habt und dass ich nicht gut getan, auf Eure Warnungen nichts zu geben.« Als nun Pepusch ruhig fragte, was sich denn begeben, drehte sich der Flohbändiger mit seinem Lehnstuhl nach der Wand, hielt beide Hände vors Gesicht und rief weinerlich dem Pepusch zu, er möge nur eine Lupe zur Hand nehmen und die Marmortafel des Tisches anschauen. Schon mit unbewaffnetem Auge gewahrte Pepusch, dass die kleinen Kutschen, die Soldaten usw. tot da standen und lagen, dass sich nichts mehr regte und bewegte. Die kunstfertigen Flöhe schienen auch eine ganz andre Gestalt angenommen zu haben. Mittelst der Lupe entdeckte nun aber Pepusch [42]sehr bald, dass kein einziger Floh mehr vorhanden, sondern dass das, was er dafür gehalten, schwarze Pfefferkörner und Obstkerne waren, die in den Geschirren, in den Uniformen steckten.
»Ich weiß«, begann nun der Flohbändiger ganz wehmütig und zerknirscht, »ich weiß gar nicht, welcher böse Geist mich mit Blindheit schlug, dass ich die Desertion meiner Mannschaft nicht eher bemerkte, als bis alle Leute an den Tisch getreten waren und sich gerüstet hatten zum Schauen. – Ihr könnet denken, Pepusch! wie die Leute, als sie sich getäuscht sahen, erst murrten und dann ausbrachen in lichterlohen Zorn. Sie beschuldigten mich des schnödesten Betruges und wollten mir, da sie sich immer mehr erhitzten und keine Entschuldigung mehr hörten, zu Leibe, um selbst Rache zu nehmen. Was konnt’ ich, um einer Tracht Schläge zu entgehen, Besseres tun, als sogleich das große Mikroskop in Bewegung setzen und die Leute ganz einhüllen in Kreaturen, vor denen sie sich entsetzten, wie das dem Pöbel eigen.« –
»Aber«, fragte Pepusch, »aber sagt mir nur, Leuwenhöck, wie es geschehen konnte, dass Euch Eure wohlexerzierte Mannschaft, die so viel Treue bewiesen, plötzlich auf und davon gehen konnte, ohne dass Ihr es sogleich gewahr wurdet?«
»O«, jammerte der Flohbändiger, »o Pepusch! er hat mich verlassen, er , durch den allein ich Herrscher war, und er ist es, dessen bösem Verrat ich meine Blindheit, all mein Unglück zuschreibe!«
»Hab ich«, erwiderte Pepusch, »hab ich Euch nicht schon längst gewarnt, Eure Sache nicht auf Künsteleien zu stellen, die Ihr, ich weiß es, ohne den Besitz des Meisters nicht [43]vollbringen könnet, und wie dieser Besitz aller Mühe unerachtet doch auf dem Spiele steht, habt Ihr eben jetzt erfahren.« –
Pepusch gab nun ferner dem Flohbändiger zu erkennen, wie er ganz und gar nicht begreife, dass, müsse er jene Künsteleien aufgeben, dies sein Leben so verstören könne, da die Erfindung des Nachtmikroskops sowie überhaupt seine Geschicklichkeit im Verfertigen mikroskopischer Gläser ihn längstens festgestellt. Der Flohbändiger versicherte aber dagegen, dass ganz andre Dinge in jenen Künsteleien lägen und dass er sie nicht aufgeben könne, ohne sich selbst, seine ganze Existenz aufzugeben.
»Wo ist aber Dörtje Elverdink?« – So fragte Pepusch, den Flohbändiger unterbrechend. »Wo sie ist«, kreischte der Flohbändiger, indem er die Hände rang, »wo Dörtje Elverdink ist? – Fort ist sie, fort in alle Welt – verschwunden. – Schlagt mich nur gleich tot, Pepusch, denn ich sehe schon, wie Euch immer mehr der Zorn kommt und die Wut. – Macht es kurz mit mir!« –
»Da seht«, sprach Pepusch mit finsterm Blick, »da seht Ihr nun, was aus Eurer Torheit, aus Euerm albernen Treiben herauskommt. – Wer gab Euch das Recht, die arme Dörtje einzusperren wie eine Sklavin und dann wieder, um nur Leute anzulocken, sie im Prunk auszustellen wie ein naturhistorisches Wunder? – Warum tatet Ihr Gewalt an ihrer Neigung und ließet es nicht zu, dass sie mir die Hand gab, da Ihr doch bemerken musstet, wie innig wir uns liebten? – Entflohen ist sie? – Nun gut, so ist sie wenigstens nicht mehr in Eurer Gewalt, und weiß ich auch in diesem Augenblick nicht, wo ich sie suchen soll, so bin ich doch überzeugt, dass ich sie finden werde. Da, Leuwenhöck, setzt die [44]Perücke auf und ergebt Euch in Euer Geschick; das ist das Beste und Geratenste, was Ihr jetzt tun könnet.«
Der Flohbändiger stutzte mit der linken Hand die Perücke auf das kahle Haupt, während er mit der rechten Pepusch beim Arm ergriff. »Pepusch«, sprach er, »Pepusch, Ihr seid mein wahrer Freund; denn Ihr seid der einzige Mensch in der ganzen Stadt Frankfurt, welcher weiß, dass ich begraben liege in der alten Kirche zu Delft seit dem Jahre eintausendsiebenhundertundfünfundzwanzig, und habt es doch noch niemanden verraten, selbst wenn Ihr auf mich zürntet wegen der Dörtje Elverdink. – Will es mir auch zuweilen nicht recht in den Kopf, dass ich wirklich jener Anton van Leuwenhöck bin, den man in Delft begraben, so muss ich es denn doch, betrachte ich meine Arbeiten und bedenke ich mein Leben, wiederum glauben, und es ist mir deshalb sehr angenehm, dass man davon überhaupt gar nicht spricht. – Ich sehe jetzt ein, liebster Pepusch, dass ich, was die Dörtje Elverdink betrifft, nicht recht gehandelt habe, wiewohl auf ganz andere Weise, als Ihr wohl meinen möget. Recht tat ich nämlich daran, dass ich Eure Bewerbungen für ein törichtes zweckloses Streben erklärte, Unrecht aber, dass ich nicht ganz offenherzig gegen Euch war, dass ich Euch nicht sagte, was es mit der Dörtje Elverdink eigentlich für eine Bewandtnis hat. Eingesehen hättet Ihr dann, wie löblich es war, Euch Wünsche aus dem Sinn zu reden, deren Erfüllung nicht anders als verderblich sein konnte. – Pepusch! setzt Euch zu mir und vernehmt eine wunderbare Historie!«
»Das kann ich wohl tun«, erwiderte Pepusch mit giftigem Blick, indem er Platz nahm auf einem gepolsterten Lehnstuhl, dem Flohbändiger gegenüber. »Da«, begann der [45]Flohbändiger, »da Ihr, mein lieber Freund Pepusch, in der Geschichte wohl bewandert seid, so wisst Ihr ohne Zweifel, dass der König Sekakis viele Jahre hindurch mit der Blumenkönigin im vertraulichen Verhältnis lebte und dass die schöne anmutige Prinzessin Gamaheh die Frucht dieser Liebe war. Weniger bekannt dürft’ es sein, und auch ich kann es Euch nicht sagen, auf welche Weise Prinzessin Gamaheh nach Famagusta kam. Manche behaupten und nicht ohne Grund, dass die Prinzessin in Famagusta sich verbergen sollte vor dem widerlichen Egelprinzen, dem geschwornen Feinde der Blumenkönigin.
Genug! – in Famagusta begab es sich, dass die Prinzessin einst in der erfrischenden Kühle des Abends lustwandelte und in ein dunkles anmutiges Zypressen-Wäldchen geriet. Verlockt von dem lieblichen Säuseln des Abendwindes, dem Murmeln des Bachs, dem melodischen Gezwitscher der Vögel, streckte die Prinzessin sich hin in das weiche duftige Moos und fiel bald in tiefen Schlaf. Gerade der Feind, dem sie hatte entgehen wollen, der hässliche Egelprinz streckte aber sein Haupt empor aus dem Schlammwasser, erblickte die Prinzessin und verliebte sich in die schöne Schläferin dermaßen, dass er dem Verlangen, sie zu küssen, nicht widerstehen konnte. Leise kroch er heran und küsste sie hinter das linke Ohr. Nun wisst Ihr aber wohl, Freund Pepusch, dass die Dame, die der Egelprinz zu küssen sich unterfängt, verloren, denn er ist der ärgste Blutsauger von der Welt. So geschah es denn auch, dass der Egelprinz die arme Prinzessin so lange küsste, bis alles Leben aus ihr geflohen war. Da fiel er ganz übersättigt und trunken ins Moos und musste von seinen Dienern, die sich schnell aus dem Schlamm hinanwälzten, nach Hause gebracht [46]werden. – Vergebens arbeitete sich die Wurzel Mandragora aus der Erde hervor, legte sich auf die Wunde, die der heimtückische Egelprinz der Prinzessin geküsst, vergebens erhoben sich auf das Wehgeschrei der Wurzel alle Blumen und stimmten ein in die trostlose Klage! Da geschah es, dass der Genius Thetel gerade des Weges kam; auch er wurde tief gerührt von Gamahehs Schönheit und ihrem unglücklichen Tode. Er nahm die Prinzessin in die Arme, drückte sie an seine Brust, mühte sich, ihr Leben einzuhauchen mit seinem Atem, aber sie erwachte nicht aus dem Todesschlaf. Da erblickte der Genius Thetel den abscheulichen Egelprinzen, den (so schwerfällig und trunken war er) die Diener nicht hatten hinunterschaffen können in den Palast, entbrannte in Zorn und warf eine ganze Faust voll Kristallsalz dem hässlichen Feinde auf den Leib, so dass er sogleich allen purpurnen Ichor, den er der Prinzessin Gamaheh ausgesogen, ausströmte und dann seinen Geist aufgab unter vielen Zuckungen und Grimassen, auf elendigliche Weise. Alle Blumen, die ringsum standen, tauchten aber ihre Kleider in diesen Ichor und färbten sie zum ewigen Andenken der ermordeten Prinzessin in ein solches herrliches Rot, wie es kein Maler auf Erden herauszubringen vermag. – Ihr wisst, Pepusch! dass die schönsten dunkelroten Nelken, Amaryllen und Cheiranthen eben aus jenem Zypressenwäldchen, wo der Egelprinz die schöne Gamaheh totküsste, herstammen. Der Genius Thetel wollte forteilen, da er noch vor Einbruch der Nacht in Samarkand viel zu tun hatte, noch einen Blick warf er aber auf die Prinzessin, blieb festgezaubert stehen und betrachtete sie mit der innigsten Wehmut. Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Statt weiterzugehen, nahm er die Prinzessin in die Arme und schwang [47]sich mit ihr hoch auf in die Lüfte. – Zu derselben Zeit beobachteten zwei weise Männer, von denen einer, nicht verschwiegen sei es, ich selbst war, auf der Galerie eines hohen Turmes den Lauf der Gestirne. Diese gewahrten hoch über sich den Genius Thetel mit der Prinzessin Gamaheh und in demselben Augenblick fiel auch dem einen – doch! das gehört für jetzt nicht zur Sache! – Beide Magier hatten zwar den Genius Thetel erkannt, nicht aber die Prinzessin, und erschöpften sich in allerlei Vermutungen, was die Erscheinung wohl zu bedeuten, ohne irgendetwas Gewisses oder auch nur Wahrscheinliches ergrübeln zu können. Bald darauf wurde aber das unglückliche Schicksal der Prinzessin Gamaheh in Famagusta allgemein bekannt, und nun wussten auch die Magier sich die Erscheinung des Genius Thetel mit dem Mädchen im Arm zu erklären.
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