Dann ab in die Kathedrale Saint Nicolas zur Begrüssung des Domkapitels (08.00) und schon um 8.30 hinübergesaust in die benachbarte Kirche der Cordeliers, wo ein Kastratenchor den Papst begrüsst. Kastraten sind eine alte römisch-päpstliche Spezialität. Die Päpste hatten jahrhundertelang etliche von den sangeswilligen, singbegabten Untertanen noch vor dem Stimmbruch kastrieren lassen, damit sie ihre schönen Sopranstimmen das ganze Leben lang behalten konnten; und in Fribourg, dem päpstlich gesinnten, hat sich dieser Brauch insofern erhalten, als jedes Jahr, seit dem Attentat auf den Papst, eine Anzahl von besonders idealistisch gesinnten Vätern ihre Söhne verschneiden lassen, um dem Papst ihre spezielle Wertschätzung auszudrücken. Diese ödipal konstellierte Opfergabe, welche in ihrer gemilderten Form auch als Zölibat, d.h. freiwillige Ehelosigkeit bei weiterbestehender Zeugungsfähigkeit, auftritt, soll dem Vernehmen nach von Johannes Paul II. besonders geschätzt werden.
09.30 sodann Fahrt im Papamobil zur Universität. Das Papamobil ist ein umgebauter Range Rover, den hintern Teil bildet so etwas wie ein senkrecht stehender, gläserner Sarg oder Reliquienschrein, wohinein der Papst sich nun begibt, damit er, als eine Statue, dem Volk vorgeführt werden kann, hinter schusssicherem Glas. Zwei Seitenfenster stehen offen, damit er winken kann. Neben dem Papst stehen links und rechts zwei Prälaten, die auch ins Volk hinaus winken, obwohl ihnen niemand gewinkt hat. So geht es nun hinauf zur Universität, unter begeisterten Vivats und Acclamationen des Volkes. Das Papamobil ermöglicht eine optimale Zurschaustellung des Nachfolgers Christi. Der Papst besetzt sein Territorium, der ist hier ganz zu Hause, mehr als im heidnischen Rom. Wie kleidsam doch seine weisse Soutane mit dem papstwappenverzierten Zingulum wirkt. So freundlich, ein angenehmer Kopf, und schöne Bewegungen macht er mit seinen Händen, gleich wird er eine Handvoll Bonbons aus den Fenstern werfen (sogenannte Feuersteine).
Leut-Selig, das ist er. Und wegen der Rede, die er jetzt sofort im Hof der Universität halten wird, mussten für 26'000 Franken neue Schlösser an sämtlichen Türen der Universitätsräumlichkeiten angebracht werden, weil nämlich einige Nachschlüssel im Laufe der Jahre verlorengegangen waren und die Polizei damit rechnete, dass der Attentäter mit traumwandlerischer Sicherheit einen dieser Schlüssel hätte behändigt haben können –. Und dann mit dem Zielfernrohr aus dem germanistischen Seminar –. Im grossen Hof der Universität waren etwa 500 Leute, davon 150 Journalisten, fast keine Studenten, wenig Professoren versammelt. Der Papst erzählt langfädig einen Mummenschanz, abgestandene neoscholastische Spekulationen: dass Wissenschaft und Glaube kein Widerspruch seien; dass der Glaube die Wissenschaft befruchte etc. Die Rede ist wirklich keine 26'000 Franken wert, und solche Sprechblasen hat man an dieser Uni jahrzehntelang von einfachen dominikanischen Mönchen hören können, dazu braucht es keinen Papst. Aber die Leute klatschen. Sie würden auch klatschen, wenn der Papst zwei Seiten aus dem Vorlesungsverzeichnis rezitierte. Die Rede ist wie die andern 52 Papstreden, die in der Schweiz noch gehalten werden: flach, glanzlos, diplomatischer Slalom, konservative Repetition. Eine interessante Enzyklika, das heisst ein intellektuell befriedigendes Rundschreiben wie PACEM IN TERRIS, das der stets ruhig in Rom verweilende (und nicht nervös herumdüsende) Johannes XXIII. verfasste, wird man von Johannes Paul II. wohl nicht erwarten können, bei dieser Manager-Agenda.
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Aber physisch ist der Papst recht gmögig. Man kann nicht sagen, dass er unsympathisch wäre. Sein Lächeln ist nicht schlecht. Es ist kein gelogenes Furgler-Lächeln. Man glaubt ihm sogar, dass er glaubt. Sonst wäre er längst umgekippt bei den Anstrengungen. Aber er kann den Glauben nicht vermitteln, oder höchstens: einen Köhlerglauben. Am Abend wird er bei der sogenannten Begegnung mit der Westschweizer Jugend sagen: er fordere sie auf, zu glauben, dann sei alles wieder gut. An der Uni-Veranstaltung am Vormittag dürfen sich zwei Studentinnen und zwei Studenten mit hoch brisanten Fragen melden, z.B.: Wie können wir besser studieren? Der Papst gibt nichtige Antworten. Er ist kein Kirchenlicht.
Die vier sind aus den insgesamt 10 (zehn) Studenten, welche sich auf den entsprechenden Aufruf der Studentenschaft gemeldet haben, herausfiltriert worden. Einer, der im vorbereitenden Komitee schliesslich niedergestimmt worden ist, wollte den Papst wegen der obligatorischen Ehelosigkeit der Priester interpellieren; er hat dann seine nicht gefragte Frage an den Papst schriftlich der Presse weitergereicht. 11.30: Begegnung mit den Ordentlichen Professoren der katholischen Theologischen Fakultäten im Senatssaal der Universität. Natürlich hinter geschlossenen Türen. Hier sollen, so hört man nachher, ausnahmsweise harte Fragen gestellt worden sein – der kluge Alois Müller aus Luzern z.B. hätte wissen wollen, ob nicht endlich in der Kirche ein «Pluralismus der Theologie» möglich wäre. Darauf wieder keine Antwort. Als ihm der Alt-Testamentler Othmar Keel vorgestellt wurde, soll der Heilige Vater bass erstaunt gewesen sein, dass ein Laie an der Theologischen Fakultät unterrichte, und erstaunt war er auch, als Othmar Keel ihm geradeheraus sagte: SIE SIND EIN PARTEIISCHER VATER.
Dann wieder ab ins Papamobil, Papaperpetuummobil, dreimal beschwörend ums Kantonsspital gefahren, segnenderweise. Krankheits-, Dämonenaustreibung. Zwecks Erzielung eines maximalen quantitativen papalen Effekts vor dem Hospital Aufstellung genommen, alle aus den Fenstern gestreckten, von der Polizei selektionierten und observierten Krankenköpfe mit einer Ansprache bedacht. Für die Kranken war es kein Erfolg, Heilungen konnten nicht verzeichnet werden. Aber die Polizei war glücklich: schon wieder kein Attentat.
Dann Mittagspause.
Dann wieder Papamobil. Aus dem Schlosspark des Barons de Graffenried sieht man es nahen. Die Reise von der Aristokratie zum einfachen Volk. Ben Hur, jetzt voll motorisiert und religiös, nur etwas langsam. Er fährt ein Oval durch die Menge. Was geht in diesem Papst-Kopf vor, dem proletarischen Kopf, wenn ihn 20'000 bejubeln? Ist ja eigentlich nicht sehr christlich. Offensichtlicher Personenkult. Sie möchten ihn berühren, den Magier, den grossen weissen Vater Bhaghwan. Ein Halbgott fährt vorbei (un ange passe). Imperator Rex, Pontifex.
Stalinistische Elemente (auch in der Sprachregelung: was der Papst «Dialog» nennt, ist immer ein Monolog – so wie die «Schauprozesse» nur Schau, aber keine Prozesse waren). Vor 20'000 Menschen eine Schau-Messe, Schau-Frömmigkeit zur höheren Ehre des Fernsehens. (Aber vielleicht ist er wirklich fromm? Er macht einen sehr konzentrierten Eindruck. Aber er weiss doch, dass die EUROVISION überträgt?) Etwa hundert polizeilich streng selektionierte Gläubige dürfen die Kommunion direkt aus SEINER Hand empfangen, Eucharistie mit Polizei, haben irgendein Erkennungszeichen angeheftet, so dass die Polizei sie die Stufen der Pyramide hinaufgehen lässt, wo der Papst ganz oben steht mit dem hostiengefüllten Ziborium in der Hand. Wir sind einen Moment bei den Inkas oder Mayas. Das ist doch eher gigantisch, diese Bilder vom Hohenpriester. Wie wär’s mit einem Menschenopfer? Und dazu die Musik, Orgel, Trompeten und Pauken. Und klagende Oboen.
Faschistisch ist das aber auch wieder nicht, dazu fehlt die Aggressivität, das Ableiten der Wut nach aussen. Hier gibt es keine Wut, alle Worte sind friedlich, die Gefühle lieb & sanft. Für viele wird diese Messfeier der einzige Glanzpunkt in einem mühseligen Leben sein. Manche weinen. Hier wird ihnen nicht zu ihrem Recht, aber zu ihrem Ausdruck verholfen (nachdem alle 20'000 durch die Polizeikontrolle gegangen sind: abgetastet).
Unterdessen in Einsiedeln – wird jetzt vor dem Hauptportal so etwas wie ein Altar aufgebaut. Und darauf ein 4 cm dickes Panzerglas, damit der Papst während des Segengebens nicht erschossen wird. Ist ein Altar mit Panzerglas noch ein Altar? Ein Showbusinessaltar.
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