Christian Uetz
Roman
Mit einem Nachwort von Fabian Schwitter
Der Autor dankt Pro Helvetia und der Stadt Zürich für die Unterstützung des Romans.
Erste Auflage
© 2021 by Secession Verlag Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Christian Ruzicska
Korrektorat: Peter Natter
www.secession-verlag.com
Gestaltung und Satz: Erik Spiekermann, Berlin
Herstellung: Daniel Klotz, Berlin
Friedrich Pustet, Regensburg
ISBN 978-3-96639-045-4
eISBN 978-3-96639-046-0
Für Barbara »Die Köhlera« (1959 – 2021) und ihre Jahrtausende durchwehende Stimme der Ich-bin-die-ich-bin, in ihrer gegen Verfügbarkeit so sperrigen wie allheiteren Klänge
und
Für Hans-Jost Frey den unübertreffbaren Lehrer der unendlichen Autorität der Sprache
Und keiner Waffen brauchts und keiner Listen, so lange, bis Gottes Fehl hilft .
HÖLDERLIN, Dichterberuf
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
ICH WAR MIR GEWISS, etwas Göttliches gefunden zu haben, das das Jenseits auf eine unverneinbare Tatsache stelle – felsenfest, unumstößlich. Die Tatsache fußte in meiner Überzeugung, jeder Mensch sei durch seine Sprache zugleich in allem und jenseits von allem, was ist, und zwar jederzeit und überall, und könne aus diesem Jenseits heraus auch erst ein Verhältnis zum Diesseits und zur Welt ausbilden. Damit war mir die göttliche Dimension der Sprache offenkundig. Die Tatsache, dass wir sprechen und im Sprechen über allem sind, worüber wir sprechen, diese per se Metadimension der Sprache konnte mir die Frage nach Gott beenden. Die Sprache selbst war es, und die Gedanken waren ein Gottgespräch in sich selbst.
Nun geschah etwas Seltsames: Je mehr ich mich in die Gottgewissheit verstieg, desto stärker wollte ich im Alltag dienen. Ich wollte so ergeben wie möglich dienen, vielleicht war es Dankbarkeit, mir aber wollte vor allem scheinen, es handelte sich um eine schier unglaubliche Sucht zur Anbetung. Wie mir die Göttlichkeit der Gedanken in eine neue Dimension zu treten schien, so verwandelte sich auch meine Neigung zu meiner Herrin in eine neue, mich selbst verblüffende Obsession: Die mich schon immer verfolgt habende und zuweilen ausgelebte Dominafantasie, in der ich von einer mir unfassbar Schönen gepeinigt und erniedrigt wurde, mutierte in meiner Vorstellung zum vollständig geöffneten Paradies, in dem ich der Sklave meiner Ehefrau Liv war, ihr Sexsklave, ihr Haushaltssklave, ihr Kinderhütesklave.
Wir kannten uns seit 2007 und behaupteten von der ersten unverbindlichen Nacht an eine offene Beziehung, die wir mit spontanen Nächten hier und da und anderswo lebten. Auch die 2017 erfolgte Heirat war kein Vertrag zur Monogamie, sondern sollte einfach unsere Liebe besiegeln, samt den beiden Kindern, Rosa und Eva, die bei der Heirat null und drei Jahre alt waren. Mit der Offenheit gegenüber anderen glaubten wir nur unser Vertrauen zueinander zu vertiefen. Aber nun erschauderte ich allein schon bei dem Gedanken an meine Ehefrau-Herrin vor Glück und Hingabe und Begehren. Und da mich alles, was ich für sie tat, erotisierte, erregte es mich auch, ihre Wäsche zu waschen, für sie einzukaufen, zu kochen, zu putzen. Ihr im Bett zu dienen entsprach uns beiden von Anfang an. Dass ich nun auch im Haushalt möglichst viel übernahm, und Liv, die das Weimarer Goethe-Institut leitete, infolge einen weniger mühseligen Alltag genoss, freute sie selbstredend sehr. Es führte aber dazu, dass ich sie auch zu meiner tatsächlichen Domina machen wollte, was die üblichen Praktiken einschloss. Als ich ihr zu ihrem 45. Geburtstag, am 15. Februar 2020, Handschellen schenkte, nahm sie das noch gelassen hin, mit der Bemerkung, es sei dies doch eher ein Geschenk für mich selbst. Doch als ich ihr zwei Tage später auch noch eine Femdomfiebel, einen psychologischen Dominaratgeber und eine universale Dominapraktikenanleitung schickte, die sie nichtsahnend aus dem Postkasten holte, da riss ihr die Geduld und sie schrieb mir eine Textnachricht aus dem Zug, mit dem sie zu einer dreitägigen Goethe-Haus-Tagung nach München fuhr. Ich lebte halbwöchentlich in Zürich als Spanischlehrer und halb bei ihr und den Kindern, so dass ich nun wiederum nach Weimar unterwegs war, um die Kleinen vom Kindergarten abzuholen und zu hüten, bis Liv von der Tagung zurückkam. Heute habe ich die Dominab ücher aus dem Briefkasten geholt. Mir missfällt diese ganze Nummer. Das sind doch keine Geschenke, dem anderen seine Fantasie aufzunötigen. Ich dachte, du bist in einer Phase der Liebe zu mir, in der ich sein kann, wie ich will. Dass ich keine Domina sein will, wei ß t du eigentlich. Akzeptierst es nur nicht. Oder was soll ich davon halten?
Wie fast immer in solchen Situationen, schrieb ich eine Mail. 18. 2. 2020: Du möchtest keine Domina sein, wie ich wissen müsste und offenbar doch nicht ganz wusste. Ich dachte wohl, ich könnte Dir mit den Dominabüchern die Domina schenken, die Du als meine Angebetete doch schon bist. Denn als Domina sollst Du nur ganz so sein können, wie Du bist und ganz das wollen, was Du willst. Du hattest mir im Herbst geschrieben, Du wüsstest zwar immer noch nicht so genau, was eine Herrin eigentlich sein soll, aber nichts treibe Dich weg von mir . Die Dominabücher sind meine Verirrung. Aber dass ich Dir im Haushalt und mit den wunderbaren Mädchen möglichst viel abnehmen will, ist doch das, was Dich in jüngster Zeit besonders freut. Dir dienen zu wollen ist mir auch an sexuelles Dienen gekoppelt. Ohne dieses verlöre auch das andere die Erregung. Und es erregt mich buchstäblich, wenn Du schreibst: Es wird spät heute – gibst Du den Mädchen einen Gute-Nacht-Kuss von mir? Wir können die Dominabücher vergessen. Ich will dir stattdessen schreiben, was mir dazu einfällt: Vor Augen schwebt mir die Szene vor wenigen Wochen. Wie Du Dich von meiner Zunge bedienen ließest, wieder und wieder, war für mich so heilig, dass ich schon nichts anderes mehr suchte – was mich nur umso mehr erfüllte. Du hast zuletzt gesagt, dass du Dich plötzlich fragtest, ob es nicht zu anstrengend werde für mich. Aber das wünsche ich mir ja. Keinen Satz höre ich lieber als: Hör nicht auf! Und auch beim Miteinander-Schlafen wünsche ich mir, dass Du immer neu sagst: Hör nicht auf! Wenn ich nur täglich an Dir untergehen und Dir ansonsten im Alltag alles abnehmen kann. Das erfüllt schon alles, was ich mit Domina meine. Ich weiß nicht, ob Du solches denkst, wenn Du sagst: Ich will keine Domina sein . Aber ich glaube es nicht und ich hoffe es nicht. Und wenn Du einfach willst, dass Du nicht dominant sein sollst, sage ich Ja dazu! Ich wage kaum zu schreiben, wie gerne ich sagte: Ja, Herrin . Verrückterweise fühle ich hier Ja, Herrin schreibend direkt zwischen den Beinen. Ich glaube jetzt in dieser Sekunde, dass das Dich Herrin zu nennen am tiefsten das ist, was ich suche, und dass es religiös ist, umfassender als alle konkreten Domina-und-Dienertätigkeiten. Das macht mich geradezu wahnsinnig vor Erkenntnis und Glück, taumelig vor Erregung. Zwar habe ich Dir gegenüber schon seit Längerem von der Herrin gesprochen, die ich gesucht und in Dir gefunden habe, aber nie sprach ich Dich als Herrin an, und noch denke und schreibe ich es nur, in der demutsvollen Hoffnung, es möge Dich so unaufdringlicher ansprechen.
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