Als er in den Garten zurückkam, bermerkte er auf der Linde vor dem Hause zwei zierlich beschuhte Füßchen zwischen den Zweigen. Es war Florentine; sie saß im Baume, mit den Füßchen baumelnd, während sie Waltern nachschaute, der sich soeben in der Dämmerung zwischen Wiesen und Kornfeldern verlor. Das heitere Mädchen schien in ihrer Unbefangenheit von seinem Mißmute gar nichts zu ahnen.
Fortunat aber ging allein und unruhig durch den Garten. »Ich werde doch kein Narr sein und mich verlieben?« sagte er zu sich selbst »Und doch bin ich auf dem nächsten Wege dazu. Und hinter mir langsam und feierlich der abgemagerte Geist des sich selbst erschossenen Walters, und vor mir ein Zug von Tanten und Basen, und gute Wirtschaft, und Kindergeschrei, und ein Haus machen«
Der Angstschweiß trat ihm ordentlich bei diesen Gedanken vor die Stirn. Er rannte eiligst nach dem Hause zurück und eröffnete dort ohne weiteres der erstaunten Familie, wie er zwar heute gerade keine Briefe aus der Stadt bekommen habe, aber eigentlich ebenfalls schleunigst fortreisen müsse; daß er daher für Speis und Trank und alle die schöne, stille, herrliche Zeit aus Herzensgrund Dank sagen und hiermit sogleich schon heut Abschied nehmen wolle, da er noch vor Tagesanbruch weiterzuziehen gedenke. Florentine wurde bei diesen Worten ganz rot, sie setzte sich schnollend auf eine entfernte Bank, und Fortunat glaubte zu bemerken, daß ihre abgewendeten Augen von Tränen glänzten. Auch die andern machten ihm durch ihre aufrichtige Trauer das Herz schwer, denn sie hatten sich alle in der kurzen Zeit an seine fröhliche Weise gewöhnt. Er mußte versprechen wiederzukommen und ihnen noch ausführlich von den Ländern und Städten erzählen, wohin seine Reise ging; so saßen sie noch lange plaudernd vor der Haustür beisammen. Beim Schlafengehen endlich flüsterte ihm Florentine noch heimlich zu: »Und ich werde doch auf sein, eh' Sie wegreiten!«
Er hatte alle Fenster des Schlafzimmers offen gelassen, um den Morgen nicht zu verschlafen. Da war es ihm, als gingen draußen fröhliche Stimmen unter den Fenstern auf und nieder und riefen immerfort in seinen Schlummer hinein: »Frisch auf, schlafe nicht mehr! Wunderbare Berge und Gründe, schimmernde Fernen, frisch auf! Und schöne, helle, fröhliche Zeit!« – Er sprang endlich empor und blickte durchs Fenster. Es war noch Nacht; dennoch kleidete er sich in langentbehrter Reiselust sogleich an, ging durch das stille Haus an Florentinens Schlafkammer vorüber und machte noch schnell einen Gang durch den Garten. Es war in der Nacht ein warmer Regen gefallen, die Nachtigallen schlugen überall aus den erfrischten Büschen, hin und her bellten Hunde fern in den Dörfern, sonst lag alles noch still im prächtigen Mondschein unter dem weiten, gestirnten Himmel. – Als er zurückkehrte, hörte er unten im Hause leise ein Fenster öffnen, es war Florentine, die sich in leichter Morgenkleidung hinauslehnte. »Zisch aus! zisch aus!« rief sie ihm entgegen, »ich bin früher wach gewesen als Sie!« Dann, sich im Garten umsehend, sagte sie, »das ist gerade wie damals, da Sie hier das Ständchen brachten und wir Sie zum erstenmal sahen. – Nun wird es hier wieder recht einsam sein, und ich wollte Sie eben nur noch bitten, daß Sie auf Ihrer Reise von sich hören lassen und manchmal an Waltern schreiben, der Ihnen außerordentlich gut ist und gern von fremden Ländern hört.« – Fortunat versprach es und bat sie um einen Kuß zum Abschiede. – »Warum nicht gar!« rief das Mädchen lachend, indem sie ihm schnell die Hand hinausreichte, dann schloß sie geschwind das Fenster, und er sah sie nicht wieder. Fortunat warf sich nun ungesäumt auf sein Pferd und ritt durch die hohe, dunkle Allee an dem Gittertor des Gartens und dem stillen Dorfe vorüber. Draußen auf dem Berge aber wandte er sich noch einmal zurück. »Gesegnet«, rief er, »du schönes Waldtal, in deiner glückseligen Abgeschiedenheit, möge der Sturm der Welt dich nie verstören!«
Inhaltsverzeichnis
Ein schweres Gewitter zog eben an dem Gebirge hin und sandte seine Regenschauer in die Ebenen hinaus, während Fortunat, durchnäßt und lange vom Wege abgekommen, über ein weites, in Regen und Abenddunkel verhülltes Feld dahintrabte. Da hörte er unerwartet den Gesang einer schönen Männerstimme von fern herüberschallen, wovon er nur folgende Worte verstehen konnte:
Bei dem angenehmsten Wetter
Singen alle Vögelein,
Klatscht der Regen auf die Blätter,
Sing ich so für mich allein.
Denn mein Aug kann nichts entdecken,
Wenn der Blitz auch grausam glüht,
Was im Wandeln könnt erschrecken
Ein zufriedenes Gemüt.
Er gab seinem Pferd die Sporen und erreichte in kurzer Zeit ein Häufchen Wanderer, die neben einem Paar Pferde einherschritten, auf denen zwei junge Frauenzimmer saßen. Mit freudiger Überraschung erkannte er sogleich die abenteuerlichen Gestalten der Schauspieler wieder, die an Victors Stammburg vorübergezogen waren, von denen aber jetzt die Dunkelheit nur die ungefähren Umrisse erraten ließ.
Fortunats Gruß fand nur eine halbe Erwiderung, die Gesellschaft schien in üblem Humor zu sein, und langsam und schweigend, wie ein schwerer Traum, bewegte sich das Ganze weiter. Endlich unterbrach der Voranschreitende, welcher soeben gestolpert war, die Stille mit einem derben Fluche, prustete und glitt gleich wieder aus und kam gar nicht aus der Wut. – »Das haben wir davon«, hub die eine Dame zu Pferde zu der andern Reiterin an, »das haben wir nun von eurer schönen Natur. Brächen die Herren nicht ihren Flaschen auf das Wohlsein jeder alten Burg die Hälse, so wäre uns allen jetzt wohler und wir säßen im Trocknen, denn unser Wagen ist gewiß längst in der Stadt.« – Dabei breitete sie mühsam einen, wie es schien, nicht sonderlich konditionierten Regenschirm über sich aus. Aber der Wind verarbeitete ihn sogleich mit solcher Fertigkeit, daß ihre berittene Nachbarin laut auflachte und die Dame ihre Segel erbost wieder einziehen mußte. Fortunat, welcher hier heimlich auf ein ergötzliches Gezänk hoffte, ermahnte die Gesllschaft, den beiden Damen in diesem Kampfe mit den Elementen durch ein gemeinschaftliches, angemehmes Gespräch galant unter die Arme zu greifen. Die Männer antworteten gar nicht darauf, die Dame mit dem Regenschirme aber fragte: ob er vielleicht auch ein Künstler sei und es so gut haben wolle wie sie? »Oh«, setzte sie spitzig nach ihrer Nachbarin gewendet hinzu, »Liebhaberrollen sind hier jederzeit zu haben.« – »Bitte sehr«, erwiderte die Nachbarin mit einer wohlklingenden Stimme, »bei Ihnen ist ja diese Stelle seit geraumer Zeit vakant.« – Ein plötzlicher Blitz beleuchtete hier auf einen Augenblick ein schönes, feines, aber bleiches Gesichtchen, über welches zu beiden Seiten lange schwarze Haare triefend herabhingen. – »Mein Gott, was ist das für eine Wirtschaft um das bißchen Regen!« rief einer der jungen Männer aus, »quamquamsint sub aqua, sub aqua maledicere tentant!« – »Sparen Sie doch Ihr Latein«, sagte die Dame mit dem Schirm, »Sie memorieren wohl eben den Bettelstudenten?« Sie wollte noch mehr sprechen, aber der Literatus fiel schnell in das Lied wieder ein, das Fortunat schon vorhin von fern gehört hatte, und übersang sie lustig:
Frei von Mammon will ich schreiten
Auf dem Feld der Wissenschaft,
Sinne ernst und nehm zuzeiten
Einen Mund voll Rebensaft.
Bin ich müde vom Studieren,
Wann der Mond tritt sanft herfür,
Pfleg ich dann zu musizieren
Vor der Allerschönsten Tür.
»Land! Land!« schrie hier plötzlich der Voranschreitende dazwischen, und man erblickte zu allgemeiner Freude von weitem Mauern und Türme, die sich wie dunkle Riesen immer deutlicher aus dem trüben Grau aufrichteten. Einzelne Lichter schimmerten schon den Reisenden trostreich entgegen, ein jeder strengte neu belebt seine letzten Kräfte an, und so waren sie bald an dem Tore eines kleinen Städtchens angelangt. – Wie Zugvögel mit begossenen, hängenden Flügeln strichen sie stumm durch die engen, finsteren Gassen, wo sich die Lichter aus den Fenstern blendend und verwirrend im Wasser spiegelten, während der Regen von den Dächern aus abenteuerlich vorgestreckten Drachenköpfen auf sie herabstürzte.
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