Peregrinus rang die Hände vor Angst und Verzweiflung, keine Spur des Lebens zeigte sich bei der Dame. Doch in dem Augenblick, als Peregrinus in der entsetzlichen Not eine Flasche Kölnisches Wasser gefunden und die Schläfe der Dame geschickt damit einreiben wollte, sprang sie ganz frisch und munter von dem Sofa auf und rief: »Endlich – endlich sind wir allein! Endlich, ο mein Peregrinus, darf ich es Ihnen sagen, warum ich Sie verfolgte bis in die Wohnung des Buchbinders Lämmerhirt, warum ich Sie nicht lassen konnte in der heutigen Nacht. – Peregrinus! geben Sie mir den Gefangenen heraus, den Sie verschlossen haben bei sich im Zimmer. Ich weiß, dass Sie dazu keinesweges verpflichtet sind, dass das nur von Ihrer Gutmütigkeit abhängt, aber ebenso kenne ich auch Ihr gutes treues Herz, darum, ο mein guter liebster Peregrin! geben Sie ihn heraus, den Gefangenen!« –
[36]»Was«, fragte Peregrinus im tiefsten Staunen, »was für einen Gefangenen? – wer sollte bei mir gefangen sein?«
»Ja«, sprach die Dame weiter, indem sie Peregrins Hand ergriff und zärtlich an ihre Brust drückte, »ja, ich muss es bekennen, nur ein großes edles Gemüt gibt Vorteile auf, die ein günstiges Geschick ihm zuführte, und wahr ist es, dass Sie auf manches verzichten, was zu erlangen Ihnen leicht geworden sein würde, wenn Sie den Gefangenen nicht herausgegeben hätten – aber! – bedenken Sie, Peregrin, dass Alinens ganzes Schicksal, ganzes Leben abhängt von dem Besitz dieses Gefangenen, dass –«
»Wollen Sie«, unterbrach Peregrinus die Dame, »wollen Sie nicht, englisches Fräulein! dass ich alles für einen Fiebertraum halten, dass ich vielleicht selbst auf der Stelle überschnappen soll, so sagen Sie mir nur, von wem Sie reden, von was für einem Gefangenen.« –
»Wie«, erwiderte die Dame, »Peregrin, ich verstehe Sie nicht, wollen Sie vielleicht gar leugnen, dass er wirklich in Ihre Gefangenschaft geriet? – War ich denn nicht dabei, als er, da Sie die Jagd kauften –«
»Wer«, schrie Peregrin ganz außer sich, »wer ist der Er ? – Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich Sie, mein Fräulein, wer sind Sie, wer ist der Er ?«
Da fiel aber die Dame ganz aufgelöst in Schmerz dem Peregrin zu Füßen und rief, indem ihr die Tränen reichlich aus den Augen strömten: »Peregrin, sei menschlich, sei barmherzig, gib ihn mir wieder! – gib ihn mir wieder!« Und dazwischen schrie Herr Peregrinus: »Ich werde wahnsinnig – ich werde toll!« –
Plötzlich raffte sich die Dame auf. Sie erschien viel größer als vorher, ihre Augen sprühten Feuer, ihre Lippen [37]bebten, sie rief mit wilder Gebärde: »Ha Barbar! – in dir wohnt kein menschliches Herz – du bist unerbittlich – du willst meinen Tod, mein Verderben – du gibst ihn mir nicht wieder! – Nein – nimmer – nimmer – ha ich Unglückselige – verloren – verloren.« – Und damit stürzte die Dame zum Zimmer hinaus, und Peregrin vernahm, wie sie die Treppe hinablief und ihr kreischender Jammer das ganze Haus erfüllte, bis unten eine Türe heftig zugeschlagen wurde.
Dann war alles totenstill wie im Grabe. –
Der Flohbändiger. Trauriges Schicksal der Prinzessin Gamaheh in Famagusta. Ungeschicklichkeit des Genius Thetel und merkwürdige mikroskopische Versuche und Belustigungen. Die schöne Holländerin und seltsames Abenteuer des jungen Herrn George Pepusch, eines gewesenen Jenensers.
Es befand sich zu der Zeit ein Mann in Frankfurt, der die seltsamste Kunst trieb. Man nannte ihn den Flohbändiger und das darum, weil es ihm, gewiss nicht ohne die größeste Mühe und Anstrengung, gelungen, Kultur in diese kleinen Tierchen zu bringen und sie zu allerlei artigen Kunststücken abzurichten.
Zum größten Erstaunen sah man auf einer Tischplatte von dem schönsten weißen, glänzend polierten Marmor Flöhe, welche kleine Kanonen, Pulverkarren, Rüstwagen zogen, andre sprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patrontaschen auf dem Rücken, Säbeln an der Seite. Auf das Kommandowort des Künstlers führten sie die schwierigsten Evolutionen aus, und alles schien lustiger und lebendiger wie bei wirklichen großen Soldaten, weil das Marschieren in den zierlichsten Entrechats und Luftspringen, das Linksum und Rechtsum aber in anmutigen Pirouetten bestand. Die ganze Mannschaft hatte ein erstaunliches Aplomb, und der Feldherr schien zugleich ein tüchtiger Ballettmeister. Noch beinahe hübscher und wunderbarer waren aber die kleinen goldnen Kutschen, die von vier, sechs, acht Flöhen gezogen wurden. Kutscher und Diener waren Goldkäferlein der kleinsten, kaum sichtbaren Art, was aber drin saß, war nicht recht zu erkennen.
[39]Unwillkürlich wurde man an die Equipage der Fee Mab erinnert, die der wackre Merkutio in Shakespeares Romeo und Julie so schön beschreibt, dass man wohl merkt, wie oft sie ihm selbst über die Nase gefahren.
Erst wenn man den ganzen Tisch mit einem guten Vergrößerungsglase überschaute, entwickelte sich aber die Kunst des Flohbändigers in vollem Maße. Denn nun erst zeigte sich die Pracht, die Zierlichkeit der Geschirre, die feine Arbeit der Waffen, der Glanz, die Nettigkeit der Uniformen und erregte die tiefste Bewunderung. Gar nicht zu begreifen schien es, welcher Instrumente sich der Flohbändiger bedient haben musste, um gewisse kleine Nebensachen, z. B. Sporn, Rockknöpfe usw., sauber und proportionierlich anzufertigen, und jene Arbeit, die sonst für das Meisterstück des Schneiders galt und die in nichts Geringerem bestand, als einem Floh ein Paar völlig anschließende Reithosen zu liefern, wobei freilich das Anmessen das Schwierigste, schien dagegen als etwas ganz Leichtes und Geringes.
Der Flohbändiger hatte unendlichen Zuspruch. Den ganzen Tag wurde der Saal nicht leer von Neugierigen, die den hohen Eintrittspreis nicht scheuten. Auch zur Abendzeit war der Besuch zahlreich, ja beinahe noch zahlreicher, da alsdann auch solche Personen kamen, denen an derlei possierlichen Künsteleien eben nicht viel gelegen, um ein Werk zu bewundern, das dem Flohbändiger ein ganz anderes Ansehen und die wahre Achtung der Naturforscher erwarb. Dies Werk war ein Nachtmikroskop, das wie das Sonnenmikroskop am Tage, einer magischen Laterne ähnlich, den Gegenstand hell erleuchtet mit einer Schärfe und Deutlichkeit auf die weiße Wand warf, die [40]nichts zu wünschen übrigließ. Dabei trieb der Flohbändiger auch noch Handel mit den schönsten Mikroskopen, die man nur finden konnte und die man gern sehr teuer bezahlte. –
Es begab sich, dass ein junger Mensch, George Pepusch geheißen – der geneigte Leser wird ihn bald näher kennenlernen –, Verlangen trug, noch am späten Abend den Flohbändiger zu besuchen. Schon auf der Treppe vernahm er Gezänk, das immer heftiger und heftiger wurde und endlich überging in tolles Schreien und Toben. Sowie nun Pepusch eintreten wollte, sprang die Türe des Saals auf mit Ungestüm, und in wildem Gedränge stürzten die Menschen ihm entgegen, totenbleiches Entsetzen in den Gesichtern.
»Der verfluchte Hexenmeister! der Satanskerl! beim hohen Rat will ich ihn angeben! aus der Stadt soll er, der betrügerische Taschenspieler!« – So schrien die Leute durcheinander und suchten, von Furcht und Angst gehetzt, so schnell als möglich aus dem Hause zu kommen.
Ein Blick in den Saal verriet dem jungen Pepusch sogleich die Ursache des fürchterlichen Entsetzens, das die Leute fortgetrieben. Alles lebte darin, ein ekelhaftes Gewirr der scheußlichsten Kreaturen erfüllte den ganzen Raum. Das Geschlecht der Pucerons, der Käfer, der Spinnen, der Schlammtiere, bis zum Übermaß vergrößert, streckte seine Rüssel aus, schritt daher auf hohen haarigten Beinen, und die gräulichen Ameisenräuber fassten, zerquetschten mit ihren zackigten Zangen die Schnacken, die sich wehrten und um sich schlugen mit den langen Flügeln, und dazwischen wanden sich Essigschlangen, Kleisteraale, hundertarmigte Polypen durcheinander, und aus allen [41]Zwischenräumen kuckten Infusionstiere mit verzerrten menschlichen Gesichtern. Abscheulicheres hatte Pepusch nie geschaut. Er wollte eben ein tiefes Grauen verspüren, als ihm etwas Raues ins Gesicht flog und er sich eingehüllt sah in eine Wolke dicken Mehlstaubs. Darüber verging ihm aber das Grauen, denn er wusste sogleich, dass das raue Ding nichts anders sein konnte als die runde gepuderte Perücke des Flohbändigers, und das war es auch in der Tat.
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