1980 war ich noch zu jung, um Einlass in ein Kino zum Genuss von Episode V (dem zweiten Kinofilm der Ursprungstrilogie) bekommen zu können. Als mein Onkel, der als Einziger in der Familie The Empire Strikes Back gesehen hatte, beiläufig bei einem Besuch erwähnte, dass es sich bei dem Superschurken Darth Vader um den Vater des Helden Luke handelte, dachte ich, er würde sich einen besonders eigenwilligen Spaß machen. Heute würde man diese Bemerkung als Spoiler bezeichnen, denn er sollte Recht behalten. Er hatte mir gerade eine der prägnantesten Wendungen der Filmgeschichte verraten, deren Nachhaltigkeit sich noch auf zahlreiche Sequels und Prequels auswirken sollte. Meine Begeisterung für Neuigkeiten über die weit entfernte Galaxis blieb ebenfalls über die Jahrzehnte hin bestehen. Die meisten Sammelstücke aus den 1980er Jahren, die nichts mit Star Wars zu tun hatten, landeten hingegen irgendwann auf dem Flohmarkt.
Was also macht die unterschiedlichen Facetten der Faszination von Star Wars aus?
A Long Time Ago und New Hollywood – Am Anfang war George Lucas und die Rebellion der Regisseure
Als George Lucas in den frühen 1970er Jahren erste Entwürfe für Star Wars entwickelte, ließ sich kaum erahnen, dass er mit diesem anfangs kleinen Zwischenprojekt die nächsten 40 Jahre seines Lebens verbringen sollte. Damals zählte der angehende Regisseur aus der nordkalifornischen Kleinstadt Modesto zur Clique des New Hollywood.
Hollywood selbst hatte den Bezug zur Gegenwart verloren: Von den gesellschaftlichen Umbrüchen dieser Zeit, von der Bürgerrechtsbewegung über die Proteste gegen den Vietnamkrieg bis hin zur stilprägenden Rockmusik waren Musicals wie Camelot (1967) und Hello Dolly (1969) denkbar weit entfernt.
Inspiriert von den neuen Wellen des europäischen Kinos, die ausgehend von der französischen Nouvelle Vague das moderne Kino definierten, versuchten Regisseure wie u. a. Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Hal Ashby oder Steven Spielberg ihre eigene Variante eines US-amerikanischen Autorenfilms zu entwickeln.
Die kurze Blüte des New Hollywood
1967 leitete der unerwartete Erfolg der Gangster-Ballade Bonnie and Clyde und der Tragikomödie The Graduate ( Die Reifeprüfung ) den zeitweiligen Siegeszug des New Hollywood ein. Besiegelt wurde der Generationswechsel in Hollywood durch das Road Movie Easy Rider (1969), das mit geringem Budget produziert worden war und ein Vielfaches an Gewinn einspielte. Easy Rider entwickelte sich zum Kultfilm einer ganzen Generation und wurde zum indirekten ästhetischen Manifest der poetisch-realistischen Strömung des New Hollywood, ähnlich, wie es Star Wars knapp zehn Jahre später für den modernen Genrefilm werden sollte.
New Hollywood setzte sich aus zwei konstituierenden Strömungen zusammen: Eine Fraktion interessierte sich im Zug der europäischen Neuen Wellen für ein anderes, aufrichtigeres und aufregenderes Verhältnis zur Wirklichkeit. Entgegen der Hollywood-Ideologie einer in sich geschlossenen Erzählung, in der alles am Ende nachvollziehbar aufgehen muss, bleiben die Geschichten häufig einfach offen. Die Charaktere sind keine mustergültigen Helden. Sie verstricken sich in Widersprüche und lassen sich treiben. Die Handlung bringen andere voran, manchmal mit fatalen Auswirkungen für die Protagonisten. Die in den realistischen Filmen des New Hollywood eingesetzte Musik spielt häufig eine zentrale Rolle. Die Entdeckungsreisen der Road Movies führen geographisch immer häufiger in die von Hollywood bisher ignorierten Ecken Amerikas. Die zweite, sich immer wieder auch mit der ersten überschneidende Tendenz nutzt hingegen die intensive Auseinandersetzung mit der Genregeschichte und mit den erfinderischen Möglichkeiten des Kinos. Spielberg konnte auf einem einsamen Highway eine intensive Verfolgungsjagd zwischen einem einfachen Handelsreisenden und einem dämonischen LKW ( Duel , 1971) inszenieren, Lucas hingegen die Jugenderinnerungen an nächtliche Touren durch eine kalifornische Kleinstadt in American Graffiti (1973). Im Unterschied zu den ständig on-the-road-and-on-the-run arbeitenden Kollegen fühlten sich die sogenannten movie brats (von engl. brat , ›ungezogenes Kind‹) um George Lucas aber auch im Studio wohl. Die Sets dekorierten sie nach eigenen Vorlieben um. Ohne es direkt zu beabsichtigen, fanden sie dabei die Formel für zukünftige Erfolge.
Die Erfindung des Blockbusters
Brian De Palma brachte den Ansatz der eher formalistisch ausgerichteten New-Hollywood-Fraktion um die movie brats einmal sehr gut auf den Punkt, als er erklärte, dass es sich um den alten Widerstreit zwischen Form und Inhalt handelt. Man könne mit filmischen Formen experimentieren, wenn man sich jedoch auf die dadurch geschaffene filmische Welt einlässt, muss man auch deren Konflikte entsprechend ernst nehmen und verfolgen. Spielberg und Lucas reflektieren diesen Ansatz zwar nicht so ausgiebig wie der Film-Philosoph Brian De Palma. Dafür setzt das dynamische Duo, das gemeinsam für die Indiana Jones- Filme und einzeln für einige der erfolgreichsten Filme der Filmgeschichte von Star Wars bis E. T. verantwortlich zeichnet, De Palmas Paradigma der ernst zu nehmenden Spielwelt am konsequentesten um. Im Unterschied zu den einfallslosen Fließbandproduktionen anderer Blockbuster prägte die Filme von Spielberg und Lucas immer eine künstlerische Leidenschaft, ein Faible für individuelle Themen und ein ausgesprochen kreativer Umgang mit unterschiedlichsten Einflüssen aus allen Bereichen der Filmgeschichte.
Ganz im Gegensatz zu einer beliebten Cineasten-Legende haben Spielberg und Lucas nicht ihre Seele an den schnöden Mammon der Blockbuster-Produktion verkauft. Doch im Unterschied zu traditionelleren Vorstellungen des Films als Kunstform behandeln sie die Verweise auf Science-Fiction-Serials und alte Pulp-Abenteuerfilme mit der gleichen Ernsthaftigkeit, mit der Scorsese das Erbe des Neorealismus und Brian De Palma die Spannungsmechanismen Hitchcocks für sich entdeckt hatten. Der mit Steven Spielberg seit dem UFO-Drama Close Encounters of the Third Kind ( Unheimliche Begegnung der dritten Art , 1977) befreundete François Truffaut lobte an den Arbeiten seines jüngeren Kollegen einmal sehr treffend, dass Spielberg es schaffe, den Alltag phantastisch und das Phantastische alltäglich zu behandeln.
Dass es gelingt, das Phantastische glaubwürdig zu vermitteln und zugleich das Abenteuerliche im Alltäglichen zu entdecken, setzt voraus, dass Setting und Spielregeln eines Genres ernst genommen und zugleich gekonnt und kreativ weiterentwickelt werden. Das gilt für beide Ausnahmeregisseure: Der Anspielungsreichtum in den Filmen von Lucas und Spielberg funktioniert dabei nicht nach dem in den 1980er Jahren beliebten ironischen Selbstverständnis der Postmoderne. Eine distanzierte, kennerhafte Haltung ist in den Star Wars- und Indiana Jones- Filmen jederzeit möglich. Wenn jemand aber derart vom Geschehen auf der Leinwand ergriffen ist, dass er oder sie im Eifer des Gefechts die Mehrdeutigkeit vergisst, begrüßen Spielberg und Lucas diese Reaktion und unterstützen sie mit allen spätromantischen Pauken und Trompeten, die ihnen ihr Komponist John Williams zur Verfügung stellen kann.
Vorspiele – THX 1138 und American Graffiti
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