»Ihr kocht Bananen?«, fragte ich.
»Die sind nicht wie gelbe Bananen«, erklärte Tony. »Das ist kein Obst, das ist ein Gemüse.«
»Für mich sehen die beide gleich aus«, sagte ich. »Ich ess Banane immer in Scheiben mit Vanillesauce. Hab ich für meinen Dad gemacht. Das hat er geliebt. Aber das hier sieht … also seid jetzt nicht beleidigt … total daneben aus.«
»Probier mal«, schlug Colleen vor.
Ich beäugte das Zeug erneut. Es dampfte. Ich werde meine Geschmacksknospen nicht quälen.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich will euch nicht beleidigen, aber das ist nichts für mich.«
Pablo kicherte. Sharyna schaute ihn an und ließ sich von seinem Kichervirus anstecken.
»Nomi, du musst dein Gemüse essen«, sagte Pablo mit Quietschestimme.
Aller Augen waren auf mich gerichtet. Ich stand auf, nahm eine Serviergabel und spießte ein Stück auf. Ich ließ es auf meinen Teller fallen und schnitt ein kleines Stück ab. Das spießte ich wiederum auf meine Gabel und hielt es mir vor die Nase. Dann steckte ich es in den Mund und kaute, dachte darüber nach und kaute noch mal. Ich schaute erst nach links, dann nach rechts.
»Ganz schön hart«, sagte ich. »Schmeckt überhaupt nicht wie echte Banane. Eher wie eine komische Kartoffel.«
Pablo platzte vor Lachen, spritzte Karotte und Huhn über seine Seite vom Tisch.
»Willst du auch mal die Yams probieren?«, schlug Tony vor, nachdem er Pablos Platz sauber gewischt hatte. »Schmeckt auch ein bisschen wie Kartoffel.«
»Ganz schön grau,« meinte ich.
»Probier’s doch«, drängte mich Colleen.
Ich spießte ein plattes Stück Yams auf, legte es mir auf den Teller und schnitt ein kleines Stück ab. Steckte es in den Mund und kostete.
»Ist hart«, sagte ich. »Wie eine harte Kartoffel.«
Wieder prusteten Pablo und Sharyna drauflos.
Zehn Minuten später hatte ich aufgegessen. Mein Teller war leer. Colleen grinste so breit wie die ganze Zeit noch nicht.
Ich half Tony beim Abspülen, während Colleen im Wohnzimmer mit Sharyna und Pablo ein Brettspiel spielte.
»Und? Was hast du heute gemacht?«, fragte Tony.
Standardpflegeelternfrage. Er gibt sich Mühe, also lass ich ihn. Aber mein Fummleralarm ist aktiviert, falls er auf die Idee kommen sollte, mir Süßigkeiten schenken zu wollen.
»Nicht viel«, erwiderte ich.
»Warst du draußen?«
»Ja.«
»Wo?«
»Einkaufen.«
»Hast du bekommen, was du wolltest?«
»Ja.«
»Was habt ihr noch gemacht?«, fragte Tony.
Sieht man das nicht? Was muss ich denn noch alles tun? Den Kopf schütteln und ihm meine neuen Zöpfchen in die Fresse schleudern?
Ich zuckte mit den Schultern.
»Wir haben in dem neuen China-Buffet-Laden auf der High Street gegessen!«, rief Colleen aus dem Wohnzimmer.
»Super!« Tony lächelte. »Was hast du dir ausgesucht, Naomi?«
»Chinesisch«, erwiderte ich.
»Hast du mal einen von den Kräutertees da probiert?«
»Nein«, erwiderte ich. »Ich trinke keine Blumen.«
»Wir hatten beide Frühlingsrollen und Special Fried Rice«, ergänzte Colleen aus der Diele.
Die Konvo war echt öde.
»Ich geh nach oben und schau eine DVD«, sagte ich. Dann an Colleen gewandt: »Versprichst du mir, dass du morgen Vormittag meine Haare fertig machst?«
»Na klar.«
»Louise wird echt geschockt sein«, grinste ich.
Ich sauste an Colleen vorbei, die Treppe hoch.
Anderthalb Filme später kam ich wieder runter, um mir Saft zu holen. Ich ging am Wohnzimmer vorbei und sah Tony dort auf einem Kissen sitzen. Colleen parkte hinter ihm auf einem Sessel und massierte ihm die Schultern. Auch das hatte ich bei Mum nie gesehen, dass sie so was bei Rafi oder Dad gemacht hatte. Wahrscheinlich hatten sie sich zu viel gestritten und keine Zeit dafür gehabt.
»Alles okay?«, fragte Tony.
»Ja«, erwiderte ich. »Sharyna und Pablo sind in meinem Zimmer und gucken was.«
Tony und Colleen wechselten Blicke. Ich ließ sie.
Als ich ein großes Glas Cola runtergekippt hatte, saßen Sharyna und Pablo mit offenen Mündern links und rechts an Kissen gelehnt neben mir. Ich hatte das Licht ausgemacht und die Vorhänge zugezogen. Sie schauten sich einen krumm gebauten Typen mit nur einem Auge, einer weißen Weste voller Flecken und einer zerrissenen Jeans an, der mithilfe einer Bohrmaschine gruselige Schweinereien mit dem kleinen Zeh eines gefesselten Teenagermädchens veranstaltete. Die blonde Schnalle schrie und schrie noch mal, dann wurde sie bewusstlos. Geschieht ihr recht. Wieso hat sie auch Sex mit ihrem Freund auf dem Rücksitz von ihrem gebrauchten Honda haben müssen? Pablo legte sich die Hände vors Gesicht. Sharyna bohrte sich die Finger in die Wangen – ihre Augen waren groß wie braune Spiegeleier.
Jemand bewegte den Türknauf.
Mein Kopf drehte sich zur Tür. Tony feuerte Kanonenkugelblicke auf mich ab, dann marschierte er schnurstracks zum Fernseher, schaltete ihn aus und funkelte Pablo und Sharyna an. »Ab ins Bett!«
Ein breites Grinsen zeigte sich auf Pablos Gesicht. »Gute Nacht, Nomi.« Er stand auf und verzog sich zuckersüß in sein Zimmer.
Sharyna brauchte eine Weile, bis sie sich rührte. Sie stand vom Bett auf und starrte unter sich. »Wir beide unterhalten uns gleich noch, junges Fräulein.«
»Ja, Dad«, erwiderte Sharyna.
Tonys Blick feuerte jetzt wieder auf mich. Er sah aus, als hätte er lange keinen Kürbissaft mehr gehabt. »Denen war langweilig, also haben sie bei mir angeklopft und gefragt, was ich mache«, sagte ich. »Sie wollten gucken, was ich geguckt hab. Sie haben ja keinen DVD-Player im Zimmer. Dabei hättest du genug Kohle, um ihnen einen zu schenken.«
Tony warf die DVD aus, hielt sie in der linken Hand, während er den Player vom Fernseher abkabelte. Er fuchtelte in der Luft damit herum, als wär’s ihm total egal. » Das «, sagte er, »gehört sich nicht. Ganz offensichtlich kann man dir nicht vertrauen. Kinder von sechs und elf Jahren sollten so was nicht gucken.«
Tony verließ mein Zimmer mit der DVD in der Hand.
»Wo willst du hin mit meiner DVD?«, fragte ich. Ich sprang aus dem Bett und rannte Tony in den Flur hinterher.
»Irgendwohin, wo du sie nicht findest«, erwiderte er.
»Aber die gehört mir. Dein scheiß Name steht da nicht drauf!«
»Du bist zu jung, um dir so was anzuschauen.«
»Trotzdem gehört sie mir! Wer bist du, dass du mir meine Sachen abnehmen darfst? Hast du sie gekauft? Nein! Also gib sie mir wieder! Unverschämtheit!«
»Das ist mein Haus und du wirst dich an meine Regeln halten.«
»Ich hab nicht drum gebeten, herzukommen, du Arschgesicht! Scheiß auf deine verkackten Vorschriften! Gib mir die DVD zurück.«
»Hör auf mich zu beleidigen, junges Fräulein, sonst bekommst du sie nie wieder.«
»Das nennst du beleidigen? Halt schön die Luft an, ich hab noch gar nicht richtig angefangen.«
Pablos Zimmertür flog auf – ich konnte seinen halben Kopf und sein Grinsen sehen.
»Du kannst deine DVD wiederhaben, wenn du dich dafür entschuldigst, dass du sie kleinen Kindern gezeigt hast.«
»Dann gibst du sie mir nicht wieder?«, fragte ich.
»Ob du einen Tag oder zehn Jahre hier bist«, sagte Tony, »du musst lernen, dass es Grenzen gibt, Naomi. Lerne, was in Ordnung geht und was nicht.«
Ich kehrte Tony den Rücken zu, stampfte durch den Flur und bog in Tony und Colleens Schlafzimmer ab. Sie hatten DVD-Boxen auf dem Regal gegenüber vom Bett. Ich schnappte mir 24, die Hobbit- Trilogie und jede Menge andere. Beim Rausrennen fielen ein paar davon zu Boden. Tony stand immer noch im Flur. Colleen kam die Treppe rauf. »Sie hat den Kindern einen Horrorfilm gezeigt«, petzte Tony.
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