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Der Hinweis auf die Videoüberwachung nach § 4 Abs. 2stellt keine Form der Kenntniserlangung dar, der eine Benachrichtigungspflicht aufheben würde.[638]
d) Art und Weise der Informationsgewährung
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Unter der Berücksichtigung der Möglichkeit zur abgestuften Information i.S.d. WP 100 der Betroffenen müsste es ausreichend sein, wenn neben einem Piktogramm der Name des Verantwortlichen und ggf. seine Adresse unmittelbar kommuniziert wird.[639] Ein Verweis auf weitere Informationen, wie zum Bsp. Informationen nach Art. 13und/oder 14, in Form eines QR-Code oder mittels eines Flyers aus Papier ist praktikabel und zulässig.[640] Aus Gründen einer beherrschbaren Rechtsanwendung können jedenfalls bei Erhebung nicht alle Informationen körperlich zur Verfügung gestellt werden. Eine nach § 4 Abs. 2und 4 BDSGfreiwillige darüberhinausgehende Informationsgewährung kann im Umfang der vollständigen Informationen nach Art. 13und 14auf einer Website oder aber in ausgedruckter Form etwa in den Räumen einer Tank- oder Raststätte allenfalls noch „zum frühestmöglichen Zeitpunkt“ erfolgen. Damit trägt der Verantwortliche den Transparenzanforderungen dennoch am meisten Rechnung. Die Information zum Zeitpunkt der Datenerhebung gem. Art. 13ist auf diese Weise und zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich.[641]
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Beispiel:
Ein Hinweisschild im Falle des oben genannten Beispiels muss damit unter anderem Name und Kontaktdaten des Verantwortlichen und ein Symbolbild enthalten. So muss bei der Videoüberwachung oder der Erfassung von Kfz-Kennzeichen in Parkhäusern der Betroffene bereits bei Erreichen des überwachten Bereichs zumindest die Informationen der 1. Stufe nach § 4 Abs. 2, 4 BDSG, etwa durch ein Hinweisschild, erhalten, um über den Zutritt in den überwachten Bereich entscheiden zu können. Darauf sind unter anderem die Rechtsgrundlage der Verarbeitung, die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten, die berechtigten Interessen des Verantwortlichen sowie das Bestehen eines Auskunftsrechts zu nennen.
Die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) Niedersachsen stellt auf ihrer Homepage (unverbindliche) Muster zur Verfügung wie den Informationspflichten Rechnung getragen werden kann. Das Muster für die Gestaltung eines sog. vorgelagerten Hinweisschildes enthält ein Symbolbild mit weißer Kamera auf blauem Grund; Name und Kontaktdaten des Verantwortlichen und ggf. seines Vertreters; Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten, sofern bestellt; Zwecke und Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung; berechtigte Interessen, die verfolgt werden; Speicherdauer oder Kriterien für die Festlegung der Dauer. Als Formanforderung empfiehlt die LfD Niedersachen, den Ausdruck mind. in DIN A4 zu tätigen, um eine entsprechende Lesbarkeit zu gewährleisten. Mit dem vorgelegten Muster bekennt sich die Aufsichtsbehörde ausdrücklich zum Medienbruch und bietet diese Vorgehensweise auch offensiv an: „Während also die o.g. Pflichtangaben in jedem Fall auf dem vorgelagerten Hinweisschild anzugeben sind, kann auf die weiteren zu erteilenden Informationen auf dem Hinweisschild verwiesen werden. Hier ist folglich anzugeben wo dies geschieht, z.B. durch Aushang oder Auslage, ergänzt z.B. durch QR-Code, Internetadresse.“[642]
Ein verbindliches Piktogramm für die Videoüberwachung wird auf der Website des belgischen Datenschutzbeauftragten bereitgestellt. Dieses ist offiziell im Anhang des belgischen Kameragesetzes[643] aufgeführt. Das Piktogramm stellt das einheitliche Symbol dar, welches Bürger die Kameranutzung signalisiert und darüber informiert. Die Speicherdauer der Bilder, die aus deutscher Sicht nicht knapp bemessen erscheint („nicht mehr als ein Monat“), sowie die erlaubten Verwendungsarten werden erklärt.
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Die grundsätzliche Zweckbindung regelt Art. 5 Abs. 1 lit. b. Die Regelung des Art. 6 Abs. 4eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit durch Rechtsvorschrift eine Nutzung für andere Zwecke zuzulassen. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber unter anderem in § 24 BDSGGebrauch gemacht. Für die Videoüberwachung ist aber die speziellere Regelung in § 4 Abs. 3 BDSGanzuwenden.
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Die Speicherung oder Verwendung geht über die bloße Videoüberwachung hinaus. Sie ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.[644]
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Die in § 4 Abs. 1 S. 2 BDSGvorgegebene Abwägungsentscheidung wird durch § 4 Abs. 3 S. 3 BDSGergänzt, wonach der Zweckbindungsgrundsatz aufgehoben werden soll, „soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist“. Damit wird dem Ziel, die Sicherheitsbehörden von den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Videoüberwachung durch öffentliche Stellen zu befreien, Rechnung getragen.[645]
6. Pflicht zur Löschung (Abs. 5)
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Die Pflicht zur Löschung gem. Abs. 5 stimmt mit der bisherigen Rechtspflicht nach § 6b Abs. 5 BDSG a.F. gänzlich überein. Eine konkret auf Videoüberwachung bezogene Regelung zur Löschung enthält die DS-GVO nicht. Die allgemeinen Löschpflichten nach Art. 17dominieren diese Pflicht nicht. Für die Videoüberwachung wird in der Praxis überwiegend die Löschung nach § 4 Abs. 5 BDSGdurchzuführen sein. Ob Material gesichert werden muss, soll und kann grundsätzlich innerhalb weniger Werktage (2 Tage) geklärt werden. Zugleich sind Konstellationen denkbar, in denen der Speicherzweck länger andauert.
II. Folgen unzulässiger Videoüberwachung
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Im Falle einer unzulässigen Videoüberwachung kommt gem. Art. 83 Abs. 1, Abs. 5 lit. a das nach der DS-GVO höchst mögliche Bußgeld in Höhe von bis zu 20 Mio. EUR „oder im Fall eines Unternehmens von bis zu 4 % seines gesamten weltweit erzielten Jahresumsatzes des vorangegangenen Geschäftsjahrs“ in Betracht. Die maximal mögliche Bußgeldhöhe erscheint geboten, weil es einer unzulässigen Videoüberwachung an der Rechtmäßigkeit der grundsätzlich verbotenen Verarbeitung personenbezogener Daten mangelt. Ohne die Rechtmäßigkeit liegt ein unerlaubter schwerwiegender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor. Da die Informationspflichten bei der Videoüberwachung nach BDSG der Auffassung der DSK nach nicht in Einklang mit denen nach Art. 12 ff.sind, ist nicht auszuschließen, dass dem Rechtsanwender in Deutschland bei ausschließlicher Einhaltung des BDSG eine Geldbuße droht.[646] Wegen des jedenfalls aus Sicht der deutschen Aufsicht bestehenden Normenkonflikts zwischen DS-GVO und BDSG wird die Praxis in eine unangenehme Situation mit möglicherweise teuren Rechtsfolgen gedrängt. Dass die auch von der Kommission bei der Notifizierung des BDSG unbeanstandete Nutzung der Öffnungsklauseln aus Art. 5und 23in § 4 BDSGtatsächlich europarechtswidrig ist, erscheint schon mit Blick auf deren weite Formulierung äußerst fraglich. Für die Praxis bleibt zu hoffen, dass diese Meinungsverschiedenheit zwischen behördlicher Aufsicht und Gesetzgeber nicht anhand eines Bußgeldes auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen wird. Falls doch, wäre in diesem Fall eine Amtspflichtverletzung der Datenschutzaufsicht wegen unzulässiger Nichtanwendung des BDSG zu erwägen.
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Grundsätzlich dient die Überwachung öffentlich zugänglicher Räume auch der Beweissicherung für die etwaige Aufklärung von Straftaten oder der zivilrechtlichen Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen.[647] Eine unzulässige Videoüberwachung kann inhaltlich ebenfalls ein Beweismittel darstellen. Fraglich ist nur die Zulässigkeit solch unbefugt erhobener Daten. So hat etwa das OLG Stuttgart die Nutzung von Aufnahmen aus unzulässiger Videoüberwachung durch Autokameras für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche in einem Fall bejaht.[648] Demnach wurden die Aufzeichnungen aufgrund einer Interessenabwägung „im konkreten Einzelfall tendenziell für verwertbar“ befunden. Das LG Rottweil hatte eine solche Verwertung nicht gestattet, weil das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Verhältnis zum Recht an der Beweisführung überwiegt.[649] Fraglich ist noch, wie die Abwägung bei der Aufklärung von Straftaten ausfällt. Gleichwohl führt der Versuch der Beweisverwertung zunächst zu einer Geldbuße aufgrund des Datenschutzverstoßes.[650]
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