Philipp Thomas
Bildungsphilosophie für den Unterricht
Kompetente Antworten auf große Schülerfragen
Narr Francke Attempto Verlag · Tübingen
Umschlagabbildung: Mentale Kraft-Konzept. DrAfter123 © iStock
Prof. Dr. Philipp Thomaslehrt Philosophie/Ethik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten.
© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
utb-Nr. 5706
ISBN 978-3-8252-5706-4 (Print)
ISBN 978-3-8463-5706-4 (ePub)
Dieses Buch ist entstanden aus einer Wahlpflicht-Vorlesung im Modul Grundfragen der Bildung an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Das Modul ist Pflicht für die Studierenden aller Lehramtsstudiengänge. Alternativ zu meiner Vorlesung zur Bildungsphilosophie kann auch eine Vorlesung zu den Grundfragen der Bildung aus theologischer oder politikwissenschaftlicher Sicht besucht werden. Das Modul umfasst noch weitere Elemente, etwa Bildungssoziologie.
Das Buch behandelt bildungstheoretische und bildungsphilosophische Fragen. Im nächsten Kapitel möchte ich veranschaulichen, worum es sich bei diesem ganz eigenen Gebiet der Lehramtsausbildung handelt: weder Fachwissenschaft noch Fachdidaktik ist das Thema, weder Erziehungswissenschaft noch Psychologie – und doch sind die Grundfragen wesentlich. Kurz gesagt geht es nicht um Fragen vom Typ: Wie gelingt der Unterricht? Und wie erreichen wir bestimmte Bildungsziele am besten? Sondern es geht um Fragen vom Typ: Welche grundsätzlichen Werte und Ziele stehen hinter unserer Arbeit im Bereich der Bildung insgesamt? Worauf kommt es unserer Kultur eigentlich an – was zählt? Es geht also um Orientierung. Es geht darum, für die Werte unserer Gesellschaft zu werben: für Werte der Freiheit und der Menschlichkeit.
Am Ende jedes Kapitels werden Möglichkeiten für die weitere Auseinandersetzung vorgeschlagen, auch für Hausarbeiten oder Bachelorarbeiten.
Das Buch ist nicht disziplin-, sondern professionsbezogen. Nicht um die Disziplin Bildungsphilosophie geht es, sondern um den Lehrberuf. Hinter dem Text stand nicht die Überlegung, von welchen ‚Ansätzen‘ Lehramtsstudierende unbedingt einmal etwas gehört haben sollten, sondern leitend war die Frage: Wie können spätere Lehrpersonen kompetent antworten auf Fragen von Schüler:innen zu den großen kulturellen Themen? Wie können sie Bildungsexpert:innen für Orientierung durch Bildung werden? Thematisch fiel die Beschränkung auf 14 Themen in kurzen Kapiteln schwer. Viele weitere Themen wären interessant gewesen, auch hätte alles mehr Tiefe verdient. Ich habe mich um Anschaulichkeit, Klarheit und Kürze bemüht – ständig begleitet von der Furcht, zu stark zu vereinfachen.
Allen meinen eigenen Lehrer:innen, Schüler:innen, allen meinen früheren und heutigen Studierenden und Kolleg:innen möchte ich in diesem Buch sagen: danke!
Hinweis für Dozierende
Das Studienbuch umfasst 14 Kapitel und kann gut die Grundlage für die Arbeit eines Semesters sein. Es ist einsetzbar in jenen Anteilen der verschiedenen Lehramtsstudiengänge, in denen es um sehr grundsätzliche Fragen geht: um Bildungsphilosophie und Bildungstheorie, um die Grundfragen unserer Kultur und um Orientierung. Die einzelnen Kapitel sind teilweise umfassender, als es für eine Doppelstunde sinnvoll ist. Dies gibt Dozierenden oder auch Studierenden die Möglichkeit, aus dem Stoff auszuwählen. Wenn die Lehrveranstaltung wiederholt angeboten wird, lässt sich so der Lehrinhalt von Semester zu Semester variieren. Dies kann auch mit Blick auf eine Abschlussklausur sinnvoll sein.
Weingarten, im August 2021 Philipp Thomas
Einführung: Warum muss ich das alles wissen? Ich will doch nur Lehrer:in werden!
… wenn wir wüßten, wovon der weiße Mann träumt, welche Hoffnungen er seinen Kindern an langen Winterabenden schildert und welche Visionen er in ihre Vorstellungen brennt, so daß sie sich nach einem Morgen sehnen …
HÄUPTLING SEATTLE
(http://www.humanistische-aktion.de/seattle.htm)
Worum geht es?
Wie könnten wir dem Häuptling Seattle unsere Kultur erklären? Wie können wir duch Bildung Orientierung geben?
Zwar hat Häuptling Seattle (Eingangszitat) 1854 bei einer Anhörung vor dem Gouverneur des Washington-Territoriums (die Stadt Seattle ist nach ihm benannt) tatsächlich eine kritische Rede gegen die weißen Siedler gehalten. Doch die heute bekannte Version ist eine Nachdichtung aus der Ökologiebewegung der 1970er Jahre, die unseren Umgang mit der Natur kritisiert, der von Macht und Gier geprägt ist. Hat die westliche Kultur mehr zu bieten?
Auch darum geht es in diesem Buch. Doch der erste Schritt sind Ihre kritischen Fragen an Ihr Studium: Reicht es nicht, wenn Sie einfach die Fächer studieren, die Sie später unterrichten, sowie Fachdidaktik, Erziehungswissenschaft und Psychologie? Weshalb zusätzlich zu all dem noch Bildungsphilosophie? In diesem Kapitel erhalten Sie darauf eine Antwort, genauer geht es um Folgendes:
In welchen konkreten Situationen in der Schule nützt Ihnen Bildungsphilosophie?
Inwiefern gehört Bildungsphilosophie zur Profession Lehrer:in?
Um welche Art von Wissen geht es in der Bildungsphilosophie – im Vergleich zu Fachwissenschaft und Fachdidaktik Ihrer Fächer und im Vergleich zum Wissen in Erziehungswissenschaft und Psychologie?
Wie können Sie Ihren Schüler:innen Orientierung geben? Wie können Sie einführen in die Hoffnungen, Visionen und Werte unserer Kultur – die der Häuptling Seattle (Eingangszitat) nicht spüren kann?
Warum muss ich das alles wissen? Um Botschafter:in für unsere Kultur zu werden!
Meine Kollegin, die Kulturbotschafterin. Als ich Lehrer war, hatte meine Kollegin mit dem Fach Spanisch einen eigenen Unterrichtsraum. Alle Spanischlerngruppen mussten zu diesem Raum kommen, und sie war die Gastgeberin. Ihren Raum hatte sie nicht nur mit spanischsprachiger Lektüre ausgestattet, sondern auch mit schönen Bildern aus Spanien und Südamerika dekoriert. Ich kann mich noch an Flamenco-Kostüme erinnern, die etwas wild, aber schön an den Wänden hingen. Die Kollegin verstand sich als Kulturbotschafterin. Sie wollte ihren Schüler:innen nicht nur die Sprache beibringen, sondern auch für die spanische Kultur werben.
Nicht nur für eine Fachkultur, sondern für unsere Kultur als Ganzes werben. Egal, welches Fach Sie später unterrichten, auch Sie sind sozusagen Kulturbotschafter:innen. Zum einen vermitteln Sie Ihre Fächer und begeistern für diese. Genauso wie meine frühere Kollegin für ihr Fach Spanisch. Doch daneben haben alle Lehrpersonen noch eine weitere Aufgabe und um die geht es in diesem Buch. Ähnlich wie Eltern ihre Kinder in unsere Welt einführen, führen auch Sie Kinder und Jugendliche in unsere Welt, in unsere Kultur ein. Weshalb ist das so wichtig? Weil Kultur das ist, wovon wir träumen, wofür wir leben und was uns wichtig ist. Weil Kultur die großen Erzählungen umfasst, all das Bedeutende, wofür das Leben lohnt, und all die großen, ewig ungelösten Fragen, die wir der nächsten Generation doch weitererzählen. Der indianische Häuptling Seattle sagt im Eingangszitat, dass er den weißen Mann nicht versteht, der im Amerika des 19. Jahrhunderts Land von ihm kaufen will. Er spürt immer nur Macht und Gier und Ausbeutung der Natur. Er spürt nicht, wofür das alles gut ist: Welche Hoffnungen und Visionen gibt der weiße Mann seinen Kindern weiter? Dies Ihren Schüler:innen zu erklären, auch das gehört zu Ihrer Aufgabe.
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