1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Wen soll das denn bitte stören?, merkte seine innere Stimme leicht belustigt an.
Ist mir egal. Auch wenn Ray nicht mehr auf dieser Welt ist, will ich da nicht rein , machte er sie mundtot.
Ein weiterer Grund dafür, im Büro bleiben zu wollen, war der Computer oder vielmehr die Computer, die auf dem großen Schreibtisch aufgebaut waren. Gleich zwei ein wenig unförmig aussehende Geräte aus leicht durchscheinendem blauen Material standen dort. Dazu noch ein großer Flachbildmonitor. Einer davon ließ an einem auf dem Monitor angezeigten Farbwechselspiel erkennen, dass er sogar eingeschaltet war. Lucas trat näher an den Schreibtisch heran und setzte sich auf den davor stehenden Chefsessel. Nun konnte er auch einige auf dem Schreibtisch verteilte Papiere – teils selbst beschrieben, teils ausgedruckt – sehen. Die Handschrift war größtenteils unlesbar – wahrscheinlich eine Art Kurz- oder Geheimschrift. Nur an den dazwischen befindlichen Skizzen konnte Lucas erkennen, dass sie sich mit dem Y2K-Projekt beschäftigen mussten. Da war zum Beispiel die Zeichnung des Großen Sterns mit der Siegessäule, die Neumann bei dem Telefonat mit Plague, das Lucas belauscht hatte, angefertigt hatte. Außerdem eine grobe Skizze des Gerätes, das sie als Bombe bezeichnet hatten, sowie einige sehr kompliziert aussehende Schaltpläne, auf denen ein paar rote handschriftliche Markierungen zu sehen waren. Ohne richtig zu wissen warum, griff Lucas nach der Computermaus und zog sie ein Stück zu sich heran. Sofort erwachte der Computer aus seinem Halbschlaf und zeigte einen mit diversen kleinen Icons übersäten Desktophintergrund, über den jedoch ein Fenster geblendet war. Dieses Fenster enthielt außer einem martialisch aussehenden Logo mit den danebenstehenden Buchstaben C. A. T. sowie dem Wort »Anmeldung« noch ein leeres Feld, in dem ein Cursor blinkte. Was Lucas auch versuchte, das Fenster ließ sich nicht schließen, um den Blick auf das, was dahinter lag, freizugeben.
Mist, ohne Passwort komme ich hier nicht weiter. Er runzelte genervt die Stirn.
Aber Lucas wollte unbedingt in die Tiefen dieses Rechners vordringen. Er hatte das Gefühl, dass er dort Antworten erhalten würde, die er weder auf dem Schreibtisch, noch irgendwo anders in der Wohnung finden könnte. Also begann er aufs Geratewohl, Passwörter einzugeben. Diese wurden immer umfangreicher und komplizierter, je länger sie ohne Erfolg blieben. Zwischendurch warf Lucas immer wieder hektische Blicke auf seine Uhr. Er hatte sich eine Deadline gesetzt, um rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein zu können. Schließlich waren es nur noch zwanzig Minuten, bis er seine Suche abbrechen musste. Vor lauter Verzweiflung gab Lucas als letzten Versuch eine Zeichenfolge ein, die er wegen ihrer Einfachheit als mögliches Passwort bisher ausgeschlossen hatte.
R-A-Y
Plong.
Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, das aber sofort wieder verschwand, weil sich auf dem Bildschirm doch nichts getan hatte.
Aber woher war dann …?
Plong.
Lucas sah auf, denn ihm war bewusst geworden, dass das Geräusch nicht vom Rechner herrührte, sondern von weiter oben und zu seiner Linken gekommen war. Dort erblickte er sich selbst, denn durch die draußen inzwischen herrschende Dunkelheit wirkte die neben dem Schreibtisch befindliche Glasscheibe wie ein Spiegel. Er stand auf, ging zwei Schritte bis zum Fenster und schaute angestrengt nach draußen. In diesem Moment tauchte ein Schemen, der noch dunkler als die Umgebung war, direkt vor seinem Gesicht auf und flog gegen die Scheibe.
Plong.
Erschrocken prallte Lucas zurück, aber als sein Gehirn ihm weitere Information zu dem eben Geschehenen lieferte, wandelte sich sein Schreck in Erstaunen. Es war eine Fledermaus.
Mehrere Stufen auf einmal nehmend lief Lucas nach unten, um durch die unter der Treppe liegende Tür auf die Terrasse zu gelangen. Er schob sie auf und sprang nach draußen, um nach dem geflügelten Besucher Ausschau zu halten. Lange musste er nicht suchen, denn die Fledermaus hatte offensichtlich bemerkt, dass er nach draußen gegangen war, und kam nun auf ihn zugeschossen. Lucas wich nicht zurück, sondern streckte beide Hände zu einer Fläche zusammengelegt nach vorn aus. Jämmerlich fiepend ließ sich das kleine Tier darauf nieder und bewegte sich danach nicht mehr. Sofort machte Lucas kehrt und lief damit quer durch den großen Raum, bis er die Kochinsel erreicht hatte. Dort legte er das winzige Bündel vorsichtig ab und schaltete das Licht in der Abzugshaube ein. Als die Strahler die Kochfläche in gleißendes Licht tauchten, konnte Lucas den Grund für das Fiepen erkennen: Dort, wo sich normalerweise die Hinterbeine befinden würden, war nur ein undefinierbarer Klumpen, der entfernt an ein Stück schwarzen Stoffes erinnerte. Vorsichtig berührte Lucas das Material. Sofort begann die Fledermaus wieder zu fiepen. Es klang in seinen Ohren eindeutig schmerzerfüllt. Schnell ließ Lucas wieder los, denn er hatte herausgefunden, was er wollte. Bei dem Stoff handelte es sich um ein Stück eines Meta-Suits. Lucas holte tief Luft. Dann nahm er die Fledermaus von der Herdfläche herunter und legte sie auf den Küchenboden. Er kniete sich hin und beugte sich über sie. Nach einem weiteren tiefen Luftholen legte Lucas seine Hände vorsichtig auf das Tier und schloss seine Augen. Es erwies sich als weiser Entschluss, dass er sich zusammen mit dem Tier auf den Küchenfußboden begeben hatte. Als die Verbindung nach einer kurzen Konzentrationsphase hergestellt war, brandeten plötzlich heftige Schmerzen durch sein Bewusstsein. Hätte er noch gestanden, so wären ihm in der unvermittelt einsetzenden Agonie bestimmt die Beine eingeknickt. Wer weiß, was dann passiert wäre? Bei dem, was als Nächstes geschah, kam seine Konzentration allerdings arg ins Wanken, sodass er die Verbindung um ein Haar verloren hätte.
Lucas … Gott sei Dank! , erklang die Stimme von Balthasar Neumann in seinem Kopf.
Ray?! Aber du … wieso … Lucas konnte es nicht verhindern, dass seine Kinnlade vor Entgeisterung heruntersank und der Mund offen stehen blieb.
Später , kam es angestrengt von Neumann zurück. Kannst du mich aus diesem Körper rausholen? Ich … schaffe es … nicht.
Ohne weitere Zeit mit Worten zu verschwenden, vertiefte Lucas seine Konzentration und bemerkte nach einer Weile, wie der Widerstand des anderen schließlich versiegte. Erleichtert stellte er fest, dass in dem Maße, wie der Körper der Fledermaus in seinem eigenen aufging, auch der brutale Schmerz nachließ, bis er zuletzt ganz verschwand.
Danke , erklang Neumanns Stimme. Lucas hatte das Gefühl, dass sie von einem tiefen Seufzer begleitet wurde.
Er wartete noch eine Weile, um das Chaos seiner Gedanken und Gefühle zu ordnen, bevor er sich an Neumann wandte.
Ähm, Ray? Hast du ne Ahnung, was da auf der Siegessäule abgelaufen ist? Ich meine … du warst doch tot … oder?
Nein, Lucas. Das war ich zum Glück nicht.
Aber Plague hat doch … der Sturz … und dann hast du völlig leblos auf dem Treppenabsatz gelegen.
Stimmt. Plague hat mich frontal erwischt. Ich bin von dem Schwung ins Stolpern gekommen und rückwärts die Treppe hinuntergekullert. Allerdings hatte ich noch ein As im Ärmel – nämlich eine ganz besondere Art von Meta-Suit, das nur für besondere Einsätze vergeben wird. Es ist in der Lage, harte Schläge oder sogar abgefeuerte Kugeln durch eine schlagartige Verhärtung aufzufangen und abzuleiten. Das hat mich vor dem Tritt bewahrt und auch die Folgen des Sturzes gedämpft. Allerdings hält die Verhärtung einen Moment lang an, sodass man sich in der Zeit nicht bewegen kann. Außerdem hatte ich mir den Kopf gestoßen und war ziemlich benommen.
»Aha«, machte Lucas und erschrak über den geäußerten Laut selbst. Dann sammelte er sich wieder. Aber danach … der Blitz. Du warst doch … eingeäschert. So wie Plague.
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