Ich spreche hier nicht mal über die ganz offensichtlichen Fälle von Gewaltreiterei, wo Menschen ihre Pferde mit Rollkur und Schlaufzügeln zuschanden reiten. Oder Jungpferde in hochdotierten und alle Sparten der Reiterei betreffenden Prüfungen wie auswechselbares Material verheizen. Oder Gangpferde mit wenig pferdefreundlichen Hilfsmitteln an den Beinen drangsalieren. Oder … oder … oder …
Ich denke an die vielen Pferdemenschen, die es eigentlich gut meinen mit der Ausbildung ihres Tiers und sich doch irgendwann fragen müssen: An welchem Punkt habe ich den Pfad verlassen, an dem ich mein Pferd nicht mehr gesund erhaltend ritt, sondern die Dressur oder meine Reiterei umkehrte zu einer verschleißenden Gefahr?
Ich frage mich das häufig, und nicht nur bei den eigenen Pferden. Ich habe leider viel gesehen und erlebt in den letzten Jahren und mir sind einige traurige Fälle begegnet.
Ich nenne hier mal ein anderes Beispiel und lasse es einfach mal so stehen:
Seit zwanzig Jahren arbeite ich in der pferdegestützten Pädagogik. Kinder und Jugendliche können mithilfe unserer Ponys in ihrer Persönlichkeit wachsen, zu bewussten, reflektierten, liebesfähigen und verantwortlichen Menschen heranreifen und lernen nebenbei noch ziemlich gut reiten. Vier wunderbare Ponys sind dabei meine unterstützenden Kollegen. Unser Ältester, ein Fjordpferd, ist leider vor Kurzem dreißigjährig gestorben. Er hat seine Arbeit bis zuletzt getan und hatte nie gesundheitliche Probleme, nicht eine Lahmheit in all der Zeit. Und auch die anderen Ponys haben in den Jahren, in denen ich diese Arbeit nun schon mache, nie gelahmt, hatten keine Sehnen- und keine Gelenkprobleme. Wie kann das sein? Die Ponys leben weitestgehend artgerecht in einem großen Offenstall mit Sandauslauf. Sie werden von montags bis freitags zwischen vier und fünf Uhr für eine Stunde im Schritt, Trab und Galopp geritten, hinzu kommt eine gründliche Bodenarbeit und manchmal ein bisschen Über-Cavaletti-Springen. Ich longiere sie gelegentlich, schule sie ab und zu an der Hand und spiele mit ihnen. Samstag und Sonntag haben sie frei von uns. Das ist ihr ritualisierter Wochenablauf.
Die Ponys werden von den Kindern viel in Zirkeln und Volten geritten, in Selbsthaltung am losen Zügel, zumeist gebisslos. Und sie sind durchweg alle ausbalanciert und mehr oder weniger geradegerichtet. Sie gehen im Takt und sind losgelassen. Sie haben keine Sättel, nur Reitpads, und auch keine Rückenprobleme. Sie kennen keine weiterführenden Dressurlektionen und gehen auch keine großen Ausritte. Das ist nicht repräsentativ, ich weiß. Es ist auch nur ein kleines Beispiel dafür, wie gesunderhaltendes Reiten vielleicht auch aussehen könnte. Und es regt zum Nachdenken darüber an, wie viel oder besser wie wenig wirklich nötig ist, um ein Pferd lange schadlos zu reiten, beziehungsweise wann es sich ins Gegenteil umkehren kann, weil unser Ego vielleicht zu begeistert vom Einpauken überflüssiger Lektionen ist.
Wir allein müssen das entscheiden und verantworten, wenn wir unsere Pferde reiten.
Ich möchte Sie an dieser Stelle gern etwas fragen:
Welches Gefühl ist Ihnen am bewusstesten, wenn Sie Ihr Pferd reiten?
Empfinden Sie Liebe und Freude auf dem Rücken Ihres Pferdes?
Spüren Sie deutlich, dass Sie sich mit Ihrem Pferd in eine gemeinsame Energie begeben und geradezu darin versinken?
Haben Sie das Gefühl, Ihr Pferd sagt Ja zu Ihnen?
Als Nächstes fragen Sie einmal Ihr Pferd. Und geben Sie selbst die Antwort für Ihr Tier. Ich denke, Sie sind vertraut genug miteinander, dass Sie das dürfen:
Magst du die gemeinsamen Bewegungseinheiten mit mir?
Was könnte ich anders/besser machen?
Gibt es etwas, das dich sehr stört?
Was macht dir am meisten Spaß und was kommt dir und deinen Fähigkeiten am ehesten entgegen?
Sagst du Ja zu mir?
Nach diesen Fragen bewegt einen unter Umständen so mancher Gedanke.
Nun habe ich Sie vielleicht in einen Dialog mit sich selbst geführt. Wie auch immer dieser sich gestaltete oder auch noch nachwirkt, möglicherweise haben Sie anhand der Fragen gespürt, dass es irgendwo in der angestrebten vollkommenen Harmonie mit Ihrem Pferd noch ein klein wenig hakt. Vielleicht auch nicht, dann ziehe ich den Hut vor Ihrer Meisterlichkeit. Wenn aber hier und da noch ein bisschen daran fehlt, würde ich Ihnen beiden gern helfen, über ein paar holprige Steine hinwegzukommen.
Ja, Sie brauchen Wissen:
über die Biomechanik Ihres Pferdes und welche Muskeln Sie mit welchen Übungen stärken können,
über Anatomie und die Möglichkeit, von den Hufen über die Beine, den Rücken bis zum Hals, Genick, Kopf einschätzen zu können, was für das Pferd leistbar ist aufgrund seiner körperlichen Gegebenheiten,
über passende Ausrüstung und wie diese auf das Pferd einwirkt.
Sie müssen lernen, die Länge einer Reiteinheit für das jeweilige Pferd einzuschätzen, um nicht über seine mentalen und körperlichen Grenzen zu gehen. Dasselbe gilt auch für Sie selbst und Ihre Grenzen!
Sie brauchen Wissen über feine bis allerfeinste Hilfengebung.
Sie brauchen viel Gefühl, Timing, Koordination und ein gewisses Maß an Ausdauer,
Verantwortlichkeit für sich und für Ihr Pferd,
eine geschmeidige Balance auf dem Pferderücken sowie eine innere und äußere Losgelassenheit, damit sich auch Ihr Pferd unter Ihnen loslassen kann.
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