Brunhild Hofmann
Stark oder schwach?
Selbst-Muskeltests als Entscheidungshilfe in allen Lebenslagen
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Cover: Sabine Dunst/Guter Punkt, München
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Fotos: Christoph Rau
Lektorat: Birgit-Inga Weber
Gesamtherstellung: Karin Schnellbach
ISBN 978-3-86728-764-7
Inhalt
Vorwort
Tagebuch-Auszug
Der Selbst-Muskeltest
Vorgehen beim Selbst-Muskeltest
Elf Möglichkeiten, sich selbst zu testen
Der eigenen Wahrnehmung vertrauen – Neurologische Grundlagen
Stress auflösen – leichtgängig
Wie Stress unserer Entwicklung dient – wenn wir ihn bewältigen
Eine Empfehlung
»Ab dem Alter von 25 Jahren geht es bergab« – so hieß es, als ich vor Jahren Sport studierte. Natürlich war das vor allem auf die körperlichen Fähigkeiten bezogen, aber eine leise Furcht schlich sich ein, dass damit auch unsere geistigen Kapazitäten gemeint sein könnten.
Wie wundervoll sind die Forschungsergebnisse der letzten Jahre! Wissenschaftlich ist bestätigt, dass wir bis ins hohe Alter lernfähig sind. Studien bezeugen die enorme »Plastizität« – also »Formbarkeit« – unseres Gehirns.
Einige agile Menschen beginnen mit 90 Jahren, eine neue Sprache zu lernen, und haben Spaß daran. Selbst im hohen Alter kann man durch Training auch seine körperliche Leistungsfähigkeit verbessern.
Und es gibt Bereiche, die wir völlig neu für uns entdecken können, etwa die Entwicklung einer immer feineren Selbstwahrnehmung. Unser Gehirn enthält einen Bereich, durch den wir unseren Körper, z.B. unsere Organe, wahrnehmen können. Wie wir durch unsere fünf Sinne unsere äußere Umwelt aufnehmen, so können wir hier Zugang zu unserer inneren Welt erlangen. Körperreaktionen werden hier nicht nur wahrgenommen, sondern auch bewertet. Bewussten Zugang zu diesem Bereich zu erlangen ist eine lohnenswerte Aufgabe. Der Selbst-Muskeltest unterstützt uns dabei.
Möge dieses Buch unser Vertrauen stärken, dass wir in jedem Alter Neues dazulernen können.
29. Dezember 2011
Morgen fahren wir zum Skilaufen. Ich freue mich schon seit Wochen darauf. In den Alpen liegen mehr als zwei Meter Schnee, und herrliche Wintertage stehen uns bevor.
In der Pause zwischen Weihnachten und Neujahr schaffte ich es, einen Termin bei meiner Gynäkologin zu ergattern. Es ist eine Routine-Vorsorgeuntersuchung. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal bei ihr war.
Ich freue mich, meine Frauenärztin zu sehen. Sie hat mich sehr kompetent bei der Geburt meiner jüngsten Tochter begleitet. Vor der Schwangerschaft war ein Myom in meiner Gebärmutter diagnostiziert worden. Verschiedene Frauenärzte meinten, aufgrund seiner Lage würde ich nicht mehr schwanger werden; kein Ei könnte sich in meiner Gebärmutter einnisten. Daraufhin verhütete ich nicht mehr – und war ein halbes Jahr später schwanger! Welch ein Glück … Und das Myom spielte während der Schwangerschaft keine Rolle.
Sie beginnt mit dem Ultraschall. Das Myom in der Gebärmutter ist jetzt ganz klein. Plötzlich sagt sie: »Was ist denn das?«
Ich sehe einen schwarzen Fleck auf dem Bildschirm.
»Das ist mehr als eine Zyste!«
Ich nehme die Panik in ihrer Stimme wahr. Sie versucht, ruhig zu bleiben, aber ich spüre, wie sich ihre Aufregung auf mich überträgt. Sie misst den schwarzen Fleck aus: »Sieben mal acht Zentimeter.«
Ich frage: »Was bedeutet das?«
»Das kann ich nicht sagen. Sie müssen sofort ins Krankenhaus. Das Ding muss raus!«
Ich denke: »Jetzt ganz ruhig bleiben«, und sage: »Ich will morgen in den Skiurlaub fahren.«
Sie schaut mich an. »Das geht auf keinen Fall. Ich empfehle Ihnen, sich jetzt sofort beim Chefarzt der Frauenklinik einen Termin geben zu lassen.«
Ich sage erst mal gar nichts. Sie macht weitere Messungen. Dann hake ich nach: »Sie sind gerade sehr erschrocken, nicht wahr?«
Sie nickt.
»Was wird bei dieser Operation passieren und wie lange werde ich im Krankenhaus bleiben müssen?«
»Das weiß ich nicht, das kann erst der Chirurg während der Operation entscheiden. Kann sein, dass nur der Eierstock betroffen ist; kann sein, dass auch die Gebärmutter und die Lymphknoten entfernt werden müssen. Es darf auf jeden Fall keine Flüssigkeit in den Bauchraum gelangen! Von der Art der Operation hängt auch ab, wie lange Sie im Krankenhaus bleiben müssen.«
Ich lasse das erst mal wirken. Dann merke ich: Ich will jetzt alleine und unter diesem Druck nichts entscheiden. Und ich will in den Skiurlaub fahren. Ich traue mich zu fragen: »Meinen Sie wirklich, es ist absolut notwendig, dass ich morgen, am 30. Dezember, ins Krankenhaus gehe? Und dass dann etwas passieren wird?«
Sie ist still, dann antwortet sie: »Stimmt, der Chefarzt ist bis zum 3. Januar in Urlaub. Aber gehen Sie in sein Sekretariat und machen Sie sofort einen Termin für den Tag aus, an dem Sie wieder zurück sind.« Zögernd stimmt sie mir zu, dass der »Tumor« nicht in einer Woche gewachsen ist. Sie informiert mich auch darüber, dass »Tumor« nur »Geschwür« bedeutet und nicht unbedingt »bösartig« heißt.
Sie bietet mir an, sofort Blut abzunehmen, um die Tumormarker zu bestimmen. Ich könne dann in drei Tagen bei ihr anrufen.
Ich lehne das ab und merke, dass ich nur noch weg will. Ich bin völlig durcheinander. Mittlerweile kostet es mich Kraft, Haltung zu bewahren.
Ich steige auf mein Fahrrad und überquere die Straße. Ich schaue weder rechts noch links. Ein Auto hupt. Ich stehe vor einer Stoßstange und kann mich gerade noch halten. Ich denke: »Es kann noch schneller gehen …« Und: »Wie lange habe ich noch zu leben?«
Ich fahre an der Klinik vorbei und verabrede den Termin bei dem mir empfohlenen Chirurgen.
Zum Glück ist momentan niemand zu Hause. Ich muss mich sammeln und frage mich, wie ich den Rest des Tages bewältigen soll. In drei Stunden werde ich meinen Sohn verabschieden, der für fünf Monate nach Island geht. »Werde ich ihn noch einmal gesund sehen?«, denke ich. Dann treffe ich meinen 84-jährigen Vater. Ihn will ich auch nicht mit Ungewissheit und Angst belasten.
Also spiele ich an diesem Tag die unbeschwerte Frau in der Begegnung mit meinen Lieben. Es fällt mir schwer. Erst abends erzähle ich meinem Partner, was ich an diesem Tag erlebt habe. Ich fange an zu weinen.
Später ruft mich eine vertraute Freundin an. Sie ist der zweite Mensch, dem ich alles erzähle. Sie hört sich das Ganze ruhig an und sagt am Schluss: »Also weißt du, ich mache mir gar keine Sorgen um dich. Ich habe ein gutes Gefühl.«
Das stärkt mich. Ich kann schlafen.
30. Dezember 2011
Wir fahren früh los. Wie in Trance habe ich gestern die Koffer gepackt, das Essen eingekauft. Ich bin froh, endlich im Auto zu sitzen und nichts tun zu müssen. Alles strengt mich an. Meine Tochter und ihre Freundin plappern voller Vorfreude. Es fällt nicht auf, dass ich still bin.
Je weiter wir uns von zu Hause entfernen, desto ruhiger werde ich innerlich. Es ist richtig, dass ich heute in den Skiurlaub fahre. Bei der Abfahrt habe ich noch gedacht: »Oder soll ich jetzt doch lieber ins Krankenhaus?« Ich habe beschlossen, nur mit meinem Partner über die Diagnose »Eierstocktumor« zu reden und sie weder den Kindern noch den Freunden, mit denen wir uns die Hütte teilen, preiszugeben.
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