Nach dem traurigen Ende von Colette und Juliette waren wir nur noch acht mit diesem gemeinsamen, aber auch gefährlichen Auswanderungsplan. Wir wollten uns nicht mehr trennen, bevor wir nicht glückliche Greisinnen wären, vielleicht sogar anarchistische Großmütter, sagte Mathilde.
Die Reise organisierten wir nicht aus Prinzip nur unter uns Frauen, sondern weil wir uns so besser einigen konnten, als wenn wir mit Männern hätten Einverständnisse aushandeln müssen. Die treten ja ihre Privilegien nicht gerne ab. Überdies hatte jede ihre persönlichen Gründe. Wir würden es uns übel nehmen, wenn wir sie verschwiegen. Germaine, die Regleuse, wollte einen großen Kummer vergessen. Der Sohn des Milchmanns, in den sie verliebt war, hatte trotz seines Eheversprechens aus Geldgründen eine andere heiraten müssen. Germaine trauerte ihm nach. Valentine, die Ihnen hier von den Ereignissen berichtet, verstand sich nicht mehr mit ihrem autoritären Vater, der sich weigerte, ihr das Pferd zu überlassen, um nach La Chaux-de-Fonds zu reiten. Anfangs wäre sie lieber allein in die Großstadt Genf gezogen, hätte sich gern von der belastenden Gegenwart ihrer älteren Schwester befreit. Dann aber entschied sie sich mehr oder weniger aus Neugier dafür, mit der Gruppe aufzubrechen. Mathilde, von allen am stärksten von Benjamins Ideen überzeugt, war erst siebzehn und hatte gerade ihre Bäckerlehre abgeschlossen. Mithilfe ihrer Adoptionsfamilie und unter dem Vorwand einer Fortbildung im Ausland schaffte sie es, Ausreisepapiere zu bekommen. Émilie wollte weg von den Schlägen ihres Mannes. Und auch Adèle hatte einen persönlichen Grund: Sie glaubte, sie würde nicht älter als dreißig werden und wollte noch vor ihrem Tod das Meer sehen.
Wir beschlossen, dass jede von uns versuchen würde, eine 20A von Longines mitzunehmen, eine wie die von Colette und Juliette. Als Talisman und Kriegskasse. In die Zwiebeln ließen wir drei Geheimbuchstaben und eine Zahl zwischen drei und zehn eingravieren, denn die eins und die zwei hätten ja in die Uhren der beiden Vorangegangenen gehört. Auf verschiedene Arten, die wir, obwohl sie inzwischen verjährt wären, hier lieber nicht ausplaudern wollen, gelang es uns, die Uhren zu bezahlen. Noch ahnten wir nicht, was für eine verdorbene Welt wir durch diese Zwiebeln kennenlernen würden. Mathilde Basswitz nahm die Werke von Jean-Jacques Rousseau mit, die ihrem Vater gehört hatten, fünf Bände in einem Schuber.
Im Juni des Jahres 1873 umarmten, weinten, bereuten wir also ein letztes Mal. Aufbruch zur Südspitze Amerikas, an die Ufer der Magellanstraße, mit neun kleinen Kindern und acht Zwiebeln. Da wir keinen Mann an unserer Seite hatten, schworen wir uns, einander bis zum Ende beizustehen. Mathilde dachte sich ein Lied aus, das uns Mut machen sollte:
«Wie ein Grab schließt uns der Jura ein
Helvetien ist kaum zu seh’n
In der Ferne, in Patagonien
Ist der Himmel weit und schön
Auf, auf, ihr Freundinnen
In Patagonien
Wartet das Leben auf uns
Den Atlantik überqueren wir
Singend und frohgemut
Die bittere Not verlassen wir
Singend und frohgemut
Ein kleines Land verlassen wir
Das viel zu viele Menschen zählt
Wo man darbt und früh aus dem Leben geht
Auf, Freundinnen, wir fahren
Über den Ozean
Ins ferne Amerika
Auf, Freundinnen, wir fahren
Fort aus den armen Kantonen
In ein Leben ohne Qual
Fort aus unserem Tal
Auf zu den Patagonen
In ein Leben ohne Qual
Fort aus unserem Tal»
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