Und mit einem Mal fiel alles von ihm ab.
Die Linie zu überqueren war wie das Öffnen eines Sicherheitsventils: Will spürte, wie die Kraft und die Geschwindigkeit und die pure Emotion ruhig und schnell abglitten. Er versuchte, es aufzuhalten und diesen Kraftschub festzuhalten, aber es hatte keinen Sinn. Mit jedem seiner schmerzhaften Atemzüge, mit jedem Anheben seiner Brust, mit jeder Pedalumdrehung fiel es von ihm ab und er wurde wieder zu dem Jungen, der erst vor 30 Minuten zum ersten Mal die Bahn betreten hatte. Erst vor 30 Minuten?
Als er in die nächste Kurve fuhr, war das, was ihm eben noch wie ein Rennen um Leben und Tod vorgekommen war, nur noch ein gemütlicher Landausflug mit Raymond. Die beiden fuhren still nebeneinander her, zwischen ihnen war nur das Keuchen ihrer Lungen zu hören. Schließlich schaute Raymond zu ihm herüber und sprach die ersten Worte, die Will ihn je sagen hörte: »Nicht schlecht.«
Die beiden drehten noch zwei Runden, um auszufahren und kamen dann vor Stewart zum Stehen.
»Was hältst du von ihm, Raymond?«
Raymond lächelte nur.
Stewart lächelte zurück. »Du hast Recht. Der ist in Ordnung.«
Stewart strich durch Wills Haar und betrachtete die Schnittwunde an seinem Kopf. »Das muss genäht werden und du wirst ein Haarnetz brauchen«, sagte er. »Wir müssen das Gehirn, das übrig ist, in deinem Kopf behalten – du wirst es brauchen.« Dann schaute er über den Rand der Bahn. Will folgte seinem Blick und sah seinen Vater, der mit rotem Kopf auf dem Geländer saß.
Stewart lächelte noch einmal und sprach, diesmal zu Wills Vater. »Es tut mir Leid ihnen das sagen zu müssen, aber ich denke, sie sollten sich darauf vorbereiten, so etwas öfter zu erleben – ich glaube, wir haben hier einen guten Fahrer gefunden.«

Wills Augen sprangen auf. Er hasste es, so aufzuwachen, plötzlich und ohne die geringste Chance, wieder einzuschlafen. Normalerweise passierte das nur, wenn er unter Druck stand, etwa in der Nacht vor einem Rennen. Aber jetzt wusste er nicht, warum, vielleicht einfach nur so. Morgen würden die Aufstellungen für die ersten Trainingsrennen der Saison bekanntgegeben, den Étoile de Besssèges, die Ruta del Sol und die Mittelmeer-Rundfahrt. Insgesamt 21 Fahrer würden teilnehmen, einer würde sich als Reserve bereithalten und einer würde einfach weiter trainieren. Das werde wohl ich sein, dachte Will, also warum soll ich mich aufregen?
Er drehte sich um und schaute auf die Uhr, die ihm seine Großmutter vor 25 Jahren geschenkt hatte. Sie hatte viel mitgemacht, aber sie tickte noch. Es war halb sechs. Er setzte sich auf die Bettkante, rieb sich die Augen, stand auf und ging ans Fenster, um die ersten grauen Streifen am Horizont eines Wintermorgens in Frankreich zu sehen.
Was war mit dem Jungen auf der Winterbahn nur passiert, wunderte er sich. Was war mit dem Jungen passiert, der mit seinem Kopf und seinem Herzen gefahren war, und nicht nur mit seinen Beinen?
Er rieb sich noch einmal die Augen. Er wusste es nicht. Aber zum ersten Mal seit vier Jahren interessierte ihn die Antwort.
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