Über dieses Buch
Frisch und frech erzählt Paula Charles ihr turbulentes Leben, das für viele schwarze Frauen in der Fremde gezwungenermaßen typisch ist.
Paula – das ist zunächst ein schwarzes, schüchternes Mädchen, das zur Großmutter auf die Karibikinsel St. Lucia zurückgebracht wird; zu ungewiß ist für die Mutter das Leben in London. Fünfzehn Jahre später steht Paula vor der gleichen Situation. Nachdem sie ihre Tochter einer fremden Obhut im fernen Afrika anvertraut hat, entschließt sie sich, in Deutschland einen Neuanfang zu wagen – und landet als Gogogirl namens Josephine in der Schweiz.
Mit unbestechlichem Blick, manchmal wütend und verletzt, manchmal ironisch und mit Witz, beschreibt sie ihre zermürbenden Tingeltouren durch die allgegenwärtige männliche Vergnügungswelt, die Zürcher Bars und die Lokale auf dem Land, die Launen der Bosse und Kunden, die Konkurrenzkämpfe unter den »Mädchen«. Sie weiß, daß ihr Körper ihr einziges Kapital ist, und begehrt dagegen auf, kämpft um Anerkennung und Liebe, um Respekt für ihre Persönlichkeit. Doch im Gogobusiness ist das ebenso illusorisch wie die Hoffung auf Karriere; der Ausstieg wird zum Neubeginn.
«Wer von ihr handfeste Erotik erwartet, wird allerdings ebenso enttäuscht wie Leser, welche die Autorin auf Grund von Hautfarbe, Geschlecht und Tätigkeit als ein von vornherein verdammtes Opfer der Gesellschaft beklagen möchten. Charles' Ton ist trocken und sachlich, selbstsicher, gelegentlich kalt: die gerade in ihren Härten glaubwürdige Verteidigung einer nie (an)erkannten Integrität.-» Neue Zürcher Zeitung Neue Zürcher Zeitung
«Von einer wütenden schwarzen Frau, die als Gogo-Girl zum Abschaum der Menschheit gezählt wurde, die sich nun schreibenderweise von den tausendfach erlebten Demütigungen zu lösen vermochte.» Tele
Foto Gertrud Vogler
Paula Charles, 1956 geboren in London, aufgewachsen in der Karibik auf der Insel St. Lucia und in London, Sängerin in einer Soulband, arbeitete als Gogo-Girl in der Schweiz und setzt sich für die Sache der Schwarzen in Zürich ein.
Paula Charles
Go, Josephine, go
Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Chudi Bürgi
Limmat Verlag
Zürich
Dieses Buch ist Michelle gewidmet
Ich danke meiner Schwester Diana, meiner Grossmutter,Alex und meinem verstorbenen Vater
Wer bin ich? In meinem Leben gab es viele Momente, in denen ich ein Buch schreiben wollte über diese Frage. Nur wusste ich in diesen Momenten gar nichts, ich wusste nur, es gab mich.
Aber etwas in mir war falsch, sehr falsch, ich verstand es nicht, konnte es nicht verstehen. Ich wollte an mein Innerstes, mein Eigentliches herankommen, aber ich konnte mir nicht helfen.
Ich vermute, ich wartete auf jemanden, der die Verantwortung übernehmen würde. Aber meine Freunde, meine Familie kannten mich nicht, für sie war ich mysteriös, verrückt, verwirrt, bescheuert, anmassend oder gar dramatisch; ich war entweder gut oder schlecht, aber nicht wirklich ich. Ich selbst hielt mich für die dümmste, beschissenste, untalentierteste Person, die je ihren Fuss auf die Erde gesetzt hatte. Ich wollte, dass alle mich liebten, deshalb spielte ich die Rollen, die von mir erwartet wurden; es war einfach zu Beginn, aber es wurde ernst, sehr ernst. Diese schüchterne, unsichere Person, die nie an sich glaubte, wurde eine Sängerin und eine Gogotänzerin und lebte ein Leben voller Zerstörung.
Ich beschloss, dieses Buch zu schreiben und mich dabei nackt auszuziehen. Das war hart. Ich fürchtete mich vor der Begegnung mit diesem andern Teil von mir. Beim Schreiben aber wurden Josephine und Paula eins.
St. Lucia
Anfang in London
Ich, Paula Annette Charles, wurde 1956 in einer warmen Julinacht im Park Royal Hospital in Paddington, London, geboren.
Meine Eltern waren ein halbes Jahr zuvor von der kleinen sonnigen Karibikinsel St. Lucia nach London gekommen. Auf der Überfahrt hatte mein Vater zu seiner Überraschung erfahren, dass Mutter mit mir schwanger war. Diesmal sollte er also nicht so leicht davonkommen. Ich habe Glück gehabt.
Vater war immer ein Frauenheld gewesen, überall im Dorf hatte er Kinder, was für viele schwarze Männer so normal ist wie Teetrinken. Natürlich waren Mutter und er auch nicht verheiratet, und er war zwanzig Jahre älter.
Sie stammte aus einer recht wohlhabenden Familie mit zehn Kindern, die Land und einen Rum-Shop besass. Sie habe zu Hause immer die schwersten Arbeiten machen müssen, sagte sie mir später einmal: den Hof wischen, Holz sammeln, auf die Kokospalmen klettern, ja sogar die Schweine füttern, was eigentlich die Arbeit der Jungs war, und sie habe nur abgetragene Kleider besessen. «Ich hasste meine Mutter. Sie war grausam zu mir.» Sie weinte, als sie das erzählte. Sie schien nicht zu bemerken, dass sie sich mir gegenüber nicht anders verhielt.
Mein Vater hatte eine gute Stellung gehabt. Er war im Staatsdienst gewesen, war «Aufseher», wie man das in St. Lucia nennt, das heisst, er war Vorsteher auf der Bananenplantage. Er wurde rausgeschmissen, Neid und Intrigen waren dabei im Spiel. Danach war er zu stolz, um noch länger im Land zu bleiben. Zusammen mit meiner Mutter und wenigen Habseligkeiten verliess er so schnell wie möglich St. Lucia. Ihr bezahlte die Familie einen Teil der Reisekosten; die Mutter war sichtlich froh, ihre ungeliebte Tochter loszuwerden – «sie wusch ihre Hände», wie man in St. Lucia sagt.
Ich weiss nicht viel darüber, wie meine Eltern ihre erste Zeit in London erlebt haben. Mum sprach nicht gerne davon, es war wohl zu schmerzhaft und zu beschämend. Jedenfalls, es war Winter und sehr kalt. Davon hatten sie in St. Lucia schon viel gehört – dass man zwei Mäntel übereinander tragen müsse und dass die Hände fast erfroren und die Strassen voll Schnee seien und der Atem vor Kälte dampfe. Doch dies beunruhigte sie nicht wirklich; was ihnen Sorgen machte, war, dass sie niemanden kannten und nicht wussten wohin.
Ich stelle mir vor, dass sie die erste Nacht in London auf einer Bank sitzend geschlafen haben. Aber ich werde nie wissen, wie sie sich durchgeschlagen haben in diesen Tagen und Nächten, und ob ihnen jemand weitergeholfen hat.
Sie hatten nicht mehr viel Geld, aber schliesslich fanden sie ein Zimmer, ziemlich schäbig, aber besser jedenfalls, als in Sommerkleidern im Schnee herumzulaufen. Mutter hat später mal erzählt, dass sie ihren Schlafrock als Mantel getragen habe, weil sie nichts anderes besass. Während Vater Arbeit suchte, blieb sie im Zimmer. Alleine auf die Strasse zu gehen, getraute sie sich nicht. Alles um sie herum machte Angst. Ich bin ziemlich sicher, wenn sie gewusst hätten, auf wieviel Hass und Schikanen sie stossen würden, wären sie sofort umgekehrt – falls sie noch Geld für die Rückreise gehabt hätten.
Es war damals schlimmer als heute: Für die Briten war es neu, dass die Schwarzen aus den Kolonien plötzlich Anspruch auf ihr Mutterland erhoben und dort leben und arbeiten wollten, wo scheint's die Strassen mit Gold gepflastert waren. Die Schwarzen wurden in England nicht willkommen geheissen, sie fanden keine Wohnung, wurden in Restaurants nicht bedient, und auf der Strasse mussten sie damit rechnen, angepöbelt, ja geschlagen oder gar getötet zu werden. Sie bekamen in den Spitälern und bei den Londoner Verkehrsbetrieben nur die übelsten Jobs. Diesen Rassismus hatten meine Eltern nicht erwartet, sowas kannte man auf St. Lucia nicht. Für jemanden, der das nicht kennt, ist es sehr beleidigend, als «Nigger», «Blackie» oder «Monkey» bezeichnet zu werden. Sie verstanden nicht, warum die Briten sie so sehr hassten; diese gebildeten Leute, die sich «zivilisiert» nannten, benahmen sich wie im Busch.
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