Chara schaffte es, noch im Fallen ihre Zweililie vom Boden hochzureißen. Sie zog die Waffe durch und zerschnitt dem Feind die Nieren. Dunkeloranges Blut spritzte über sie hinweg, und wieder vernahm Irwin das Knurren, das von starken Schmerzen kündete.
Als Chara auf ihren Knien landete, zerfetzte ihr die Zange des Schwarzen den Brustpanzer und schnitt sich durch ihren Oberkörper. Wieder spritzte Blut. Diesmal das der Flok. Chara sank in sich zusammen und fiel zur Seite. Benommen beobachtete Irwin, wie Siralen den Schwarzen angriff und mitsamt der Bestie zu Boden ging. Er verfolgte, wie die mächtigen Zangen des Scorpios nach der Elfe schnappten. Danach regte sich keiner der beiden mehr. Siralens Schwert lag reglos im Sand – die Klinge orange und glänzend wie die Morgensonne.
Irwin schluckte und spürte, wie ihm kalter Schweiß auf die Oberlippe trat. Das konnte doch nicht Charas Ernst sein. War das etwa alles? War das der legendäre Einsatz des Sandkorns? Wie sollte er dazu eine Ode an die Helden der Allianz dichten? Da ging sich bestenfalls ein kleiner Lobgesang für die Tapferkeit aus. Den Göttern sei Dank konnte man immer auf den Mut ausweichen, wenn die Leistung nicht stimmte. Die Flok hatte kein zwanzigstel Glas durchgehalten. Ganz zu schweigen von den meisten Soldaten, die abnippelten wie die Kinder in den Armenvierteln von Anbar. Ein bisschen mehr hätte man sich schon erwarten können, wenigstens vom Kommando. Siralen, Versprechen des Blitzes? Gefallen. Darcean Zweiauge? Gefallen. Lindawen, wie auch immer? Gefallen. Kerrim, Meisterassassine … der kämpfte doch tatsächlich noch. Aber wie lange?
Irwin ließ ab von den grausamen Bildern auf dem Felsplateau und verkroch sich in seinem Versteck. Wie sollte er sein Bardenleben retten, hier, an diesem schrecklichen Ort, wo die Kraftverhältnisse so dermaßen aus den Fugen geraten waren? Nervös kaute er an seinen Nägeln und betete um ein Wunder. Wenn das so weiterging, würde es bald niemanden mehr zwischen ihm und diesem abartigen Feind geben. Die Scorpios würden über ihn herfallen und ihm mit ihren Riesenzangen alle Glieder ausreißen.
„Wieso?“, wimmerte er und rollte sich zusammen wie ein Embryo. Wieso hatte Chara versagt? Er hatte so sehr auf das Sandkorn gezählt.
Ein Lärm brach los, der Charas sterbendem Körper ein letztes Zucken abrang. Zuerst wusste sie nicht, was sie da hörte. Dann drang immer deutlicher eine Melodie in ihren Geist. Es war ein raukehliger Gesang.
Mühsam öffnete Chara ihre Augen. Kriegsbeile, schwere Kriegshämmer, Morgensterne, Leder, Ketten und blaue, rote, schwarze Haarkämme tauchten in ihr Blickfeld – wilde Kriegsbemalungen in derben Gesichtern. Hatten sie sich bisher auch im Hintergrund gehalten, jetzt zogen sie geschlossen in den Kampf. Die KEZS – Jagan Kermes verrückte Zwergentruppe.
Die Krieger prallten wie Geröll auf die Formation der Scorpios und schlugen tatsächlich Löcher in ihre gepanzerte Mitte. Furchtlos stürzten sich Kermes Elite-Zwergensöldner in die Schlacht gegen die mehr als zehn Mal so großen Gegner. Chara hätte sie angefeuert, hätte sie noch einen Hauch von Kraft in ihrem sterbenden Leib gehabt. So dachte sie nur, dass jede Art ihren Reiz hatte und jeder Krieger seine Waffe.
„Wir sind die, die durch’s Feuer gehen …“♫, sangen die KEZS. Und genau das taten sie. Einer nach dem anderen gab den Löffel ab, doch sie schienen daran eine fast schon ekstatische Freude zu haben, und jeder einzelne von ihnen riss eine schmerzende Wunde in den Leib der feindlichen Streitmacht. Kermes Elite-Zwergensöldner machten ihrem Namen alle Ehre. Und doch, auch sie würden am Ende fallen.
Chara schloss die Augen. Erneut zog ein heftiger Schwindel auf und wirbelte sie in eine tiefe Dunkelheit.
Als Chara erneut zu sich kam, hielt sie Lindawens Hand. Sie drehte den Kopf zur Seite und sah, dass der Lichtjäger neben ihr lag. Er hatte die Augen geschlossen. Das Blut, das seine Kleidung nass an seiner Haut kleben ließ, konnte von ihm sein, von ihr, von denen, die, von seinem Schwert durchstoßen, an seinem Körper hinabgeglitten waren. Er atmete schwach. Vielleicht atmete er auch gar nicht mehr …
Keiner von ihnen war den Scorpios gewachsen. Nicht die Soldaten, nicht die KEZS, nicht Lindawen oder Kerrim oder sie oder Siralen. Auch nicht die Dad Siki Na.
Zwei der Dad Siki Na waren an ihrem eigenen Blut erstickt. Chara hatte gesehen, wie sie mit zerrissenen Körpern zu Boden gingen. Ein paar Schritte weiter erkannte sie die schwarzen Umrisse ihres Bruders. Kerrim stand noch immer und kämpfte. Doch auch er würde am Ende tot sein. Und auch ihm hätte sie noch das Eine oder Andere zu sagen gehabt.
Die einzigen, die den Scorpios das Wasser reichen konnten, waren die Schwarzen Assassinen. Die beiden fremdartigen Wesen, schwarzhäutig und gelbäugig die einen, animalisch und gewaltig die anderen, bekämpften einander, als wären sie ebenbürtige Gegner, annähernd. Es war ein eindrucksvolles Schauspiel. Wären die Scorpios nicht dermaßen in der Überzahl, wäre der Kampf wahrscheinlich ausgeglichen gewesen, vielleicht sogar ein Sieg für Al’Jebals Spezialwaffe.
Irgendetwas an den beiden ungleichen Kämpfern … Chara kniff die Augen zusammen. Mit einem schmerzvollen Stöhnen richtete sie sich auf. Da war etwas Seltsames, in den Reaktionen der Schwarzen Assassinen. Jedes Mal, wenn sich einer der Scorpios auf sie zubewegte, zuckten sie zusammen. Befremdlich irgendwie, als wären diese Wesen ihnen bekannt. Außerdem hatte sie noch nie gesehen, dass ein Schwarzer Hatschmaschin Angst vor irgendetwas hätte. Es musste sich um eine Art Reflex handeln, eine instinktive Witterung von Gefahr. Dann war nichts mehr von dieser Urangst zu sehen gewesen. Danach hatten sich die beiden außergewöhnlichen Kämpfer ineinander verbissen, als wären sie einander vertraute Feinde.
Chara ließ sich zurück auf den harten Boden sinken. Sie war ausgeblutet. Wie ein lebloses Stück Fleisch lag sie an Lindawens Seite und hielt seine blutverkrustete Hand. Der Morgen ging in den Vormittag über. Das Sonnenlicht wurde allmählich gleißend hell und knallte heiß auf ihren zerschundenen Körper hinab. Chara hatte das Gefühl, bei lebendigem Leib zu verfaulen.
Vor ihren Augen überrannten die Scorpios Stück für Stück das etwa siebenhundert Mann starke zweite Bataillon. Ihre Zahl war schier endlos. Als Chara ihren Blick über das Felsplateau und den Wüstenkessel wandern ließ, hatte sie das Gefühl, kein Krieger des Wüstenvolks war gefallen. Doch da waren ihre Kadaver, nur eben bei weitem nicht so viele wie die der Allianzkrieger.
Das Klirren der Waffen wurde seltener. Das zweite Bataillon war geschlagen.
Charas Kopf rollte zur Seite. Ihr Blick blieb an Lindawens geschlossenen Augen haften. Es war ihre letzte Gelegenheit, dem Lichtjäger zu sagen, was sie für ihn fühlte. Wenn er sie denn überhaupt noch hören konnte. Andererseits, einem Toten öffnete man sein Herz leichter.
Sie machte den Mund auf. Doch der langgezogene Klang eines Horns veranlasste sie dazu, ihn wieder zu schließen … Das Signal war ihr bekannt.
Irgendetwas in Charas Kopf legte sich um. Irgendetwas warnte sie, wie zuvor die Schwarzen Assassinen vor den Scorpios. Nur war es keine Warnung vor dem Gegner. Es war eine Warnung vor denen, die mit ihr kämpften.
Es war kein Horn, es war eine Muschel. Der weiche Klang, der wie ein melodisches Schlachthorn von den Felswänden zurückgeworfen wurde, war von den Dad Siki Na. Chara hatte ihn in Cunair Tarr gehört. Dreimal kurz, einmal lang …
Tis la Siki …
Ein weiteres Mal schaffte sie es, sich hochzustemmen. Sie suchte und fand den Dad Siki Na, der die Muschel in der Hand hielt, und der sie nun fallen ließ. Wenn sie sich nicht täuschte, war es Og. Und er hatte sich selbst gerade den Todesstoß versetzt.
Die Hand, die gerade noch die Muschel gehalten hatte, verkrampfte sich, fing haltlos zu zittern an. Ogs ganzer Körper wand sich mit einem Mal unter heftigen Krämpfen. Es war ein kurzer, offensichtlich qualvoller Schmerz, und er zwang den Dad Siki Na auf die Knie. Seine sonnengebräunte Haut splitterte wie Glas, platzte auf wie die Haut eines Reptils. Der Körper des Goygoa wuchs. Hände wurden zu Pranken, Menschenhaut zu Schuppen unter schütterem Haar; ein Schwanz, der in einen dornenbewährten Knoten überging, ein Maul ähnlich dem einer Echse, rasiermesserscharfe Zähne, raubkatzenhafter Leib …
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