Im Kapitel acht werden spezifische multimodale Therapiekonzepte bei besonders häufig vorkommenden und wichtigen Schmerzerkrankungen beschrieben (
Kap. 8).
Das Kapitel neun beschäftigt sich mit unterschiedlichen ökonomischen Aspekten, die das medizinische Handeln maßgeblich beeinflussen (
Kap. 9).
In den Kapiteln zehn, elf und zwölf geht es um Dokumentation, Qualitätsmanagement und um das hochaktuelle Thema der Zusammenarbeit zwischen Leistungserbringern und dem MD (
Kap. 10, Kap. 11, Kap. 12).
Das Kapitel dreizehn greift aktuelle wichtige Herausforderungen, Perspektiven und Chancen auf: der neue ICD-11 und dessen mögliche Implikationen für die Schmerzmedizin, Möglichkeiten der transsektoralen Zusammenarbeit, Prävention und Nachsorge, ambulante multimodale Schmerztherapie, unterschiedliche Möglichkeiten der multimodalen Schmerztherapie in Rehabilitationseinrichtungen im Vergleich zu teil- und vollstationärer MMST und die Zusammenarbeit mit den Kostenträgern (
Kap. 13).
Wir danken an dieser Stelle allen Mitautoren für die gute Zusammenarbeit und ihre exzellenten Beiträge. Besonderen Dank möchten die Herausgeber an Herrn Dr. Reinhard Thoma richten, dessen Engagement in besonderem Maße dazu beigetragen hat, dass die multimodale Schmerztherapie als Komplexprozedur in den OPS-Katalog aufgenommen wurde. Ebenso danken wir Herrn Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede, der mit der Abbildung von chronischen Schmerzerkrankungen im ICD-11 nicht zuletzt einen Grundstein für die Umsetzung der multimodalen Schmerztherapie gelegt hat.
Ihnen wünschen wir viel Freude beim Lesen dieses Buches und freuen uns, wenn wir Sie bei Ihrer täglichen Arbeit mit Menschen, die an chronischen Schmerzen leiden, unterstützen und neue, hilfreiche Aspekte aufzeigen können.
Ihr Herausgeberteam, November 2021
1Zugunsten einer lesefreundlichen Darstellung wird in diesem Text bei personenbezogenen Bezeichnungen in der Regel die männliche Form verwendet. Diese schließt, wo nicht anders angegeben, alle Geschlechtsformen ein (weiblich, männlich, divers).
2 Historie, Entstehung und Stellenwert
Kristin Kieselbach und Paul Nilges
Schon in der griechischen Antike wurde ein Zusammenhang von Körper, Seele und dem Auftreten körperlicher Leiden auch ohne eine Ursache im Bereich der Organe vermutet. Schmerz wurde als Warnsignal verstanden, der aus einer falschen Zusammensetzung der Körpersäfte resultierte (Bozzaro 2016). Jedoch wurden sowohl in dieser Zeit als auch in den frühen antiken Hochkulturen Schmerzen auch als Ausdruck göttlichen Zorns verstanden. Das lateinische Wort »poena«, welches mit dem englischen »pain« verwandt ist, verdeutlicht dies, denn dieses wird mit der Bedeutung »Strafe« übersetzt. In unseren Breiten verfestigte sich diese Denkweise mit der Entwicklung der abendländischen Kultur: mit der Frage nach der Sinnhaftigkeit negativer Ereignisse, z. B. Schmerzen, wurde nun die Religion konfrontiert. Schmerzen und das Leiden an Schmerzen wurden somit als notwendige und gerechte Strafe oder Prüfung Gottes für die Vergehen der Menschen interpretiert. Diese über Jahrhunderte gültige Erklärung trägt heute nicht mehr. Vielmehr ist die moderne Medizin die Instanz geworden, an die sich der Mensch mit seinem Schmerz und dem Leiden am Schmerz wendet.
Das dualistische cartesianische Menschenbild prägt bis heute das biomedizinisch geprägte Schmerzverständnis
Auf dem Boden eines von Descartes geprägten dualistischen Menschenbildes, das den Körper und seinen Schmerz einerseits von der Seele und dem Leiden andererseits trennt, entwickelte sich ein noch bis in die heutige Zeit einwirkendes, stark biomedizinisch geprägtes Verständnis von Schmerzen und einer stark naturwissenschaftlich orientierten, möglichst gut objektivierbaren Schmerzmedizin (Bozzaro 2015). Die Tatsache, dass jeder Schmerz und jedes Leiden eine Person immer als Ganzes, als körperlich-psychische Einheit in ihrem sozialen und kulturellen Kontext betrifft, wurde erst Mitte des 20. Jahrhunderts wieder durch die Entwicklungen im Bereich der Psychiatrie und der medizinischen Anthropologie und über die weitergehenden Erkenntnisse zu psychischen Leiden zunehmend realisiert.
Die Entwicklung differenzierter Schmerzkonzepte und damit auch der multimodalen interdisziplinären Schmerztherapie wurde durch den 2. Weltkrieg entscheidend beeinflusst. Schmerzbehandlungseinrichtungen wurden in mehreren Ländern gegründet, u. a. in Australien, Kanada, Dänemark, Japan und den USA (Gerbershagen et al. 1975). Der spätere Gründer der Internationalen Schmerzgesellschaft IASP und Pionier im Bereich der multi-/interdisziplinären Schmerzbehandlung J. J. Bonica leitete als Anästhesist während dieser Zeit 1944 in Fort Lewis am Militärkrankenhaus in Washington die Anästhesieabteilung und den OP. Hier wurden Tausende von kriegsversehrten Soldaten, die häufig unter schweren Schmerzen litten, von ihm und zwei Pflegerinnen anästhesiologisch versorgt. Bonica wandte sich neben den regionalanästhesiologischen Verfahren immer mehr der Behandlung chronischer Schmerzerkrankungen zu. Ihm wurde klar, dass chronisch Schmerzkranke zu spät Zugang zu einer Therapie finden und die Therapiestrategien oft nicht suffizient waren. Er erkannte, dass es an individueller Kenntnis zur Schmerztherapie mangelte. Er sah aber auch, dass das Wissen eines einzelnen Arztes allein unzureichend für das Verständnis der Komplexität von Schmerzerkrankungen war. In seiner Publikation (Bonica 1990) zur Entwicklung und dem aktuellen Status von Schmerzprogrammen schreibt Bonica voller Überzeugung, dass »komplexe Schmerzprobleme durch ein multidisziplinäres/interdisziplinäres Team effektiver behandelt werden können, wobei jedes [Team]Mitglied sein/ihr eigenes Spezialwissen und die eigenen Fertigkeiten beiträgt, damit das gemeinsame Ziel, eine korrekten Diagnose zu stellen und [damit] die effektivste therapeutische Strategie zur entwickeln, erreicht wird« (Bonica 1990, S. 370; Übersetzung Kieselbach).
J.J. Bonica, späterer Gründer der IASP 2 und der ersten multidisziplinären Schmerzklinik
Nach dem Krieg setzte Bonica den Gedanken einer multidisziplinären Einrichtung um und versorgte für ein Jahrzehnt mit einem interdisziplinären Team Patienten, die an komplexen Schmerzerkrankungen litten. Zu diesem Zeitpunkt existierten neben zahlreichen sog. »Nerve Block Clinics« zwei weitere multidisziplinäre Einrichtung zur Schmerzdiagnostik und -therapie in den USA (Bonica 1990). Bonica begann das Prinzip der Multidisziplinarität in den USA und international wissenschaftlich und in Vorlesungen zu propagieren. Als neu berufener Direktor der Klinik für Anästhesiologie der Universität von Washington etablierte er 1960 eine multidisziplinäre Schmerzklinik (Benedetti and Chapman 2005, Gatchel et al. 2014). Er arbeitete dort u. a. mit dem Neurochirurgen und Anästhesisten J. D. Loeser und dem klinischen Psychologen W. E. Fordyce zusammen. Gemeinsam entwickelten sie die Vorstufen der heutigen »functional restoration« als erste evidenzbasierte Form eines interdisziplinären Vorgehens bei chronischen Rückenschmerzen (Gatchel et al. 2014, Meldrum 2003).
2.1 Von unimodal zu multimodal
Unimodale Behandlungsansätze stellen in den meisten Fällen die ersten Therapieansätze beim erstmaligen oder wiederholten Auftreten von Schmerzen dar. Ziel ist in dieser Phase die Diagnostik und Behandlung der bekannten oder vermuteten Schmerzursache. Dabei kommen Einzelverfahren, die oft auch bei der Behandlung von Akutschmerzen Anwendung finden, zum Tragen. Neben medikamentösen, interventionellen (z. B. Infiltrationen) und operativen Verfahren werden physio- und chirotherapeutische Ansätze und Akupunktur verwendet. Verschiedene Maßnahmen stehen meist singulär nebeneinander; ein aufeinander abgestimmtes Therapiekonzept existiert häufig nicht. In vielen Fällen kann diese Vorgehensweise ausreichend und zielführend in Hinblick auf eine Schmerzlinderung sein. Die Datenlage ist aber insbesondere zur Indikation für nicht-medikamentöse unimodale Verfahren unklar (z. B. Bundesärztekammer (BÄK) et al. 2017, Maissan et al. 2018). Auch bei anhaltenden Schmerzen, die nicht kausal therapierbar sind, werden regelmäßig über lange Zeiträume Einzelverfahren angewandt. Insbesondere im Falle von länger persistierenden Schmerzen mit Hinweisen auf eine beginnende oder bereits abgelaufene Chronifizierung sollte das therapeutische und auch das diagnostische Vorgehen diesbezüglich kritisch überprüft werden und nicht mehr allein unimodalen Kriterien unterliegen.
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