Helmut Spudich:
Der Spion in meiner Tasche
Alle Rechte vorbehalten
©2020 edition a, Wien
www.edition-a.at
Cover und Gestaltung: Isabella Starowicz
Lektorat: Alexandra Grass
ISBN 978-3-99001-386-1
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
»Dies ist nur ein Vorgeschmack dessen,
was kommen wird,
und nur der Schatten dessen,
was sein wird.«
Alan Turing, Mathematiker & Informatiker
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Einleitung Einleitung Vorwort, in dem wir einen Überblick darüber erhalten, wie unser geliebtes Handy ein geheimes Leben als Spion großer Konzerne und Behörden führt. Und welchen Beitrag dieses Buch zur Enttarnung und Wiederherstellung unserer digitalen Selbstbestimmung leisten will.
Geliebter Spion Geliebter Spion Erstes Kapitel, in dem wir erfahren, wie die Welt bei einer echten Verfolgungsjagd erstmals lernte, dass jeder mittels Handyortung gefunden werden kann. Und wir uns trotz dieser denkwürdigen Einsicht nicht davon abhalten lassen, mit dem geliebten Spion Tag und Nacht zu verbringen.
Das Jesus-Phone Das Jesus-Phone Zweites Kapitel, in dem wir erfahren, wie durch das Internet am Schreibtisch unser geliebtes Handy in die Krise gerät. Worauf ein kalifornischer Messias mit einem »revolutionären Produkt« und einem bunten Blumenstrauß an Apps erscheint, die uns künftig auf allen Wegen begleiten werden.
Wo waren Sie gestern Abend?
Schau mir in die Augen, Kleines
Alexa, was war das für ein Geräusch im Hintergrund?
Prince Charles wäre heute lieber Camillas Smartphone
Ibiza ist überall
Wie viele Lebensjahre ist Ihnen Ihre Privatsphäre wert?
Die fünfte Generation
Zurück in die Zukunft
Vorwort, in dem wir einen Überblick darüber erhalten, wie unser geliebtes Handy ein geheimes Leben als Spion großer Konzerne und Behörden führt. Und welchen Beitrag dieses Buch zur Enttarnung und Wiederherstellung unserer digitalen Selbstbestimmung leisten will.
Wissen Sie, wie oft Sie heute schon auf Ihr Handy geschaut haben, ehe Sie dieses Buch zur Hand nahmen? Vielleicht ist es ein verregneter Sonntagvormittag und der schnelle Blick auf die Wetter-App zeigt, dass es nicht viel besser wird. Gelegenheit, wieder einmal ein Buch anzufangen. Davor noch schnell eine WhatsApp an die Freunde, mit denen der gestrige Abend etwas länger wurde. Ein paar Nachrichten sind schon da, die beantwortet werden müssen. Zur Kontrolle noch kurz auf Facebook schauen, was die anderen heute so treiben. Aber jetzt. Ich wette, Sie greifen wieder zu Ihrem Handy noch ehe Sie zum Ende des ersten Kapitels gekommen sind.
Dabei fing alles so gut an. Wir verliebten uns in unsere Handys, als SMS schreiben noch wirklich mühsam war. Weniger als ein Jahrzehnt dauerte es, bis sich selbst die hartnäckigsten Verweigerer widerwillig dem Trend anschlossen. Es war ja so praktisch!
Dann kamen iPhone- und Android-Manie und aus Verliebtheit wurde pure Obsession. Seither können wir den Blick kaum vom Bildschirm wenden. Selbst wenn wir unser Handy gerade nicht benötigen, halten wir es liebevoll, streichen gedankenverloren über das Display, warten angespannt auf das Piepsen und Blinken neuer Verständigungen.
Das Smartphone ist die universelle Fernsteuerung unseres Lebens. Die erinnerungswürdigen, verrückten, banalen Details unseres Alltags ablichten und sofort mit unserer Crowd teilen. Texten, als ob das Gerät nicht zum Sprechen erfunden worden wäre. Kein Weg nah und fern, den wir noch ohne unserer Navi-App finden würden. Musik, bis wir mit unseren drahtlosen Ohrenstöpseln verwachsen sind. YouTuben, bis Ibiza zum Spottwort wird und ein YouTuber namens Rezo die leeren Versprechen einer Großpartei vorführt.
Längst sind wir mit unserem Smartphone zu einer untrennbaren geistigen, seelischen und körperlichen Symbiose verschmolzen. Der intime Begleiter in unserer Tasche weiß, wofür und für wen wir unser Geld ausgeben – worüber nach einer Beobachtung von Sigmund Freud Eheleute noch weniger reden als über ihren Sex. Er weiß, mit wem und worüber wir endlos chatten, wer unsere »Friends« sind, welche Ärzte und Therapeuten wir regelmäßig besuchen, und ob es wirklich nur ein langer Abend im Büro war, wenn wir spät nach Hause kommen. Wie hoch am Morgen nach der Party der Restalkohol in unserem Blut ist. Und mit wem und wie oft wir Sex haben.
In Verbindung mit Smartwatches wird unsere Symbiose noch enger: Herzfrequenz, Körpertemperatur, Blutzucker, Bewegungen – nichts entgeht unserem aufmerksamen Alter Ego. Ein Sturz mit anschließender Bewegungslosigkeit alarmiert die Rettung und übermittelt dieser die genauen Standortdaten. Früher als von jedem Arzt können damit Krankheiten wie Herzinsuffizienz, Parkinson oder ein bevorstehender Asthmaanfall diagnostiziert werden.
Von Bequemlichkeit zum Missbrauch
Es ist ja so praktisch! Wenn da nicht ein Problem wäre: Der geliebte Spion in Ihrer Tasche ist – genau das. Denn anders als die sanften Stimmen von Alexa und Siri suggerieren, ist unsere Liebe einseitig, erweist sich der persönliche Assistent als Diener vieler Meister.
Dank eines immer vielfältigeren Sensoriums an Mikrofonen, Kameras, GPS und Bewegungssensoren, Funkverbindungen und Bildschirmimpressionen werden die Daten aus unseren Smartphones immer detaillierter. Das Ergebnis dieser Überwachung rund um die Uhr wird Smartphone-Herstellern, Netzbetreibern und einer Unzahl an Apps übergeben.
»Privatsphäre ist keine soziale Norm mehr«, so postulierte Facebook-CEO Mark Zuckerberg schon 2010 und stellte sich damit außerhalb des zivilen Konsenses unserer Gesellschaft. Sieben Jahre danach deckte der Cambridge-Analytica-Skandal auf, dass die Missachtung der Privatsphäre Zuckerbergs Geschäftsmodell ist: Aber-Millionen Userdaten wurden von Facebook zum Zwecke der politischen Manipulation verkauft. Den überwiegenden Teil dieser intimen Daten lieferten die Handys der gutgläubigen Benutzer.
Bewegungsprofile, die aus dem GPS am Handy stammen und von Diensten wie Google und Facebook praktisch ewig gespeichert werden, werden auf Anfrage von Polizei und Behörden zur umfassenden digitalen Rasterfahndung. In Phoenix, Arizona, wurde erstmals ein unschuldiger Mann im Zusammenhang mit einem Mord wochenlang in Untersuchungshaft genommen. Nur weil die Methoden – einstweilen – noch nicht die Genauigkeit von DNA-Tests aufweisen, kam er wieder frei. Ein anderer wurde schließlich überführt und verurteilt.
Nächtlicher Einbruch in unsere Privatsphäre
Herz- und Pulsfrequenz, Bewegungsmuster und Schlafgewohneiten sind nicht nur eine sinnvolle Information für medizinische Zwecke. In den Händen von Versicherungen und Arbeitgebern können sie, selbst in anonymisierter Form, zu einem mächtigen Instrument zur Verhaltenssteuerung werden. Tausende Datenpunkte aus unzähligen Apps kommen so im Laufe einer Woche zusammen, ein Gigabyte an persönlichen Daten und mehr ist im Laufe eines Monats keine Seltenheit. Viele lustige Apps, die nach einigen Versuchen ungenutzt auf unserem Handy wohnen, wurden ausschließlich zu diesem Zweck entwickelt und funktionieren wie trojanische Pferde.
Scheinbar harmlose Apps öffnen potenziellem Missbrauch Tür und Tor. Etwa TikTok, die westliche Version der chinesischen App Douyin. Mit Kurzvideos seiner Benutzer wurde TikTok in kurzer Zeit zur beliebtesten Selbstdarstellungs-App unserer Tage. Verbunden mit Gesichtserkennung und künstlicher Intelligenz wird daraus ein mächtiges Überwachungstool, das unliebsame Botschaften wie ihre Botschafter erkennen und zensieren kann. In China wird dies als Instrument verwendet, um potenzielle Dissidenten zu maßregeln. Im Westen sammelt TikTok Daten über Gesichter, über Menschen, über ihre Interessen und Einstellungen. Die US-Streitkräfte haben inzwischen ihren Soldaten verboten, TikTok zu verwenden: Geheimdienste können die Bilder auswerten, um Hinweise zu Truppen, Ausstattung und Standorten zu erhalten.
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