»Und welche Antwort soll ich ihm ausrichten?«
»Natürlich gar keine. Das ist die beste Antwort. Sie wollen also in seinem Hause wohnen?«
»Iwan Fjodorowitsch hat es mir vorhin selbst empfohlen«, antwortete der Fürst.
»Dann nehmen Sie sich vor ihm in acht, ich warne Sie; er wird es Ihnen jetzt nicht verzeihen, daß Sie ihm sein Billett zurückbringen.«
Aglaja drückte dem Fürsten leicht die Hand und ging hinaus. Ihr Gesicht war ernst und finster, und sie lächelte nicht einmal, als sie dem Fürsten zum Abschied zunickte.
»Ich bin gleich fertig, ich will nur mein Bündel holen«, sagte der Fürst zu Ganja. »Dann können wir gehen.«
Ganja stampfte vor Ungeduld mit dem Fuß. Sein Gesicht wurde ganz dunkel vor Wut. Endlich traten beide auf die Straße, der Fürst mit seinem Bündel in der Hand.
»Und die Antwort? Die Antwort?« bestürmte ihn Ganja. »Was hat sie Ihnen gesagt? Haben Sie ihr meinen Brief übergeben?«
Der Fürst reichte ihm schweigend sein Billett hin. Ganja erstarrte.
»Wie? Mein Billett!« rief er. »Er hat es ihr gar nicht einmal übergeben! Oh, das hätte ich mir im voraus sagen müssen! O dieser ver-r-dammte ... Nun ist es erklärlich, daß sie vorhin nichts verstand! Aber wie kommt denn das, daß Sie es ihr nicht übergeben haben, Sie ver-r-dammter ...«
»Entschuldigen Sie, es gelang mir im Gegenteil sogleich, Ihr Billett zu übergeben, unmittelbar nachdem Sie es mir eingehändigt hatten, und genau in der Art, wie Sie es wünschten. Ihr Billett befindet sich jetzt deshalb wieder in meinen Händen, weil Aglaja Iwanowna es mir soeben wieder zurückgegeben hat.«
»Wann? Wann?«
»Als ich mit der Eintragung in das Album fertig war und sie mich aufforderte, mit ihr hinauszukommen. Sie haben es wohl gehört? Wir gingen in das Eßzimmer; dort gab sie mir das Billett und befahl mir, es durchzulesen und Ihnen zurückzugeben.«
»Durch-zu-lesen!« schrie Ganja. »Durchzulesen! Und Sie haben es gelesen?«
Er blieb von neuem wie erstarrt mitten auf dem Gehsteig stehen und war dermaßen erstaunt, daß er sogar den Mund aufriß.
»Ja, ich habe es gelesen, jetzt eben.«
»Und sie selbst, sie selbst hat es Ihnen zum Durchlesen gegeben? Sie selbst?«
»Ja, sie selbst; Sie können mir glauben, daß ich es ohne ihre Aufforderung nicht gelesen hätte.«
Ganja schwieg eine Minute und überlegte etwas mit qualvoller Anstrengung, aber plötzlich rief er:
»Es ist unmöglich! Sie konnte Sie nicht auffordern, den Brief zu lesen. Sie lügen! Sie haben ihn ohne Erlaubnis durchgelesen!«
»Ich sage die Wahrheit«, antwortete der Fürst in dem früheren, völlig ruhigen Ton, »und seien Sie überzeugt: es tut mir sehr leid, daß dies auf Sie einen so unangenehmen Eindruck macht.«
»Aber, Sie Unseliger, sie hat Ihnen doch wenigstens etwas dabei gesagt, etwas geantwortet?«
»Ja, gewiß.«
»So sprechen Sie doch, sprechen Sie doch, zum Teufel!«
Ganja stampfte mit dem in einem Überschuh steckenden rechten Fuß zweimal auf das Pflaster.
»Als ich den Brief durchgelesen hatte, sagte sie mir, Sie suchten sie zu fangen; Sie wünschten sie zu kompromittieren, um auf ihre Hand hoffen zu können, damit Sie dann, auf diese Hoffnung gestützt, eine andere Hoffnung auf hunderttausend Rubel ohne Verlust fahren lassen könnten. Wenn Sie das täten, ohne mit ihr eine Art von Handelsgeschäft zu machen, und alle jene Beziehungen auf eigene Faust abbrächen, ohne von ihr vorher eine Garantie zu verlangen, dann würde sie vielleicht Ihre Freundin werden. Das ist alles, glaube ich. Ja, noch eins: als ich den Brief bereits zurückerhalten hatte und fragte, was für eine Antwort ich bestellen solle, da sagte sie, keine Antwort werde die beste Antwort sein. Ich meine, so war es; entschuldigen Sie, wenn ich den genauen Wortlaut vergessen habe; ich habe es Ihnen so mitgeteilt, wie ich es selbst verstanden habe.«
Ein grenzenloser Zorn bemächtigte sich Ganjas, und seine Wut kam hemmungslos zum Ausbruch.
»Ah! So steht es!« rief er zähneknirschend. »Also meine Briefe werden aus dem Fenster geworfen! Ah! Auf Handelsgeschäfte will sie sich nicht einlassen – nun, so werde ich es tun! Wir wollen einmal sehen! Ich habe noch viele Hilfsmittel... wir wollen einmal sehen!... Ich will sie schon klein kriegen!...«
Sein Gesicht verzerrte sich, er wurde ganz blaß, sein Mund schäumte, er drohte mit der Faust. So gingen sie einige Schritte. Vor dem Fürsten legte er sich nicht den geringsten Zwang auf; er benahm sich, als wäre er in seinem Zimmer und ganz allein, weil er den Fürsten geradezu als eine Null betrachtete. Aber auf einmal fiel ihm etwas ein, und er kam zur Besinnung.
»Aber wie kommt es«, wandte er sich plötzlich an den Fürsten, »wie kommt es, daß Sie« (›Idiot!‹fügte er im stillen hinzu) »auf einmal eine solche Vertrauensstellung einnehmen, zwei Stunden nach der ersten Bekanntschaft? Wie kommt das?«
Zu all seinen Qualen hatte nur noch der Neid gefehlt, der nun auf einmal sein Herz schmerzhaft packte.
»Das weiß ich Ihnen allerdings nicht zu erklären«, antwortete der Fürst.
Ganja warf ihm einen grimmigen Blick zu.
»Da hat sie Sie wohl ins Eßzimmer gerufen, um Ihnen ihr Vertrauen zu schenken? Denn daß sie Ihnen etwas schenken wollte, hatte sie ja vorher gesagt.«
»Ich kann es nicht anders auffassen als in dieser Weise.«
»Aber, zum Teufel, wodurch haben Sie denn das verdient? Was haben Sie denn so Dankenswertes dort getan? Wodurch haben Sie so gefallen? Hören Sie einmal«, sagte er hastig (in seinem Geiste war in diesem Augenblick alles gleichsam bunt durcheinandergewürfelt und befand sich in ärgster Unordnung, so daß er mit seinen Gedanken nicht zurechtkommen konnte), »hören Sie einmal, können Sie sich nicht wenigstens einigermaßen erinnern und der Reihe nach erzählen, wovon Sie dort eigentlich gesprochen haben, alle Ihre Worte, von Anfang an? Haben Sie irgend etwas Eigenartiges geäußert, besinnen Sie sich nicht?«
»O ja, sehr wohl«, antwortete der Fürst. »Gleich zu Anfang, als ich hereingekommen und mit den Damen bekannt geworden war, sprachen wir über die Schweiz.«
»Ach, hol die Schweiz der Teufel!«
»Dann über die Todesstrafe.«
»Über die Todesstrafe?«
»Ja, das Gespräch führte uns darauf... Dann erzählte ich ihnen, wie ich dort vier Jahre gelebt habe, und eine Geschichte von einem armen Bauernmädchen....«
»Ach, zum Teufel mit dem armen Bauernmädchen! Weiter!« drängte Ganja ungeduldig.
»Dann, wie Schneider mir seine Ansicht über meinen Charakter aussprach und mich nötigte....«
»Hol Ihren Schneider der Henker, was scheren mich seine Ansichten! Weiter!«
»Dann fing ich bei irgendeinem Anlaß an, von Gesichtern zu sprechen, das heißt von dem Ausdruck der Gesichter, und sagte, Aglaja Iwanowna sei fast ebenso schön wie Nastasja Filippowna. Und da kam ich denn auch auf das Bild zu sprechen....«
»Aber Sie haben nichts mitgeteilt, Sie haben doch nichts von dem mitgeteilt, was Sie vorher im Arbeitszimmer gehört hatten? Nein? Nein?«
»Ich wiederhole Ihnen, daß ich es nicht getan habe.«
»Aber woher dann, zum Teufel.... Ha! Hat Aglaja den Brief etwa der Alten gezeigt?«
»Was das betrifft, kann ich Ihnen bestimmt garantieren, daß sie es nicht getan hat. Ich war die ganze Zeit dabei, sie hatte auch gar keine Zeit dazu.«
»Aber vielleicht haben Sie selbst etwas nicht bemerkt.... Oh, dieser ver-r-dammte Idiot!« schrie er auf einmal ganz außer sich, »er kann nicht einmal etwas erzählen!«
Ganja, der nun einmal ins Schimpfen hineingeraten war und keinen Widerstand fand, verlor allmählich alle Selbstbeherrschung, wie das bei manchen Menschen immer ist. Es fehlte nicht viel, und er hätte vielleicht zu spucken begonnen, so wütend war er. Aber eben infolge dieser Wut war er auch wie blind; sonst hätte er längst bemerken müssen, daß dieser »Idiot«, den er so verächtlich behandelte, manche Dinge sehr schnell und genau durchschaute und außerordentlich klar darzustellen wußte. Doch auf einmal geschah etwas Unerwartetes.
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