Anders Wirtschaften – Gespräche mit Leuten, die es versuchen
Heinzpeter Znoj (Hg.)
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Speicherung und Verbreitung in elektronischen Medien, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher und
schriftlicher Genehmigung des Verlags
2. Auflage © 2015 Conzett Verlag by Sunflower Foundation, Zürich
Cover: Claudia Neuenschwander werkk.ch
ISBN 978-3-03760-036-8
www.conzettverlag.ch
www.sunflower.ch
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
Inhalt
Einleitung
Heinzpeter Znoj
Das Problem mit dem Geld
Eske Bockelmann
TALENTE Vorarlberg
Heinzpeter Znoj und Gernot Jochum-Müller
Das Projekt
Das Gespräch
Eurogedeckte und zeitbasierte Währungen
Volkswirtschaftliche Ziele eurogedeckter Lokalwährungen
Motive für die Teilnahme
Talente/Zeittauschsysteme
Eigenproduktivität
Wer macht mit?
Liquidierende Transaktionen und systemische moralische Verpflichtung
Politik
Kommentar
Eva Lang
Die Zeitvorsorgen Obwalden und St. Gallen
Theo Wehner, Heinzpeter Znoj, Gernot Jochum-Müller und Heidi Lehner
Das Projekt
Das Gespräch
Zeitvorsorge in der Schweiz
Der Ursprung der Zeitvorsorge in Japan
Vom Zeittausch zur Zeitvorsorge
Zeitvorsorge und Unterstützung von älteren Menschen
Ein- und Ausschluss
Zeitvorsorge und Solidaritätsbeziehungen
Ist die Zeitvorsorge eine neoliberale Erfindung?
Zeitvorsorge als alternative oder komplementäre Ökonomie?
Kommentar
Ulrike Knobloch
Mobility – Vom Teilen zur Sharing Economy
Heinzpeter Znoj, Theo Wehner und Conrad Wagner
Das Projekt
Das Gespräch
Ein Mittagstisch
AutoTeilet
Mobility und die Entwicklung des Carsharing zum Business
Anders Wirtschaften mit Carsharing
Peer-to-peer und free-floating Carsharing
Ausblick
Kommentar
Theo Wehner
Die Kommune Niederkaufungen
Heinzpeter Znoj und Gottfried Schubert
Das Projekt
Das Gespräch
Umgang mit Geld
Vertrauen und Auseinandersetzungen
Gruppenidentität und Gruppengrenze
Eintritt und Austritt
Hierarchien und Konfliktlösung
Fortsetzung am nächsten Tag …
Kommentar
Aldo Haesler
Beitragen auf dem Pappelhof
Sigrun Preissing
Das Projekt
Das Gespräch
Was ist Bedürfnisorientiertes Produzieren?
Motivationen der Bewohnerinnen und Bewohner
Beteiligung aus dem Netzwerk der BOP
Finanzierung der Bedürfnisorientierten Produktion
Gemeinsame Alltagsökonomie der Bewohnerinnen und Bewohner
Wert und Wertschätzung
Vermögensökonomie
Mangel und Luxus
Zugehörigkeit
Ausschluss, Einschluss?
Persönliche Perspektive
Kommentar
Heinzpeter Znoj
Die Teilnehmenden am Projekt
Einleitung
Heinzpeter Znoj
Spätestens seit der grossen Finanzkrise hat die Skepsis gegenüber dem orthodoxen Kapitalismus zugenommen, auch ausserhalb der Kreise von Globalisierungskritikern und Ökologisch-Alternativen. Unsere Gesellschaft hat, wie Eske Bockelmann in seinem Beitrag zu diesem Band schreibt, zunehmend ein «Problem mit dem Geld», weil immer mehr Bereiche des individuellen und gesellschaftlichen Lebens, aber auch der Natur, einer rein marktwirtschaftlichen, auf Rendite ausgerichteten Logik unterworfen werden. Die negativen Folgen dieser neoliberalen Wirtschaftsordnung für die Verteilungsgerechtigkeit, den sozialen Zusammenhalt und die Natur sind unübersehbar geworden. In diesem Band stellen wir Projekte vor, die sich als praktische Lösungsvorschläge für unser «Problem mit dem Geld» verstehen. Sie versuchen, den Zwang des Kapitalismus, Rendite zu erzielen, zumindest lokal und in kleinem Kreis aufzuheben: Sie sozialisieren den wirtschaftlichen Austausch über zinslose Währungen, Zeitguthaben und das Teilen oder heben ihn innerhalb von Kommunen ganz auf.
Die in Gesprächen vorgestellten fünf Wirtschaftsformen grenzen sich mehr oder weniger stark von der herkömmlichen Geldwirtschaft ab. Die einen verstehen sich als komplementäre Institution zur bestehenden Wirtschaftsordnung, die allenfalls ihre Systemschwächen kompensiert. Andere verstehen sich als Alternative zum Kapitalismus.
Der Talente-Tauschkreis in Vorarlberg hat mehrere zinslose Lokalwährungen eingeführt, die besser als das herkömmliche Geld den lokalen Austausch und die soziale Integration fördern sollen.
Die Zeitgutschriften für Betreuungsarbeiten in Obwalden und St. Gallen sollen die gegenseitige Hilfe von Bürgerinnen und Bürgern stärken und den Gemeinden helfen, Betreuungsleistungen zu erbringen, die von den Gemeinden kaum mehr zu bezahlen sind.
Das Carsharing-Unternehmen Mobility ist aus einem konsumkritischen und ökologischen Freundeskreis entstanden. Bis heute hat es die Organisationsform einer nicht gewinnorientierten Genossenschaft beibehalten.
In der Kommune Niederkaufungen wird auf individuellen Geldbesitz verzichtet – die Einnahmen und Ausgaben werden innerhalb der Kommune sozialisiert.
Auf dem Pappelhof wird auch in den Beziehungen nach aussen teilweise auf den äquivalenten Tausch verzichtet: Die produzierten Kartoffeln werden verschenkt.
Durch wirtschaftlichen Austausch Gemeinschaft stiften
So unterschiedlich weit die fünf Beispiele auch von der konventionellen Wirtschaft entfernt sind, teilen sie doch zwei Charakteristika. Zum einen sind die Projekte wie erwähnt nicht gewinnorientiert und zum anderen konstituieren sie Gemeinschaften, die von der Zweck- bis zur Lebensgemeinschaft reichen.
Beinahe klösterlich in ihrer Konzentration auf das Gemeinschaftsleben und in ihrer Abgrenzung gegen aussen stellt die Kommune Niederkaufungen hier den einen Pol dar. Den anderen Pol bildet Mobility, eine Firma mit starker Markenidentität, die sich von einer konventionellen Autovermietung aber darin unterscheidet, dass ihre Nutzer auch ihre Eigentümer sind. Auf dem Pappelhof wird Gemeinschaft in unterschiedlicher Abstufung und zeitlich limitiert gelebt, je nachdem, wie stark die Mitglieder zum Experiment beitragen und wie sehr sie Gesinnung und Habitus der «Beitragsökonomie» teilen. Die Zeitvorsorgen St. Gallens und Obwaldens beziehen sich unterschiedlich stark auf bereits bestehendes Gemeinschaftsengagement und fördern die Solidarität unter den Beteiligten. Und schliesslich konstituieren die Talente-Alternativwährungen «Zahlungsgemeinschaften» im Sinne der chartalistischen Schule 1: Sie inszenieren den wirtschaftlichen Austausch als gemeinschaftsstiftendes Ritual.
Dass man die Gemeinschaftsbildung überhaupt als gemeinsames Element alternativer Wirtschaftsformen bestimmen kann, liegt daran, dass die Geldwirtschaft genau dies nicht leistet. In der Geldwirtschaft treten die wirtschaftlichen Akteure miteinander auf vertragliche Art in Austausch, was keinerlei soziale Beziehung voraussetzt oder zur Folge hat: Der marktwirtschaftliche, geldvermittelte Austausch ist liquidierend, d.h. die Tauschpartner sind nach dem vollständigen Vollzug der Transaktion quitt. 2Unsere Gesellschaft hat es mit der Einrichtung eines Marktes der liquidierenden Transaktionen geschafft, den wirtschaftlichen Austausch von allen sozialen Verpflichtungen zu entlasten. In den Worten Polanyis wurde er dabei von einem in die Gesellschaft eingebetteten Zustand in einen uneingebetteten übertragen. 3Das hat einerseits zu einer starken wirtschaftlichen Eigendynamik und andererseits zu Individualismus und zur Unterordnung der Gesellschaft unter den Markt geführt – wie Polanyi in seinem Werk «The Great Transformation» festgestellt und beklagt hat. Die marktwirtschaftliche Praxis hat somit den materiellen Austausch seiner ursprünglichen – und bei uns noch in Familien und unter Freunden fortlebenden – geselligen und gemeinschaftsstiftenden Funktion beraubt 4und setzt an die Stelle von sozialem Sinn den Geschäftssinn. Der Zweck des anonymen, geldvermittelten Austausches erfüllt sich in individuellem Konsum oder Gewinn.
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