Dieser war nirgendwo verzeichnet, geschweige denn überhaupt bekannt gewesen, bis er sich drei Wochen zuvor aus dem Nichts am Himmel aufgetan hatte. Nachdem seine voraussichtliche Flugbahn rasch von Astronomen berechnet worden war, hatte sich zum Entsetzen der Menschheit herausgestellt, dass er auf der Erde einschlagen würde. Dies war am 21. September um 12:33 Uhr Central Standard Time auf den weiten Ebenen im Westen Nebraskas geschehen. Bei Pandora handelte es sich um einen verhältnismäßig kleinen Asteroiden – seine Maße entsprachen ungefähr einem Fußballfeld –, doch als er sich mit 60.000 Meilen pro Stunde in den weichen Boden des Flachlands von Nebraska gebohrt hatte, war es im Staat und darüber hinaus nicht unbemerkt geblieben. Aus diesem Naturereignis hätte man keinen Film drehen können; da war kein langer Flammenschweif von blendender Schönheit am Himmel vorbeigerast, den sich jedermann über Minuten hinweg hätte anschauen können. Wäre man am Ort des Aufpralls zugegen gewesen, hätte man keine Warnung erhalten. Allseitiger Ruhe war innerhalb einer Millisekunde eine gewaltige Erschütterung der Erde gefolgt, und einen weiteren Sekundenbruchteil später hatte es ein einziges Mal geblitzt, während der schwere Felsbrocken einen mehr als 1.000 Fuß tiefen Krater mit einem Durchmesser von über einer Meile aufgerissen und Geröll meilenweit in den Himmel geschleudert hatte. Pandora war nicht groß genug, um weltweite Katastrophen auszulösen; streng genommen hatte niemand in einer Entfernung von wenigen Hundert Meilen überhaupt etwas bemerkt, doch dem Aufschlag waren Folgen erwachsen, die kein Forscher, Astronom oder Astrophysiker vorhersah. Der Asteroid verfügte wie die gleichnamige Gestalt aus der griechischen Mythologie sozusagen über eine Büchse, und diese hatte sich an dem Tag geöffnet, als Cassidy mit ihrem Team vor Ort eingetroffen war.
Das Flugzeug bebte erneut. In nervöser Unruhe zurrte sie den Sitzgurt über ihrem Schoß fest. Sie wusste, wie dämlich das war, denn sollte die Maschine abstürzen, würde sie auch kein Sicherheitsgurt mehr retten. Ungeachtet dieser wohlbekannten Weisheit fühlte sie sich durch die straffere Spannung ein wenig sicherer.
Um den ruckeligen Flug zu verdrängen, nahm sie sich vor, ihre Gedanken freizubekommen, indem sie einige der Daten durchging, die sie gesammelt hatte. Sie nahm ihre Ledermappe zur Hand und begann, in den vielen Seiten voller Informationen zu blättern. Cassidy hatte mehr gewollt, doch nach nur wenigen Tagen in der Nähe der Einschlagstelle waren sie angewiesen worden, das Gebiet zu räumen, weil das Militär anrückte und es unter Quarantäne stellte. Auch seinem Widerstand zum Trotz war das Wissenschaftsteam abbestellt und durch ein anderes der Regierung ersetzt worden. Allerdings hatten sie nicht einfach so aufbrechen dürfen, sondern zunächst ein Protokoll zur Dekontamination einhalten und sich impfen lassen müssen. Einige hatten die strengen Richtlinien, die vorgegeben worden waren, verständnisvoll hingenommen, die meisten aber nicht; doch deren Beschwerden waren verpufft, denn Regierung und Militär hatten den Bereich vollständig und ausnahmslos abgeriegelt. Binnen 24 Stunden, nachdem die Armee dort aufgetaucht war, hatte Cassidy ihre Zahl auf Tausende geschätzt. Der Luftraum wurde für den Flugverkehr gesperrt, und das Gelände rings um das Loch war bedeckt mit großen, weißen Kuppeln, die Zelten glichen. Kurz nach der Übernahme durch die Behörden war ihr Team aufgelöst und jedes Mitglied gesondert unter Quarantäne gestellt worden. Cassidy hatte sich gewehrt, sich den gestellten Forderungen aber nach mehreren einsamen Tagen voller langwieriger Verhöre durch Männer und Frauen in Ganzkörper-Schutzanzügen gefügt und eine Spritze geben lassen, um die Regeln ihrer Zwangsisolation einzuhalten.
Die Maschine zitterte im Gegenwind, weshalb Cassidy ihre Armlehne abermals packte. Schweißperlen traten auf ihre Stirn. Sie streckte eine Hand nach oben aus und schaltete die Lüftung ein. Der kühle Strom, der ihr ins Gesicht wehte, tat gut, und sie entspannte sich ein wenig. Ihr erbittertes Klammern und panisches Verhalten bei jeder Bewegung des Flugzeugs fiel einem Mann auf, der in ihrer Reihe am Gang saß.
»Hier, die können Sie auch benutzen.«
Als sie die Augen öffnete, langte er gerade nach oben an die Lüftung über dem unbesetzten Platz in der Mitte. Er schaltete sie ein und drehte sie in Cassidys Richtung.
»Oh, vielen Dank. Ist heiß hier drin, nicht wahr?«, fragte sie, während sich ihr ein Gefühl von Scham aufdrängte.
»Sie sind keine begeisterte Fliegerin?«
»Äh, nein, eigentlich nicht.«
»Was ich dabei am schlimmsten finde, ist das Gefühl, keine Kontrolle zu haben«, gestand er selbst.
»Ha, bei mir ist es die Angst vorm Abstürzen«, scherzte sie, sodass ein Lächeln ihre gebräunte Haut in Falten legte. Sie strich sich eine Strähne ihres glatten, braunen Haars hinters Ohr und ließ sich noch tiefer in den Sitz sacken.
»Darf ich fragen, wohin Ihre Reise geht?«, fuhr er fort.
»Nach Hause, und Sie?«
»Von dort komme ich gerade; ich fliege nach London«, erzählte er. »Zum ersten Mal.«
»London? Das ist schön. Ich bin zwar noch nie dort gewesen, würde es aber sehr gern eines Tages sehen.«
»Was sind Sie von Beruf?«, fragte er weiter.
»Astrobiologin.«
»Verzeihung, was ist das?« Er neigte sich ihr zu, weil er wirklich neugierig zu sein schien.
Sie sah ihn an. Er kam ihr attraktiv vor mit seinem kurzen, braunen Haar, das an den rasierten Seiten grau meliert war, und den stechend blauen Augen. Der Kontrast zwischen dunklem Haar und hellen Augen gefiel ihr generell sehr gut. Er war einer der Gründe dafür, dass sie sich zu ihrem langjährigen Freund Devin hingezogen fühlte. Cassidy erging sich zwar ungern in bemühten Unterhaltungen, zu denen sich viele auf Flügen hinreißen ließen, und versuchte stets, sie zu vermeiden, indem sie Kopfhörer aufsetzte oder so tat, als schlafe sie, doch dieser Mann hatte sie kalt erwischt, wofür sie dankbar war. Seine Aufmerksamkeit wirkte beruhigend, und das brauchte sie.
»Ich erforsche die Ursprünge, Entwicklung, Verbreitung und Zukunft des Lebens im Universum«, zählte sie auf, ein Abspulen erschöpfend einstudierter Antworten auf stets gleiche Fragen, die man ihr schon unzählige Male gestellt hatte.
»Wow, Leben im Universum, so wie E.T.?« Er grinste.
»Wie E.T., genau.«
»Entschuldigung, das kam jetzt hoffentlich nicht falsch rüber. Ich meinte nicht …«
»Keine Bange«, beschwichtigte sie. Sie sah alles ein wenig verschwommen und spürte, dass sich ein weiterer kräftiger Hitzeschub anbahnte. Ihre Stirn wurde noch feuchter, und sie fühlte sogar, dass ihre Hände schmierig waren.
»Geht es Ihnen gut?«, hakte er nach.
Sie antwortete nicht sofort, sondern blinzelte, um wieder klar sehen zu können. Übelkeit drohte, sie zu überwältigen, wofür sie keine Erklärung fand, und dies machte ihre Beklommenheit umso schlimmer.
»Sicher, mir geht es gut, ich bin bloß … sehr müde«, erklärte sie schließlich. »Ich habe gelinde ausgedrückt eine lange Woche hinter mir.« Sie sprach in lang gezogenen Worten.
»Sie sehen blass aus.«
»Ist wirklich nichts weiter, tut mir leid, aber ich denke, ich ruhe mich besser ein wenig aus.« Sie rieb sich ihre rechte Schulter, bevor sie den kurzen Ärmel hochschob und energisch kratzte.
»Autsch, das sieht aus, als würde es wehtun«, bemerkte er.
»Was?« Als sie auf ihren Oberarm schaute, reagierte sie erstaunt angesichts des Flecks an der Stelle, in die man nur 24 Stunden zuvor injiziert hatte.
»Sind Sie sicher, dass es Ihnen gut geht?«, beharrte er.
»Absolut, aber ich bin eben müde.«
»Okay, dann gönnen Sie sich etwas Ruhe.«
»Eigentlich müsste ich auf die Toilette? Sind Sie so nett …«
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