Ausschlaggebend ist daher, ob Lehrende es gelernt haben, ein ihrer Praxis angemessenes unterrichtliches Arrangement zu gestalten. Hinter dieser Argumentation steht eine grundlegende Veränderung in der Konzeption von Aus- und Fortbildungen für Fremdsprachenlehrende. Freeman (2016:124) beschreibt sie als einen Prozess, in dem sich die Schwerpunktsetzung von einem methodologischen Denken hin zu einem heuristischen Denken verschob. Letzteres geht davon aus, dass Lehrende eine forschende Haltung gegenüber ihrem Tun einnehmen, die eigenen Handlungsspielräume erkunden und die Folgen ihrer Entscheidungen genauer in den Blick nehmen. Die Kompetenzdimension „Lehren und Lernen“ ist somit eng verknüpft mit der Fähigkeit, sowohl die Bedingungen des beruflichen Handelns als auch sich selbst zu reflektieren. Ein Gedanke, dessen Konsequenzen für die Struktur und auch die Praxis von Aus- und Fortbildungsprogrammen wir in den folgenden beiden Abschnitten genauer betrachten möchten. 2.5 Identität und Rolle Wie bereits weiter oben beschrieben wurde, erlebte die Fremdsprachenforschung seit Beginn der 1990er Jahre eine Zeit der Neuorientierung. Mit der Lehrperson rückte ein Thema in den Fokus des Forschungsinteresses, dem in den Jahrzehnten zuvor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden war. Zugleich begann man damit, sich verstärkt lokalen Kontexten zuzuwenden. Mit einer Sammlung von Fallstudien lieferten Bailey/Nunan (1996) einen programmatischen Titel für diese neue Tendenz der Fremdsprachenforschung: Voices from the Language Classroom. Als Ergebnis konnten solche Forschungsarbeiten (s.a. Freeman/Richards 2006) eine große Vielfalt an Wechselwirkungen beschreiben, die das Unterrichtsgeschehen bestimmen und seiner Steuerung durch methodische Handlungsanweisungen enge Grenzen setzen. Es zeigte sich, weshalb das Gelingen von Lernprozessen in besonderer Weise von den einzelnen Lehrpersonen abhängt: Ihre Entscheidungen und ihr Handeln im Klassenraum sind geprägt von biografischen Erfahrungen, individuellen Überzeugungen, Motiven und auch Persönlichkeitsmerkmalen. Lehrerinnen und Lehrer wurden von nun an in ihrer Persönlichkeit wahrgenommen. Diese Perspektive war zwar im Zuge der Verwissenschaftlichung der Lehrerausbildung vorrübergehend in den Hintergrund getreten, ganz neu war sie allerdings nicht. Denn mit dem „Persönlichkeitsansatz“ hatte es in der Geschichte der Pädagogik bereits einmal eine Phase gegeben, in der die Lehrpersonen im Zentrum des Forschungsinteresses standen. Dieser Ansatz musste jedoch scheitern, weil er den Zusammenhang zwischen Lehrperson und Lernerfolg vor allem mit charakterlichen Dispositionen zu erklären versuchte (Helmke 2015: 33f). Dass Persönlichkeitsmerkmale im Unterrichtsgeschehen wirksam werden, steht dennoch außer Frage und empirisch lässt sich der vorteilhafte Einfluss von Enthusiasmus ebenso nachweisen wie der nachteilige von Reizbarkeit oder sozialer Befangenheit (vgl. Mayr 2014). Werden die Effekte des Unterrichts jedoch allein mit dem Sein von Lehrenden verknüpft und nicht mit ihrem dem geplanten oder gezielten Tun, wie Herzog/Makarova (2014: 85) es formulieren, bleibt man letztlich der traditionellen, aber nach wie vor sehr verbreiteten Vorstellung des „geborenen Lehrers“ verhaftet. Die Fremdsprachenforschung entdeckte daher die Lehrperson als zentralen Akteur der Lehr- und Lernprozesse wieder, folgte dabei jedoch nicht der ursprünglichen Zielsetzung des Persönlichkeitsansatzes. Es konnte nicht darum gehen, die ideale Lehrpersönlichkeit zu identifizieren. Das ergab sich schon als notwendige Konsequenz aus der fehlgeschlagenen Suche nach der idealen Methode, in die man über Jahrzehnte hinweg vergeblich investiert hatte. Vielmehr richteten sich die Forschungsbemühungen darauf, ein besseres Verständnis für das Zusammenspiel von Individualität und professionellen Kompetenzen in jeweils singulären Kontexten zu entwickeln. Diese Perspektivenerweiterung der Fremdsprachenforschung führte auch in der Aus- und Fortbildung zu einem grundsätzlichen Umdenken. Erkennt man den hohen Stellenwert des subjektiven Faktors an, kann man sich nicht mehr darauf beschränken, didaktisches Theorie- oder Methodenwissen zu vermitteln, allein in der Hoffnung, dass Lehrende es in erfolgreiche Praxis übersetzen werden. Wie wenig begründet diese Haltung ist, zeigen die ernüchternden Ergebnisse von Studien, die sich den Erfahrungen von Lehramtsstudierenden in Praktika widmen (z.B. Elsner 2010; Gabel 1997; Schädlich 2015) oder den Berufseinstieg untersuchen (Appel 1995, siehe auch Wahl 2013: 7f.). Die Herausforderung besteht deshalb darin, dem subjektiven Faktor in allen Phasen des Aus- und Fortbildungsprozesses gerecht zu werden und die Professionalisierung als eine Form der Rollenausgestaltung und Identitätsbildung zu verstehen. Welche Kompetenzen dabei von Bedeutung sind, lässt sich anhand der Unterscheidung von Rolle und Identität beschreiben (Kanno/Stuart 2011). Rollen werden von außen an die Individuen herangetragen. In dieser Hinsicht sollte in der Aus- und Fortbildung ein besseres Verständnis dafür entwickelt werden, was sich die Gesellschaft von Lehrerinnen und Lehrern verspricht, welches Lehrerbild staatliche und institutionelle Curricula zeichnen oder welche Erwartungshaltungen die Lernenden und ihre Eltern hegen. Auch die Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, wie wir sie zu Beginn dieses Beitrags schilderten, gehört zweifellos zu einem kompetenten Umgang mit der eigenen Rolle. Die Identitätsbildung hingegen muss vom Individuum selbst geleistet werden. Aus- und Fortbildung können diesen Prozess anstoßen und unterstützen, indem kontinuierlich Möglichkeiten und Anreize geschaffen werden, die Selbstkompetenzen als Lehrkraft weiterzuentwickeln. Dazu zählt beispielsweise, sich der eigenen Werte und Überzeugungen bewusst zu werden, die berufliche Motivation zu klären oder charakterliche Eigenheiten zu erkennen. Kubaniyova (2012: 101) zeigt in ihrer Studie, wie wichtig es für die Weiterentwicklung von Lehrpersonen, für ihre Offenheit gegenüber neuen Ideen und pädagogischen Innovationen ist, eine persönliche berufliche Vision zu haben. Lehrende müssen für sich entscheiden, inwieweit ihre persönliche Identität in ihrer professionellen Identität aufgehen soll und wann es sinnvoll ist, Grenzen zwischen beiden zu ziehen. Die Beschäftigung mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Selbstregulation oder Selbstwirksamkeit im Lehrberuf (Schwarzer/Warner 2014) kann dazu wichtige Impulse liefern. Wie stark subjektive Theorien und das berufliche Selbstverständnis das didaktische Denken und Handeln beeinflussen können, wurde seit den 1990er Jahren in zahlreichen empirischen Forschungsarbeiten dokumentiert (z.B. Grotjahn 1998; Caspari 2003; Kubaniyova 2012; Schart 2003; Viebrock 2007). Es liegt daher auf der Hand, dass die im vorangegangenen Abschnitt beschriebenen Kompetenzen zum Lehren und Lernen nur im engen Zusammenhang mit individuellen Erfahrungen und Überzeugungen herausgebildet werden können. Für die fremdsprachlichen Fächer kommt als Alleinstellungsmerkmal hinzu, dass auch die eigenen Fähigkeiten in der Fremdsprache als zentraler Bestandteil der professionellen Identität betrachtet werden müssen (Barkhuizen 2016, Pennington 2016). Die Tätigkeit von Fremdsprachenlehrenden vollzieht sich immer zwischen verschiedenen Kulturen, ob sie in ihrem beruflichen Alltag nun selbst in einer Fremdsprache handeln oder ihre Muttersprache in einem mehr oder weniger fremden kulturellen Umfeld unterrichten. Wie intensiv dabei die gesamte Persönlichkeit involviert sein kann, verdeutlichen sehr lebendig die biografischen Erzählungen in Nunan/Choi (2010). An konkreten Fällen geben Benitt und Gerlach/Steiniger im vorliegenden Band Einblicke in das Zusammenspiel von fremdsprachlichen Fähigkeiten und Identitätsbildung. Gerlach/Steiniger widmen sich in ihrem Beitrag in besonderer Weise der Herausbildung von Rolle und Identität im Lehrberuf. Ihr Untersuchungsfeld ist der Vorbereitungsdienst und gemeinsam zeichnen sie anhand von Vignetten nach, wie sich sowohl aufseiten der angehenden Lehrkräfte als auch aufseiten der Ausbildungskräfte bzw. Mentoren/Mentorinnen das Rollenverständnis in dieser Phase der Ausbildung entwickelt und welche Elemente die gegenseitige Wahrnehmung prägen. Sie verdeutlichen in ihrem Beitrag, weshalb die aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und die Gestaltung der beruflichen Identität zu den Kompetenzen angehender und bereits praktizierender Lehrkräfte gezählt werden muss. In der Aus- und Fortbildung sollten sie Unterstützung dabei finden, eine berufliche Vision zu entwickeln, die ihrer Persönlichkeit entspricht. Weshalb dieser sehr individuelle Prozess zugleich aber auch als ein kollektiver gedacht werden muss, werden wir im folgenden Abschnitt diskutieren. 2.6 Kooperation und Entwicklung In den vorangegangenen Abschnitten wurde aus verschiedenen Perspektiven dargestellt, weshalb der Erwerb von Wissen und Fähigkeiten eingebettet ist in einen sozialen, historischen und politischen Kontext, vermittelt durch die Interaktion mit anderen, durch gemeinsames Handeln und die Auseinandersetzung mit kulturellen Artefakten. Aus dieser Erkenntnis ergeben sich natürlich nicht nur Konsequenzen für die Gestaltung des Fremdsprachenunterrichts. Wie alle akademischen Fächer, die sich neben der Erforschung pädagogischer Prozesse auch mit der Ausbildung von Expertinnen und Experten für pädagogisches Handeln befassen, muss sich die Fremdsprachendidaktik fragen, ob ihre eigene Praxis dem Forschungsstand nicht zuwiderläuft. Wird also auch in der Aus- und Fortbildung etwa das Potenzial von Kooperation genutzt? Wird damit ein Gegenmodell geschaffen zur Lehrperson als Einzelkämpfer und zur Tendenz der Privatisierung von Klassenräumen? Wird also für Novizen der Lehrberuf als eine professionelle Gemeinschaft (Lave/Wenger 1991) erfahrbar, in die sie bereits während der Ausbildung durch aktive Teilnahme hineinwachsen? Der soziokulturelle Ansatz hat in besonderer Weise dazu beigetragen, dass kooperativen Prozessen in der Aus- und Fortbildung ein zunehmend größerer Stellenwert beigemessen wird (Crandall/Christison 2016; Johnson 2009; Johnson/Golombek 2011), was sich nunmehr auch in verstärkter empirischer Forschungstätigkeit zu diesem Themenbereich niederschlägt. Die Studie von Wipperfürth (2016) ist dafür ein wegweisendes Beispiel. In ihr wird darstellt, wie sich Lehrende in einem „Lernenden Lehrernetzwerk“ selbstgesteuert über Videomitschnitte aus dem eigenen Unterricht austauschen und sich dabei ihre Selbstwahrnehmung ebenso positiv verändert wie ihr unterrichtliches Handeln. Auch mehrere der in diesem Band versammelten Beiträge verdeutlichen diese Forschungstendenz anhand konkreter Lehr- und Lernszenarien. So schildern Abendroth-Timmer/Schneider, wie sich zukünftige Fremdsprachenlehrende im Rahmen des CONFORME-Projekts in multikulturellen und mehrsprachigen Kleingruppen mit wissenschaftlichen Konzepten auseinandersetzen und durch die Interaktion professionelles Wissen ko-konstruieren. An ihrer Darstellung lässt sich besonders gut nachvollziehen, weshalb Studierende bei ihren individuellen Reflexionsprozessen vom Austausch mit anderen profitieren. Gemeinsam werden Unterschiede in der Wahrnehmung und Interpretation aufgedeckt, neue Sichtweisen entwickelt und letztlich die wissenschaftlichen Konzepte tiefer durchdrungen. Im Bereich der Fortbildung ist die Studie von Heinrich verortet. In dem Beitrag wird das Spannungsverhältnis deutlich, in dem die Inhalte der Lehrerbildung und deren methodischer Gestaltung stehen. Heinrich dokumentiert die empirische Begleitforschung zu einem Fortbildungsangebot für Englischlehrkräfte im Sekundarbereich I und II. Sie sollten gezielt dabei unterstützt werden, kooperatives Sprachlernen häufiger und theoriebasierter anzuwenden. Inhaltlich wird zum einen handlungsorientiertes Wissen sowie konkretes Instruktions- und Sprachverhalten vermittelt. Zum anderen werden bestimmte Kognitionen, die die Umsetzung der Lehr-Lernform fördern oder behindern können, positiv beeinflusst. Die Autorin geht in ihrem Beitrag unter anderem auch darauf ein, wie das kooperative Lernen als Gegenstand der Fortbildung zugleich in den Fortbildungsveranstaltungen selbst erfahrbar gemacht werden kann. Erste Ergebnisse der Längsschnittstudie deuten auf positive Trainingseffekte bezüglich bedeutsamer Kognitionen sowie der Häufigkeit und Qualität der Umsetzung kooperativen Sprachlernens im Englischunterricht hin. Das Potenzial der Kooperation erhellt auch Knorr in ihrer Studie, für die sie Studierende bei der Vorbereitung von Tagespraktika begleitete und deren gemeinschaftliche Planung von Unterrichtsstunden analysierte. Auch hier zeigt sich, wie die Zusammenarbeit Lernprozesse unterstützt, indem sich die Studierenden gegenseitig hinterfragen, zu neuen Ideen anregen oder auch emotionalen Rückhalt bieten. Da Knorrs Studie an der Schnittstelle zwischen fachdidaktisch-theoretischer und schulpraktischer Ausbildung verortet ist, ermöglicht sie zugleich Einsichten in das Zusammenspiel von theoretischem Wissen und unterrichtlichem Handeln. Dabei wird unter anderem deutlich, dass die konkrete Unterrichtsvorbereitung anders verläuft, als die in der Ausbildung zuvor gelernten Planungsmodelle es vorzeichnen. Es sind solche Erfahrungen, die dazu beitragen, dass die Übergänge zwischen den einzelnen Ausbildungsphasen als Bruch wahrgenommen werden. Mit Blick auf Fachpraktika konnten sie von Gabel (1997) ebenso beschrieben werden wie von Schädlich (2015). Und auch Gerlach/Steiniger kommen in ihren Untersuchungen zum Vorbereitungsdienst in dieser Hinsicht zu diesem kritischen Fazit. Aus einer soziokulturellen Perspektive ist dieser viel zitierte Praxisschock unvermeidlich, solange die Begegnung mit wissenschaftlichen Konzepten während der fachdidaktischen Ausbildungsphase nicht eingebettet wird in situiertes Lernen (Lave/Wenger 1991), also die Möglichkeit, sich der Relevanz dieser Konzepte für konkrete Handlungssituationen bewusst zu werden, sie vor dem Hintergrund der eigenen Vorstellungen und Erfahrungen zu reflektieren und sich mit anderen darüber auszutauschen. Eine Überlegung, die unmittelbar das Verhältnis zwischen Theorie und Praxis als einem der am intensivsten diskutierten Probleme der Pädagogik berührt. Gestärkt wird die Differenzthese, der zufolge die Frage danach, wie sich wissenschaftliche Theorien und Modelle effektiver in die Unterrichtspraxis implementieren lassen, grundsätzlich falsch gestellt ist. Denn für die beiden gesellschaftlichen Bereiche „Wissenschaft“ und „Schule“ sind sehr unterschiedliche Wissensformen prägend. Professionelle Forschung zielt auf Abstraktion, Systematisierung, Präzision und Widerspruchsfreiheit. Dank dieser Qualitäten kann durch Wissenschaft generiertes Wissen dazu beitragen, soziales Geschehen besser zu erklären und verschiedene Alternativen für das Handeln der Menschen in einem bestimmten Kontext aufzuzeigen. Lehrende hingegen verfügen aufgrund der Vertrautheit mit ihrem Tätigkeitsfeld über etwas, das sie allen wissenschaftlichen Modellen voraushaben: das „Wissen in der Handlung“, wie es Schön (1983) bezeichnet. Sie haben ein Gespür für das Funktionieren der Handlungsabläufe und für die sozialen Konstellationen im Klassenraum. Dieses Erfahrungswissen von Lehrenden ist – wie wir im vorangegangenen Abschnitt darstellten – immer ein individuelles Konstrukt, durchwebt mit persönlichen Erlebnissen, Werturteilen und Vermutungen. Nicht Differenzierung und Abstraktion kennzeichnen daher diese Wissensform, sondern Komplexität, Ganzheitlichkeit und der enge Bezug zu sozialen Kontexten. Angesichts solcher grundlegenden Unterschiede können wissenschaftliche Theorien nicht ohne weiteres in unterrichtliche Praxis implementiert werden und es wird verständlich, weshalb die jahrzehntelangen Versuche der Fremdsprachendidaktik, eine ideale Methode des Fremdsprachenunterrichts zu entwerfen, letztlich zum Scheitern verurteilt waren (siehe auch Kumaravadivelu 2006; Prahbu 1990). Die häufig zitierte Kluft zwischen dem akademischen Betrieb und der unterrichtlichen Praxis beruht mithin auf einem „Rationalitätsbruch“ (Beck/Bonß 1989:12), der zwei verschiedene Wissensformen und letztlich zwei verschiedenen Arten sozialer Praxis voneinander trennt (vgl. Fried 2003). Erst wenn man die Gegensätzlichkeit dieser beiden Wissensformen anerkennt, lassen sich die Möglichkeiten und Begrenzungen realistisch einschätzen, die ihnen innewohnen. Zugleich öffnet sich aber auch der Blick für eine weitere Wissensform, die beide Welten verbindet: das reflektierte Handlungswissen. Es kann nur innerhalb der professionellen Gemeinschaft von den Lehrenden selbst generiert werden. Sie müssen dafür die Unterrichtspraxis zum Gegenstand einer kritischen Betrachtung machen und ihre Handlungsmuster und Routinen hinterfragen. Indem sie dabei sowohl die Perspektive von Kolleginnen und Kollegen einbeziehen als auch wissenschaftliche Erklärungsansätze, können sie das Reflexionsniveau erhöhen. Letztlich kommen Lehrende auf diesem Wege zu neuem Wissen über ihr Arbeitsumfeld und sie tragen damit zur persönlichen Entwicklung ebenso bei und wie zur Entwicklung der gesamten Profession. In Aus- und Fortbildungsprogrammen werden zwei gegensätzliche Herangehensweisen praktiziert, um das Generieren des reflektierten Handlungswissens zu fördern. Auf der einen Seite finden sich theoriegeleitete Ansätze. Hier bilden wissenschaftliche Modelle und Theorien den Ausgangspunkt, die im Reflexionsprozess anhand von Erfahrungen mit oder Beobachtungen von Praxis nach ihrer Relevanz und Tragweite befragt werden. Die sogenannte Design Based Research kann als ein typisches Beispiel für diesen Ansatz gelten (vgl. Gießler in diesem Band; Grünewald u.a. 2014). Die eher traditionelle, an wissenschaftlichen Systematiken orientierte Struktur der Lehrerbildung wird dabei aufgebrochen, indem Elemente aus der Praxis integriert und somit situiertes Lernen ermöglicht wird. Dass dieser theoriegeleitete Ansatz momentan noch das vorherrschende Konzept darstellt, lässt sich auch an den Beiträgen in diesem Band ablesen. Sie beschreiben in der Mehrzahl Programme, die an wissenschaftlichen Theorien ansetzen und nicht an Problemstellungen, die sich aus den Erfahrungen der Teilnehmenden mit der Unterrichtspraxis ergeben. Aber auch dieser zweite, konträre Zugang zum reflexiven Erfahrungswissen ist natürlich möglich und sinnvoll. Beschreibungen für praktikable Modelle eines solchen praxisgeleiteten Ansatzes finden sich beispielsweise bei Allwright (2005) oder Abendroth-Timmer (2011). Und auch in den Beiträgen von Benitt und Mohr/Schart wird dieser Prozess greifbar. Benitt untersucht mit ihrer Studie die Lern- und Entwicklungsprozesse von angehenden Englischlehrerinnen im Rahmen des Programms E-LINGO, das einen Schwerpunkt auf das reflexive und forschende Lernen legt. Sie zeigt, wie bei den Teilnehmenden durch kooperative Aktionsforschungsprojekte kognitive, interpersonale und affektive Entwicklungsprozesse angeregt werden. Auch Mohr/Schart nehmen die forschende Tätigkeit von Lehrenden und damit die Herausbildung des reflexiven Handlungswissens in den Blick. Ihre Studie ist in dem weltweiten Fortbildungsprogramm Deutsch Lehren Lernendes Goethe Instituts verortet. Mohr und Schart analysieren Dokumentationen von kooperativ durchgeführten Praxiserkundungsprojekten und gehen der Frage nach, in wie weit sich in diesen Daten Reflexionsprozesse der Teilnehmenden spiegeln. So verschieden die Wege sind, auf denen die Reflexionsprozesse angebahnt werden, die dafür notwendigen Kompetenzen müssen kontinuierlich über die gesamte Zeit der Ausbildung hinweg und auch im Rahmen von Fortbildungen immer wieder aufs Neue geübt und weiterentwickelt werden, um nachhaltig das professionelle Handeln zu stärken. Seit Mitte der 1990er Jahren wurden daher verschiedene Modellen der reflexiven Lehrerbildung und des forschenden Lernens von Studierenden entwickelt (Dirks/Hansmann 1999; Feindt/Broscio 2008/Roters et al. 2009; Schocker 2001, Zibelius 2015; s.a. Farrell 2015; Wells 2009). Ihre gemeinsame Leitidee sind dabei Lehrende, die eine neugierige und kritische Haltung gegenüber der eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster einzunehmen wissen, die sich mit anderen zielgerichtet und sachbezogen über unterrichtliches Geschehen austauschen können, die die Fähigkeit besitzen, wissenschaftliche Herangehensweisen, Konzepte und Modelle kritisch zu hinterfragen und für den eigenen Erkenntnisgewinn zu nutzen, die in der Lage sind, die Verantwortung für die Folgen ihrer Entscheidungen zu übernehmen, die die Professionalisierung als einen eigenverantwortlichen und lebenslangen Prozess des Lernens begreifen. In den zurückliegenden Abschnitten haben wir uns darauf konzentriert, Charakter und Umfang einzelner Kompetenzdimensionen zu umreißen, die für die Aus- und Fortbildung leitend sein sollten. Dabei wurde immer wieder deutlich, dass sich die Inhalte der Ausbildung nicht von ihrer Praxis trennen lassen. Die Fremdsprachendidaktik muss sich der Frage stellen, wie sie ihr Konzept kompetenten Lehrens auch in den eigenen Lehrveranstaltungen umsetzen kann. Anregungen dazu möchten wir mit dem folgenden Abschnitt liefern, indem wir die Ausbildungspraxis als dialogischen Prozess beschreiben und zugleich Felder zukünftiger Forschung skizzieren. 3 Aus- und Fortbildung als dialogischer Prozess Aus der bisherigen Argumentation lassen sich vier Prinzipien gewinnen, die den Modus der Kompetenzentwicklung von angehenden und bereits praktizierenden Lehrkräften bestimmen sollten. Lehrerbildung muss: (1) die Lehrenden als Personen in den Blick nehmen, (2) die Prozessqualität von Unterricht fokussieren, (3) Modelllernen, situiertes und experimentelles Lernen ermöglichen, (4) reflektiertes Erfahrungslernen, kooperatives und forschendes Lernen fördern und unterstützen (vgl. Legutke 2016). Im Folgenden möchten wir darauf eingehen, wie sich diese vier Prinzipien in den Lehr- und Lernmodi von Lehrerbildung widerspiegeln und dabei Bedingungen für eine synergetische Entfaltung von Professionskompetenz geschaffen werden könnten. Wir gehen dabei von der Frage aus, welchen Situationen ein besonderes Lehr- und Lernpotenzial in der Lehrerbildung erwächst. Abbildung 2 zeigt die Systematik, an der wir uns bei der Darstellung orientieren. Abbildung 2 Lehr- und Lernpotenzial in der Lehrerbildung 3.1 Der erlebte Unterricht Angehende Lehrkräfte beginnen nicht als unbeschriebene Blätter ihre Ausbildung, sondern bringen Vorstellungen von Unterricht und besonders Einstellungen zum Lehren mit, die durch viele Stunden schulischer Lernerfahrung geprägt sind – Lortie (1975) spricht hier von dem Prozess der Lehrzeit durch Beobachtung ( apprenticeship of observation). Verschiedene Studien zeigen (Wideen et al. 1998; Schocker-v. Ditfurth 2001), dass sich solche mitgebrachten Vorstellungen über die Vermittlung von Theorie- und Methodenwissen alleine kaum beeinflussen lassen. Somit stellt sich die Frage, wie diese in den verschiedenen Phasen des Studiums systematisch bearbeitet werden können. Das betrifft in besonderer Weise die Eingangsphase, in der Studierende vor der Aufgabe stehen, einen Perspektivenwechsel von der Lerner- zur Lehrersicht vorzunehmen. Da diese Anbahnung des Perspektivenwechsels in vielen Fällen in der Fachdidaktik im Modus einer Einführungsvorlesung geschieht, in der ausgewählte, fachdidaktische Kernkonzepte vorgestellt werden, müsste die Vorlesung, wenn man die o.g. Prinzipien ernst nimmt, so gestaltet werden, dass die Aneignung der Konzepte parallel zu einer systematischen Bearbeitung der mitgebrachten Erfragungen und Konzepte erfolgen kann. Fehlt eine solche Bearbeitung, dann ist mit gutem Grund zu vermuten, dass die vermittelten Konzepte und die mit ihnen anvisierten Lehrhandlungen zwar theoretisch einleuchtend sind, letzten Endes aber „träges Wissen“ (Gräsel/Mandl 1999) bleiben und nicht als Erklärungsoptionen und Handlungsmöglicheiten in das berufliche Selbstverständnis integriert werden (Knorr in diesem Band, Schocker-v. Ditfurth 2001). Die Vorlesung müsste deshalb so konzipiert werden, dass sie sowohl auf der Microebene, d.h. in der Vorlesung selbst, als auch in ihrer Peripherie durch Arbeitsgruppen und Tutorien dialogische Arrangements bereithält, in denen die zukünftigen Lehrkräfte, etwa durch entsprechende Aufgaben, angeleitet werden, sich des mitgebrachten Erfahrungswissens bewusst zu werden und dessen Facetten zusammen mit anderen im Lichte (neuer) fachdidaktischer Konzepte zu erkunden. Den Erkenntnisgewinn aus einem solchen Austausch könnten die Studierenden in doppelter Weise nachweisen: durch einen Wissenstest, der den Erwerb der Konzepte dokumentiert und durch ein Portfolio, in dem sie ihren Lernprozess in Hinblick auf ausgewählte Konzepte und Ereignisse erörtern. Über eine solche Einführungsvorlesung hinaus steht die Lehrerbildung generell vor der Aufgabe, Vorstellungen, Erwartungen und Visionen, die eigene Tätigkeit betreffend, zum Gegenstand gemeinsamer und individueller Arbeit zu machen. Einen Ansatzpunkt dazu bieten videographierte Ausschnitte aus dem Unterricht, denen wir uns nun zuwenden. 3.2 Der dokumentierte Unterricht Die technologischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre mit der Digitalisierung der Videographie und den Möglichkeiten der Anlage von Videodatenbanken, etwa in Verbindung mit Open Source Lern-, Informations- und Arbeitskooperationsystemen wie Ilias oder Moodle, haben neue und leicht nutzbare Möglichkeiten der systematischen Integration von dokumentiertem Fremdsprachenunterricht in die Lehrerbildung eröffnet. Kurze Videosequenzen, ggf. in Verbindung mit entsprechenden Kontextdaten zur Lerngruppe, zum Curriculum und zu unterrichtsbezogenen Produkten (unterschiedliche Lerner- und Lehrertexte) erlauben Einblicke in die komplexen Prozesse des Lehrens und Lernens. Der Dialog über solche Dokumente hilft zum einen die „professionelle Unterrichtswahrnehmung“ von zukünftigen Lehrkräften auszubilden, wie Gießler mit seinem Beitrag zu dem vorliegen Band nachweist. Zum anderen können über Prozesse der Rekonstruktion und Kontextualisierung einzelner Sequenzen nicht nur Brücken zwischen unterrichtlicher Praxis und theoretischen Konzepten geschlagen, sondern auch begründete Alternativen gemeinsam entwickelt werden. Lehrerbildung hat so die Chance, den sozialen Ort Klassenzimmer mit seinem dynamischen Geschehen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Die intensive Auseinandersetzung mit dokumentiertem Unterricht kann es zukünftigen Lehrkräften erleichtern, die widersprüchlichen Anforderungen von Praxis zu erkennen und auch zu handhaben (etwa das Nichtplanbare zu planen). Unter welchen Bedingungen das gelingt, gehört allerdings zu jenen Fragen, die der empirischen Erforschung harren. Es leuchtet unmittelbar ein, dass eine systematische Arbeit mit dokumentiertem Fremdsprachenunterricht in diskursiv-dialogischen Formen und im Lichte von Theorien und Konzepten erfolgen muss, damit Studierende eine multiperspektivisch informierte Sichtweise auf das Fremdsprachenklassenzimmer entwickeln. Die Arbeitsformen müssen zugleich integraler Bestandteil der Lehr- und Lernarchitektur sein und den jeweiligen Ausbildungsphasen entsprechen; so wird der Dialog über Unterricht im Kontext einer Einführungsvorlesung ein anderer sein, als der nach dem Fachpraktikum. Zweifellos sind in der Ausbildungspraxis an vielen Standorten Spielarten dialogischen Lernens entwickelt, erprobt und gelegentlich auch dokumentiert worden. Die forschungsbasierte Diskussion steckt jedoch noch in den Anfängen, weshalb den Beiträgen von Knorr und Abendroth-Timmer/Schneider in diesem Band unter diesem Gesichtspunkt ein besonderes Gewicht zukommt. Für den Bereich der Fortbildung sei in diesem Zusammenhang noch einmal auf die Studie von Wipperfürth (2016) verwiesen, die den Austausch in Lerngemeinschaften bereits praktizierender Lehrender untersucht, sowie auf den Beitrag von Mohr/Schart. 3.3 Der beobachtete und praktizierte Unterricht Fachpraktika werden seit Jahrzenten als Kernelemente des Professionalisierungsprozesses verstanden, ihre praktische Realisierung jedoch in den wenigen vorliegenden Studien massiv kritisiert; eine gelungenere Verknüpfung von Theorie und Praxis wird ebenso bezweifelt wie die Annahme, Praktika hätten positive Effekte auf die Entwicklung der Reflexionskompetenz der Studierenden (Gabel 1997; Elsner 2010; Hascher 2012). Fachpraktika, die an vielen Standorten mittlerweile zu Praxissemestern erweitert wurden, könnten jedoch als organisierende Mitte des Studiums fungieren (Schocker-v. Ditfurth 2001), wenn mindestens zwei Bedingungen erfüllt sind: (1) wenn die verschiedenen Phasen des Praktikums (Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung) nicht nur aufeinander bezogen sind, sondern „durch fokussierte Impulse, Aufgaben und Materialien Lerngelegenheiten zur Entwicklung reflexiver Handlungskompetenz“ anbieten (Schädlich 2015: 260) und dabei Formen des forschenden Lernens nutzen; (2) wenn sie sowohl in die Lehrpraxis der bildungswissenschaftlichen Anteile des Studiums als auch in die Lehre der Fächer integriert sind. Die verschiedenen Erscheinungsformen von Unterricht, als geplanter, beobachteter und selbst gehaltener bilden den zentralen Gegenstand der gemeinsamen Arbeit, der sich allerdings nur in dialogisch-diskursiven Lernformen entfaltet. Solche gilt es zu systematisieren und ihre Bedeutung für die Kompetenzentwicklung zu untersuchen (vgl. Schädlich 2015). Ergänzend zum Praktikum, in dem die Studierenden zunächst einmal die Routinen des Regelunterrichts erkunden und sich verständlicher Weise bei ihren ersten Schritten als Lehrende in die vorgefundenen Bedingungen einpassen müssen, sollen hier Formen dialogischer Praxis erwähnt werden, in denen Studierende in der Masterphase mit Lehrkräften kooperierender Schulen gemeinsam Unterrichtsprojekte planen und teilweise realisieren und dabei Handlungsspielräume ausloten können; der geplante und praktizierte Unterricht wird Gegenstand forschenden Lernens (Schocker-v. Ditfurth/Legutke 2002; Legutke 2003). Lernplattformen wie Moddle und Ilias erleichtern solche Formen der Kooperation; ein vielversprechendes Forschungsfeld für zukünftige Untersuchungen zur Entwicklung von Professionalität (Benitt/Schmidt 2016). 3.4 Der antizipierte Unterricht Auch in den einzelnen Phasen der schulpraktischen Studien spielt natürlich der antizipierte Unterricht (als Plan, Entwurf, als Ensemble von Themen, Texten und Aufgaben) eine Rolle und ist damit auch Gegenstand der gemeinsamen Arbeit. Wir wollen hier jedoch auf jenen antizipierten Unterricht fokussieren, der im Zusammenhang von Mastermodulen und ihren Arbeitsarrangements, den zentralen Gegenstand fachdidaktischen Bemühens ausmacht. Gemeint sind die Ideen und Pläne, die die Studierenden beispielsweise im Zusammenhang mit literarischen Texten, mit landeskundlichen Themen, mit der Erörterung von Lernaufgaben oder der Schulung bestimmter Teilkompetenzen entwickeln, präsentieren und unter Rückgriff auf fachwissenschaftliche und fachdidaktische Wissensbestände begründen. Wir weisen der dialogischen Befassung mit antizipiertem Unterricht aufgrund unserer Lehrerfahrung eine Schlüsselfunktion für die Ausbildung von Professionskompetenz zu, wohl wissend, dass die konkreten Formen des Dialogs bestenfalls anekdotisch oder als Erfahrungsberichte zugänglich sind und bislang einen weißen Fleck in der akademischen Lehre darstellen. Und das gilt im Übrigen für die Hochschullehre insgesamt (vgl. Legutke 2013). 3.5 Der Unterricht an der Hochschule Die Räume an der Hochschule, in denen angehende Fremdsprachenlehrkräfte lernen, dürfen nicht mit den schulischen Klassenzimmern gleichgesetzt werden, in denen Fremdsprachenunterricht stattfindet. Gleichwohl weisen beide Lernorte in ihren jeweiligen Settings, ihren Lernanlässen, Aufgaben, Unterstützungssystemen und Interaktionsformen viele Parallelen zueinander auf. Hochschulen sind als Lernorte zur Professionalisierung dazu prädestiniert, ihr Verhältnis zu den künftigen beruflichen Aufgaben der Studierenden immer wieder aufs Neue zu bestimmen. In jeder Lehrveranstaltung sollten die Zusammenhänge von Inhalten und Prozessen transparent gemacht werden, indem die Ausgestaltung als gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten konzipiert und kontinuierlich reflektiert wird. Dabei kommt es entscheidend auf die didaktischen Kompetenzen der Hochschullehrkräfte an: Alle bisher skizzierten Formen dialogischen Lernens setzen nämlich Lehrende an der Hochschule voraus, die sich ihrer Modellfunktion bewusst sind und ihre Lehrtätigkeit der kritischen Reflexion zugänglich machen; sie stellen damit ihre eigene Lehre (inklusive der didaktischen Begründungen zur Auswahl der Inhalte, der Sozialformen und Aufgaben, aber auch die konkret vorgenommen Inszenierungen im Lernprozess) als Professionalisierungsangebot zur Verfügung. Trotz kontextbedingter Unterschiede (Universität und Schule) bietet der Unterricht an der Hochschule unverzichtbare Möglichkeiten der Entwicklung von Professionskompetenz (Wissen und Können), wenn den Differenzen und der strukturellen Analogie der Lernorte Rechnung getragen wird: so werden Primarschullehrkräfte, die sich mit dem Potenzial narrativer Texte (etwa Bilderbücher) beschäftigen, nicht nur im Microteaching das Storytelling üben, sondern sich auch der Herausforderung stellen müssen, Geschichten in der Fremdsprache zu erzählen, die sprachlich und strukturell ihren kognitiven Möglichkeiten entsprechen; Studierende werden auf Seminarebene in kooperativen Prozessen arbeiten und größere und längerfristige Projekte durchführen und durch die systematische Bearbeitung der Erfahrungen, Herausforderungen und Möglichkeiten von Lerngemeinschaften (communies of practice)erkunden. Die berechtigte Annahme ist, dass damit Bedingungen geschaffen werden, damit zukünftige Lehrkräfte in analogen Kontexten angemessene und entsprechende Lernprozesse inszenieren können (Legutke 2013). Es ist kein Geheimnis, dass die hier angesprochenen Zusammenhänge „so etwas wie die black box der akademischen Lehrpraxis“ ausmachen (Schädlich 2015: 259). Zu dieser Black Box in den Fremdsprachendidaktiken gehört nicht zuletzt auch der universitäre Fremdsprachenunterricht. Sollte man nicht annehmen und erwarten dürfen, dass er auf Hochschulebene ein zukunftweisendes Modell liefert, das nicht nur die sprachlichen Kompetenzen der Studierenden auf hohem und höchstem Niveau schult, sondern zugleich didaktisch und methodisch dem Diskussionsstand der Profession entspricht? 4 Fazit und Ausblick Die Reformen der letzten 15 Jahre führten zu einer fast flächendeckenden Umstellung der Lehrerbildung im deutschsprachigen Raum auf BA/MA-Programme, die ideologisch der Kompetenzorientierung folgen. Zugleich wurden Lehrbildungszentren an den Hochschulen geschaffen, die sich die Aufgabe stellen, Curricula zu harmonisieren und Transparenz zwischen fachdidaktischen, fachwissenschaftlichen und bildungswissenschaftlichen Ausbildungsanteilen herzustellen. Dennoch ist die Feststellung sicher nach wie vor zutreffend, dass die Integration der verschiedenen Wissensdimensionen immer noch weitgehend den Studierenden überlassen bleibt. Daraus entstehen, wie Roters zutreffend diagnostiziert „Diskrepanzerfahrungen“ (Roters 2012: 273), die, so ist zu vermuten, vielfach unbearbeitet bleiben und die Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses stören könnten; theoretische Konzepte und praktisches Handeln werden als unvereinbar wahrgenommen, neue Handlungsmöglichkeiten nicht als Alternativen in die Handlungsinventare integriert. Andererseits zeigen die in diesem Band versammelten Beiträge, dass Bewegung in die fremdsprachendidaktische Professionsforschung gekommen ist, deren Ergebnisse möglicherweise auch eine Veränderung der Strukturen (zumindest langfristig) zur Folge haben könnten. Auf jeden Fall deuten erste Ergebnisse darauf hin, dass sich in der Aus- und Fortbildung von Fremdsprachenlehrenden Prinzipien durchzusetzen beginnen, die für den Fremdsprachenunterricht selbst bereits seit langem gefordert werden. Dazu gehören Konzepte handlungsorientierten, aufgabenbasierten und problemlösenden Unterrichts, bei denen Lern- und Anwendungssituationen zusammengeführt werden. Dazu zählt die Überzeugung, dass das Potenzial von Interaktion in Lerngemeinschaften umfassend genutzt werden sollte, und es zugleich geschützter Räume bedarf, damit Lernende sich für das Experimentieren mit Neuem öffnen. Und nicht zuletzt können dazu auch das reflektierte Erfahrungslernen und Ansätze forschenden Lernens gerechnet werden, die eine distanziert abwägende und verstehende Sicht auf das Unterrichtsgeschehen und das eigene Lernen schulen. Die weitere Entwicklung der Aus- und Fortbildung hängt somit in besonderer Weise davon ab, inwieweit es der Fremdsprachendidaktik gelingt, ihre Konzepte eines modernen Fremdsprachenunterrichts auf die Lehr- und Lernsituationen an den Hochschulen zu übertragen. Forschungen zur Lehrerbildung sollten sich diesem Prozess intensiver zuwenden als das bisher geschehen ist. Die Beiträge des vorliegenden Bandes verdeutlichen, wie unterschiedlich die Themenstellungen und Forschungsperspektiven sind, die sich dabei ergeben. So widmen sich zu Beginn die Studien von Hoinkes/Weigand und Kirchhoff dem Problem einer angemessenen Konzeption der Kompetenzdomänen von Lehrenden und deren empirischer Erforschung. Es folgen die Beiträge von Abendroth-Timmer/Schneider, Diener und Gießler, die diese Überlegungen konkretisieren, indem sie an lokalen Ausbildungsarrangements darstellen, wie sich die Kompetenzentwicklung im Rahmen von Hochschulunterricht vollziehen kann. Die sich daran anschließenden beiden Beiträge führen uns an die Schnittstelle zwischen universitärer Ausbildung und unterrichtlicher Praxis an den Schulen. Während Knorr Prozesse der kollektiven Unterrichtsplanung bei Tagespraktika schildert, nehmen Gerlach/Steininger in ihrem Beitrag verschiedene Aspekte des Vorbereitungsdienstes in den Blick. Den Abschluss des Bandes bilden vier Beiträge, die in der Fort- und Weiterbildung verortet sind. Heinrich und Jöckel beleuchten dabei Programme für Englischlehrende, die auf deutlich umrissene Kompetenzbereiche zielen (kooperatives Lernen in den Sekundarstufen I und II, Schreib- und Lesekompetenz in der Grundschule) und daher zeitlich eng begrenzt sind. Die Programme, die von Benitt und Mohr/Schart untersucht werden, sind auf eine umfassende Kompetenzentwicklung von Lehrenden für Englisch in der Primärstufe bzw. Deutsch als Fremdsprache angelegt. Es handelt sich um mehrsemestrige Programme, in denen Elemente des forschenden Lernens einen zentralen Bestandteil der Konzeption bilden. In der Zusammenschau erbringen die Beiträge dieses Bandes vielfältige Evidenz für die Annahme, dass ein reflexives und dialogisches Lernen, das sich eng an den Anforderungen unterrichtlichen Handelns orientiert, die Aus- und Fortbildung von Lehrenden verbessern kann. Sie ermöglichen Einblicke in die Bedingungen, unter denen eine nachhaltige Kompetenzentwicklung von Lehrenden gefördert wird. Die Black Box Lehrerbildung beginnt sich zu öffnen. 5 Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar (2011). Reflexive Lehrerbildung: Konzepte und Perspektiven für den Einsatz von Unterrichtssimulation und Videographie. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung22/1, 3–41. 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