„Sag mal, Issi“, mischte sich jetzt Würstchen Jandras ein, und Orsen war kurz versucht, sich umzudrehen. Das allerdings wäre sein Todesurteil gewesen. Wie zur Bestätigung ließ Jandras sein Handgelenk los, und einen Lidschlag später spürte er, wie sich von vorne die Spitze eines Dolchs in seine Achselhöhle bohrte.
„Oh nein, süßer Orsen. Schön stillgestanden jetzt. Und du, Jandras, nennst mich gefälligst nicht Issi! Hast du vergessen, was der Name bei mir auslöst?“
Orsen konnte es nicht sehen, aber er verwettete seine Rüstung darauf, dass sich Jandras gerade die Kauleiste rieb.
Jetzt trat Istar so nahe an ihn heran, dass Orsen seinen schnapsschweren Atem riechen konnte. „Weißt du eigentlich, dass deine geliebte Elfenkommandantin demnächst ziemlich den Arsch offen haben wird?“
Orsen zog das Gesicht zurück – gerade soweit, dass Istar sich nicht provoziert fühlte. „Nein. Und ich kann mir auch keinen Grund dafür vorstellen. Aber ich bin sicher, du wirst mir die Sachlage gleich erörtern.“
„Hast recht. Ich will unserem Musterknaben doch keine relevanten Informationen vorenthalten. Wo er doch so scharf darauf ist, alles, was er weiß, brühwarm unserem Brigadier zu verklickern. Zum Beispiel, dass die Jungs und ich gelegentlich gerne ein bisschen dem Glücksspiel frönen. Das hast du nicht für dich behalten können, was, Orsen?“ Er nickte Jandras zu, der umgehend seinen Hintern in Bewegung setzte. „Und als Strafe hab ich diesen bescheuerten Wachdienst ausgefasst, obwohl ich so viel Besseres zu tun gehabt hätte.“ Jetzt packten ihn beide an den Schultern, und er wurde zwischen zwei Zelte gezerrt. Kein gutes Zeichen. Sollten sie vorhaben, ihm eine Lektion zu erteilen, würde es wahrscheinlich niemand mitbekommen. In diesem Teil des Lagers war gerade nicht viel los. Um Hilfe zu schreien, war unter den Soldaten wiederum verpönt. Und Orsen dachte nicht daran, als feige Memme dazustehen.
„Also … ich musste Brigadier Ragna MacGythrun kürzlich zu einer Besprechung mit dem Brigadiersanwärter begleiten“, begann Istar leise. „Und weißt du, worüber die beiden geplaudert haben?“
„Ich nehme an, über die Kommandantin der Landstreitkräfte.“
„Volltreffer. Einen Handschlag für deine unsagbare Gerissenheit, Orsilein.“
Jandras stieß ein bescheuertes Lachen aus, und Istars Grinsen weitete sich. „Sie haben also über das Spitzohr geredet, auf das du so abfährst. Sie haben sich darüber unterhalten, dass das Elfenweib keine Kampfmoral hätte, dass sie lieber redet als kämpft und dass sie, wenn sie endlich doch zur Waffe greift, lieber erst dann zuschlägt, wenn der Feind keine Gefahr mehr darstellt. Hast du von dem Kampf auf der Blaurochen gehört, Orsen? Wahrscheinlich nicht. Ich will dir mal auf die Sprünge helfen. Dort haben die Expeditionskommandanten die Verräterin Lucretia L’Incarto gestellt und besiegt. Es heißt, dass die Flok den Löwenanteil im Kampf gegen die Magierin geleistet hat. Erst, als die Verräterin kurz davor war, in ihrem eigenen Blut zu ertrinken, kam dein Elfenschätzchen und hat ihr den Rest gegeben. Danach wollte sie sich als eine große Lebensretterin rühmen lassen. Hat aber nicht funktioniert, weil der Kapitän des Drachenboots, mit dem die Kommandanten zur Blaurochen gesegelt sind, geredet hat.“
„Das ist doch nur Gequatsche“, presste Orsen hervor. „Keiner weiß, was auf der Blaurochen wirklich passiert ist.“
„Der Brigadier behauptet, es war nicht das einzige Mal, dass die Elfenkommandantin während eines Kampfs im Abseits stand. Kurz, sie hat keinen Mumm.“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gesagt hat. Unser Brigadier ist kein Elfenhasser wie du und deine Kumpel.“
„Und wenn schon, er kann einen guten von einem schlechten Kommandanten unterscheiden. Und eins ist so offensichtlich wie die Macht Arinnas: Elfen sind Weicheier, die ein menschlicher Soldat, der halbwegs bei Verstand ist, niemals als Anführer respektieren wird.“ Istar schob seinen Mund ganz nahe an Orsens Ohr. „Dein Elfenherzchen ist ihren Posten als Kommandantin der Landstreitkräfte praktisch schon los, Orsilein. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass einer von den Spitzohren übernehmen wird. Auch wenn dir das wahrscheinlich gefallen würde, zumal du wahrscheinlich eine ungefähre Vorstellung davon hast, was einem Elfenanbeter wie dir blühen kann, wenn der richtige Albi das Kommando übernimmt.“
Orsen stieß den Atem aus. Und plötzlich hatte er vergessen, dass die Situation, in der er sich gerade befand, lebensbedrohlich war.
„Ja, meinst du, Issi? Da fällt mir ein, dass ich mich im Kindesalter sehr für ausländische Namen interessiert habe. Und stell dir vor, die urrutische Namensgebung hat mich besonders fasziniert, zumal eure Eltern dazu neigen, die Kinder nach ihren so verehrten Göttern zu benennen, was an und für sich schon peinlich ist. Aber, was erzähle ich dir? Du weißt es bestimmt besser. Immerhin haben deine Eltern nicht nur einen göttlichen Namen für dich ausgesucht, stimmt’s? Erzähl doch mal, Issi – haben sich deine Eltern etwa ein kleines Mädchen gewünscht? Und waren sie, als sie bei der Geburt deine hässliche Visage zu Gesicht bekamen, hernach so enttäuscht, dass sie dich ihre Enttäuschung tagaus tagein haben spüren lassen? Bist du deshalb ein so betont hartes Arschloch geworden? Damit keiner auf die Idee kommt, dass du aufgezogen worden bist wie eine kleine, schwarzgelockte Göttin?“
Zu Orsens unendlichem Glück hatte sich Istar noch so weit im Griff, dass er nicht mit dem Dolch zustieß. Stattdessen krachte eine Faust hart wie ein Felsbrocken in sein Gesicht, und Orsen taumelte nach hinten. Einen Fußtritt später änderte sich die Richtung, und er nahm den Weg nach vorne in Angriff, wo ihn ein erneuter Fausthieb in Empfang nahm und zu Boden schmetterte. Lichter explodierten in seinem Kopf, und eine Weile sah er gar nichts. Er spürte nur, dass ihn zwei paar Hände packten und irgendwohin schleiften.
„…hätte … eine Lektion … dieser Arschkriecher“, brachen die Worte wie weitere Fausthiebe in sein betäubtes Gehirn ein und hallten schmerzhaft hinter seinen Augen wider. Als die Bilder des abendlichen Lagers endlich wieder scharf und das Gerede vollständig wurden, hielt Orsen den Atem an. Nicht etwa, weil er gespannt war, was sie nun mit ihm vorhatten, sondern weil das Erste, das er sichtete … und roch … die örtliche Latrine war. Nicht schwer zu erraten, was als Nächstes kam.
„Bitte nicht“, schnappte Orsen, wobei sein Kiefer auffällig knirschte. Wahrscheinlich war er gebrochen.
„Du steckst doch gerne bis über beide Ohren in der Scheiße, oder nicht?“, kläffte Istar und drehte ihm erneut den Arm auf den Rücken. Sofort nahm sich Jandras den anderen Arm vor. Orsen saß in der Klemme. Er konnte sich weder vor, noch zurückbewegen. Und irgendwie glaubte er nicht so recht daran, dass die beiden Gnade walten ließen, wenn er sie nur höflich darum bat.
„Ich wette, als du gerade im Delirium warst, hast du darüber nachgedacht, ob einer deiner Baumficker-Freunde nicht ein schönes Gespann mit dir abgeben würde …“
Seine Arme wurden schmerzhaft Richtung Nacken gebogen, und er hatte keine Wahl, als sich vorne über zu beugen. Dann drückte eine kräftige Hand seinen Kopf nach unten und kurz darauf wurde ihm erneut schwarz vor Augen. Als er wieder auftauchte, rang er verzweifelt nach Atem. Der Gestank, der ihm in die Nase stieß, ließ ihn augenblicklich würgen. Ganz zu schweigen von dem Geschmack des Zeugs, das ihm in den Mund gekommen war. Orsen spuckte und hustete. Tränen schossen ihm aus den Augenwinkeln und in seinem Magen rumorte es wie in einem überkochenden Kessel.
„Ich schätze, dann hast du sicher auch nichts dagegen, wenn es dir einer von uns beiden ordentlich besorgt, was, Süßer?“, vollendete Istar seine diffamierende Rede.
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