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Für „offline“-Sachverhalte besteht aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit des Art. 8eine Regelungslücke, die jedoch nicht als planwidrig zu beurteilen ist.[19] In der Konsequenz werden Minderjährige deswegen aber nicht schutzlos bleiben. Die speziellen Regelungen des deutschen Minderjährigenschutzes fangen die Gefährdungen aus nicht online angebotenen Diensten in funktionierender Weise auf.[20]
a) Einwilligungsbasierte Datenverarbeitung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. a
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Die Vorschrift ist missverständlich formuliert, denn Art. 6 Abs. 1 lit. a„gilt“ immer. Die einschränkende Eingangsformulierung verweist auf solche Verarbeitungsvorgänge, deren Rechtfertigung ausschließlich auf die Einwilligung der betroffenen Personen gestützt wird. Nur für diesen Fall sieht Art. 8ergänzende Vorschriften vor, wenn die betroffene Person ein Kind ist. Die Voraussetzungen der Art. 8 und Art. 7 gelten für diesen Fall kumulativ.[21]
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Im Umkehrschluss gilt: Für die übrigen Erlaubnistatbestände des Art. 6 findet Art. 8 keine Anwendung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Kindern nicht auf diese Tatbestände gestützt werden kann.[22] Die Verarbeitung personenbezogener Daten von Kindern ist nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil eine Einwilligung nicht vorliegt. Dies ergibt sich schon aus der Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 lit. f, wonach das Alter der betroffenen Person bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist.[23] Die Verarbeitung ist insbesondere auch insoweit zulässig, wie sie zur Erfüllung eines wirksamen Vertrages mit einem Minderjährigen (auch unterhalb der Altersgrenze von 16 Jahren) erforderlich ist ( Art. 6 Abs. 1 lit. b).[24]
b) Dienste der Informationsgesellschaft
aa) Begriffsbestimmung durch Rechtsvorschriften
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Zunächst sind nur sog. „Dienste der Informationsgesellschaft“erfasst. Gemäß Art. 4 Nr. 25ist für die begriffliche Konkretisierung die Legaldefinition des Art. 1 Nr. 1 lit. b RL (EU) 2015/1535[25] heranzuziehen.[26] Der Anwendungsbereich umfasst somit jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung. Es ist damit eine Dienstleistung erforderlich, die
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ohne gleichzeitige physische Anwesenheit der Vertragsparteien erbracht wird („im Fernabsatz erbrachte Dienstleistung“), |
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mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten am Ausgangspunkt gesendet und am Endpunkt empfangen wird und die vollständig über Draht, Funk, auf optischem oder anderem elektromagnetischem Weg gesendet, weitergeleitet und empfangen wird („elektronisch erbrachte Dienstleistung“) und |
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durch die Übertragung von Daten auf individuelle Anforderung erbracht wird.[27] |
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Neben dieser Legaldefinition lassen sich in den unterschiedlichen EU-Vorschriften auch Dienste finden, welche den Diensten der Informationsgesellschaft ausdrücklich zugeordnet bzw. hiervon ausgenommen werden. So enthält Anhang I der RL (EU) 2015/1535 eine Beispielliste von Diensten (z.B. Buchung einer Reise im Reisebüro), die gerade nicht unter den Begriff gefasst werden sollen. ErwG 18 der E-Commerce-Richtlinie[28] hingegen benennt exemplarisch Dienste der Informationsgesellschaft (z.B. E-Mail-Services).
bb) Nähere Konkretisierung
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Der Begriff der „Dienste der Informationsgesellschaft“ erfasst grundsätzlich nur Onlineangebote. Vor dem Hintergrund des Regelungszwecks von Art. 8sind jedenfalls nicht solche Konstellationen erfasst, in denen der angebotene und ggf. in Anspruch genommene Dienst außerhalb des Internets liegt und der Zugang hierzu nur durch das Internet vermittelt wird.[29]
21
Erfasst sind aber u.a. das Streamen von Inhalten sowie der Beitritt zu einem sozialen Netzwerk.[30] Für die Erfüllung des Merkmals „in der Regel gegen Entgelt“ genügt es, wenn der Dienst mit der Aufmerksamkeit des Nutzers (im Sinne eines Abrufs von Werbung) oder Bereitstellung von Daten bezahlt wird, so dass zumindest indirekt eine Monetarisierung stattfindet.[31]
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Zum Teil wird die Ansicht vertreten, dass die Legaldefinition dem Begriff der Telemedien (§ 1 Abs. 1 S. 1 TMG) entspricht.[32] Dem ist beizupflichten, da § 1 Abs. 1 S. 1 TMG die E-Commerce-Richtlinie umsetzt und darin die „Dienste der Informationsgesellschaft“ als Dienste i.S.v. Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 98/34/EG legaldefiniert sind. Letztgenannte Richtlinie wurde von der RL (EU) 2015/1535 inhaltlich ersetzt, die hier als Definitionsgrundlage dient.
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Die in ErwG 38 genannten Präventions- und Beratungsdienste lassen sich damit kaum unter den Begriff des Dienstes der Informationsgesellschaft subsumieren, weil solche Dienste in der Regel gerade nicht (und zwar auch nicht indirekt) gegen Entgelt erbracht werden. Nicht unproblematisch ist hier, dass diese Dienste keinen ausdrücklichen Niederschlag im Wortlaut des Art. 8gefunden haben.[33] Aufgrund der klaren und ausdrücklichen Benennung dieser Fallgruppe wird jedoch eine entsprechende Ausnahme anzuerkennen sein,[34] sodass solche Dienste ausnahmsweise dem Anwendungsbereich des Art. 8unterfallen.
c) Direkt an Kinder gerichtetes Angebot
24
Weiterhin verlangt Art. 8 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1, dass der entsprechende Dienst ein direktes Angebot für ein Kinddarstellt.
25
Der Begriff „ Kind“ ist in der DS-GVO nicht ausdrücklich definiert.[35] Die Terminologie der Verordnung deckt sich insoweit zumindest nicht mit der im deutschen Recht sonst gängigen Unterscheidung zwischen Kindern und Jugendlichen (wie sie bspw. in § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 2 JuSchG zum Ausdruck kommt), sondern erfasst jeden Minderjährigen.[36] Für die Normanwendung bedarf es aber wegen der konkret geregelten Altersgrenze auch keiner genaueren Definition dieses Begriffs.[37]
26
Art. 8kann nur dann Anwendung finden, wenn das Angebot „einem Kind direkt gemacht wird“. Unklar ist, unter welchen Voraussetzungen sich ein Angebot direktan ein Kind richtet.[38]
(1) Spezifische Adressierung von Minderjährigen
27
Relativ unproblematisch werden sich hierunter solche Angebote subsumieren lassen, welche speziell an Minderjährige adressiertsind.[39] Hierunter sollen solche Angebote zu fassen sein, die ausschließlich das kindliche Interesse wecken sollen, zur Interaktion mit dem Kind oder plattformbasiert zwischen mehreren Kindern animieren und bei denen Hilfestellungen durch Erwachsene jedenfalls nicht zwingend erforderlich sind.[40]
28
Anhaltspunkte seien hier neben der direkten Ansprache in informeller Anrede und Angeboten „nur für Kids“ u.a. auch eine kindgerechte Bebilderung und Sprache oder das Vorhandensein von Inhalten, die auf etablierten Kinderportalen verlinkt sind.[41]
29
Nicht ausreichend ist hingegen der Umstand allein, dass ein Anbieter Waren und Dienstleistungen mit Bezug zu Minderjährigen (z.B. Kinderkleidung, Spielzeug, Online-Lernplattformen) anbietet.[42] Das bedeutet jedoch nicht zwingend, dass der gesamte Bereich des E-Commerce mit Waren vom Anwendungsbereich des Art. 8ausgeschlossen ist. Vielmehr soll zu unterscheiden sein zwischen dem Online-Angebot einerseits und der Lieferung der Waren andererseits.[43] Es ist aber zweifelhaft, ob das Online-Angebot noch als „in der Regel gegen Entgelt angeboten“ gelten kann, wenn man den Kauf der Waren gerade ausblendet.
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