Ruthild Haage-Rapp, Christa Middendorf & Ana Cristina Pires
SELBST-geführte
Psychotherapie
Neue Wege der Integrativen
Psychotherapie Innerer Systeme und
der professionellen Selbstfürsorge
© 2021 Arbor Verlag GmbH, Freiburg
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2021
Lektorat: Usha Swamy
Titelfoto: ©alessio soggetti/unsplash.com
Umschlaggestaltung und Satz: mediengenossen
www.arbor-verlag.de
ISBN E-Book: 978-3-86781-374-7
Inhalt
Einleitung
Teil 1
Grundlagen der Integrativen Systemischen Therapie mit der Inneren Familie
Die Achtsame Wahrnehmungsschulung
Körperpsychotherapien
Traumatherapie
Teil 2
IIFS – Die Integrative Systemische Therapie mit der Inneren Familie
Eine kompakte Zusammenfassung
Das Konzept des Selbst – eine Annäherung von Ruthild Haage-Rapp
SELBST-Qualitäten und Persönlichkeitsanteile in der IIFS erfahren und erleben
SELBST und Persönlichkeitsanteile voneinander unterscheiden
Die Arbeit mit Teilen in der Psychotherapie
Weitere Charakteristika der IIFS
Teil 3
Vertiefende Aspekte und Anwendungsbereiche in der Therapie mit IIFS
Schamgebiete von Ana Cristina Pires
Psychoonkologie mit IIFS von Christa Middendorf
IIFS und Trauma
Teil 4
Professionelle Selbstfürsorge mit IIFS
Was ist Professionelle Selbstfürsorge?
SELBST-Qualitäten und Therapeut*innen-Teile im Beruf entdecken
Balintgruppen
Supervision
Literaturliste
Die Autorinnen
Danksagung
Kontaktadressen
Einleitung (bitte unbedingt als Erstes lesen. Danke!)
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Mit diesem Buch wenden wir uns vorwiegend an psychotherapeutisch oder ärztlich tätige Menschen, mit und ohne Vorkenntnis in IFS/IIFS, und an diejenigen unter Ihnen, die sich in ihrem Berufsleben neues Lebenselixier, Freude und Überraschung wünschen.
Der Titel »SELBST-geführte Psychotherapien« könnte zu allerlei Fantasien anregen. Natürlich führen wir Psychotherapien selbst durch – diese Selbstverständlichkeit möchte der Titel nicht hervorheben. Auch müssen sich die Klient*innen natürlich nicht alleine therapieren. Jedoch tragen auch ihre eigenen SELBST-Qualitäten beträchtlich zum Therapieerfolg bei. Die Therapeut*innen sind selbstverständlich »noch« notwendig, um eine Therapiestunde zu begleiten, wenngleich die IIFS-Therapeut*innen SELBST in einer etwas anderen Weise zum Einsatz kommen, als wir das aus bisher bekannten Psychotherapien kennen. Wir arbeiten leichter und intensiv, wenn wir aus uns SELBST heraus arbeiten und nicht unsere Therapeut*innen- Teile arbeiten lassen. Die Selbstreflexions- und Supervisionsmöglichkeiten in das eigene innere System und das der Klient*innen können sich mit dieser Methode deutlich erweitern. Und ihre Lust und Freude auf Therapie vergrößern sich.
Eines der wenigen anvisierten Ziele dieser Arbeit ist es, sowohl Therapeut*innen als auch Klient*innen in die Lage zu versetzen, zu unterscheiden, ob sie aus sich SELBST heraus leben und handeln oder eher ihren Persönlichkeitsanteilen folgen, auf dass ein jeder das eigene System SELBST führen und die Teile mit ihrer Person SELBST verbunden sein möge(n). Ausgegangen wird von einer natürlichen Vielfältigkeit der Persönlichkeit, von einer erlebbaren inneren Instanz, dem Menschen SELBST, und von den inneren Persönlichkeitsanteilen.
Es stellt sich jetzt die Frage: Wer oder was ist dieses SELBST? Und was genau sind die Persönlichkeitsanteile? Es ist schon spannend, darüber nachzusinnen, wer in uns als Therapeut*in die Therapie eigentlich durchführt – und mit wem in unseren Klient*innen wir denn da arbeiten? Und wie können wir das auseinanderhalten? Und wozu? Und auf welcher Zeitachse arbeiten wir eigentlich? Führen wir die Therapien in SELBST-Qualität oder in Persönlichkeitsanteilen mit therapeutischen Rollen durch, die aus der eigenen Biografie, der erlernten Psychotherapieschule, der Arztrolle und/oder in Resonanz oder Gegenübertragung auf die Anteile der Klient*innen stammen? Mit welchen Persönlichkeitsanteilen kommen die Klient*innen zu uns? Und mit welchen Therapeut*innen-Teilen reagieren wir auf sie? Wer in uns kann uns und ihnen helfen, sich SELBST aufzuspüren und die Persönlichkeitsanteile mit uns SELBST und ihnen SELBST in Kontakt zu bringen? Wie kann das geschehen? Und wie können wir gar eine Beziehung zwischen uns SELBST und unseren Teilen und dem Klienten-SELBST und seinen Persönlichkeitsanteilen ermöglichen?
Die SELBST-geführte Psychotherapie in der »Integrativen Systemischen Therapie mit der Inneren Familie, IIFS« basiert auf den Grundlagen humanistischer Psychotherapien, achtsamer Wahrnehmungsschulung, der integrativen Gestaltpsychotherapie, der Hakomi-Therapie und weiteren Körperpsychotherapien, der psychodynamisch imaginativen Traumatherapie von Luise Reddemann, der systemischen Therapie, der Bindungstheorie, neurophysiologischen Erkenntnissen und natürlich der IFS nach Richard Schwartz mit ihren entsprechenden Grundannahmen. Der SELBST-Begriff hat in diesem inneren System eine ganz spezielle Bedeutung, die wir Ihnen in der Einleitung kurz und in einzelnen Kapiteln gerne ausführlicher nahebringen möchten.
Zu dem inneren System gehören neben dem SELBST – dem Wesenskern eines Menschen – noch die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile (im Weiteren auch oft kurz als Teile bezeichnet). Das SELBST ist kein Teil. Die Formulierung »das Selbst eines Menschen« könnte zu dieser Annahme verleiten. Wenn möglich verwenden wir daher die Formulierung »ich SELBST«, der Mensch SELBST oder sprechen von SELBST-Qualitäten. SELBST und Teile sind körperlich und mental erlebbar. Der Körper reagiert als Erster auf Emotionen und Reize, noch bevor das Bewusstsein die Reaktion wahrnehmen kann. Wenn das körperliche Erleben mit dem Gefühlten kongruent ist, erfährt der Mensch Vertrauen in sich, eine Stabilisierung seiner selbst. Wenn solch ein mental und physisch ganzheitliches Erleben stattgefunden hat, beginnen sich neuronale Netzwerke umzustrukturieren. Die Geschichte eines Menschen ist in leiblichen Szenarien gespeichert und erfahrbar. Sie zeigt sich in seinem beseelten Körper mit all seinen Gefühlen, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Geschichte. Daher beziehen wir das körperliche Erleben in jeden Therapieprozess mit ein.
Aus dem achtsamen, körperlichen und mentalen Erleben der SELBST-Qualitäten, wie Wohlwollen, Mitgefühl, Zentriertheit, Nichtbewertung u.a.m., können die verschiedenen Persönlichkeitsanteile mit einem kleinen Abstand wahrgenommen werden. Indem die Geschichte ihrer Entstehungsgrundlagen angenommen und akzeptiert wird und die Teile in den ihnen aufgebürdeten Rollen mit den jeweiligen Auswirkungen im heutigen Leben erfahren werden, fühlen sich die Teile heute vom Klienten SELBST und von uns SELBST gesehen. Sie erleben Zugehörigkeit zu ihrer jeweiligen Person SELBST und doppelten Trost. Das hat eine tief verbindende, heilsame und nachhaltige Wirkung auf die Teile. Wir lernen so die eigene Geschichte, die unserer Klienten und diese ihre neu kennen, besser verstehen, und finden Möglichkeiten der Wertschätzung und Entlastung. Das beinhaltet die Chance einer Neuintegration der Persönlichkeitsanteile, die mit ihrem Menschen SELBST in warmherziger Verbindung stehen können. Der nicht mit seinen Teilen verwobene Mensch SELBST ist in der Lage, die eigenen Persönlichkeitsanteile zu erkennen, sie zu sehen, in Beziehung mit ihnen zu treten und sie zu führen. In dieser SELBST-geführten Beziehung können die Teile ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihrem Menschen SELBST entwickeln und kooperieren gerne mit ihm. Es entsteht intrapsychisch eine erlebbare SELBST-Du- und Du-SELBST-Beziehung. Dieses intrapsychische, gegenseitige sowie mental als auch physisch erlebbare in Beziehung-Treten von SELBST und Teilen prägt ein innovatives Moment. Unsere Persönlichkeitsanteile erfahren dann uns SELBST, fühlen sich gesehen und verbunden und agieren nicht mehr allein oder wie in einem alten Film. Eine echte Veränderung und eine Entlastung des Systems werden möglich. Wie eine Kollegin nach einem Kurs staunend sagte: »Jetzt habe ich mich seit 25 Jahren mit meinem Inneren Kind beschäftigt und heute hat es zum ersten Mal mich SELBST erlebt!« Vielleicht der Beginn einer wundervollen Freundschaft.
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