Eric Fuß / Maria Geipel
Das Wort
A. Francke Verlag Tübingen
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E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-8233-0073-1
1 Einleitung
1.1 Auf die Überzeugungen kommt es an1
Dreh- und Angelpunkt des Unterrichts ist die Lehrperson, denn sie stellt Lernangebote bereit, die von Schülerinnen und Schülern genutzt werden. Um diese Herausforderung meistern und sich kritisch mit schulpraktischen Fragen auseinandersetzen zu können, sind neben fachlichem, fachdidaktischem und pädagogischem Wissen auch die eigenen Überzeugungenentscheidend. Sie beziehen sich ähnlich wie Wissensstrukturen z.B. auf Gegenstandsbereiche und Methoden des Unterrichtsfaches oder auch auf das Selbstbild als (zukünftige) Lehrperson. Überzeugungen, was guten oder schlechten Unterricht auszeichnet oder welche Schülerreaktionen zu bestimmten Themen zu erwarten sind, bilden sich jedoch nicht erst innerhalb des Studiums, sondern bereits während der eigenen Schulzeit heraus, denn zu kaum einem anderen Beruf konnte man so viele Eindrücke sammeln wie zu dem der Lehrperson. Im Gegensatz zum Wissen werden die eigenen Überzeugungen als subjektiv wahr und wertvoll eingestuft, auch wenn dies – aus objektiver Perspektive – nicht unbedingt zutreffen muss. Unabhängig von ihrem tatsächlichen Richtigkeits- und Wahrheitsgrad filtern sie die Aufnahme neuer Informationen: Das, was in Einklang zu den bereits vorhandenen Überzeugungen steht, wird leichter und vor allem nachhaltiger gespeichert. Überzeugungen können sich also – ja nach Ausprägung – positiv, aber auch negativ auf das Lernen, Denken und Handeln auswirken (vgl. u.a. Reusser/Pauli/Elmer 2011; Lohmann 2006).
Besonders im Bereich der Grammatik ist die bewusste Beschäftigung mit den eigenen Überzeugungen unumgänglich, denn eine Vielzahl der künftigen und bereits berufstätigen Lehrpersonen verbinden mit Grammatikunterricht recht einseitige und vor allem negative Erfahrungen, wenn sie an ihre eigene Schulzeit zurückdenken:
„[Den Grammatikunterricht habe ich während meiner eigenen Schulzeit] eher als stupide und langweilig empfunden. Da das Lehrpersonal von Jahr zu Jahr wechselte herrschte kein Konsens über die Anforderungen im Bereich Grammatik. Vieles wurde nicht richtig verstanden und in der Oberstufe übergangen.“ (Proband ISW)2
„[Grammatikunterricht habe ich] nur sporadisch erhalten (u.a. durch einige Lehrerwechsel). Selbst die Lehrer_innen vermittelten den Eindruck, es sei ein ihnen unliebsames Thema.“ (Proband KSW)
„[Den Grammatikunterricht habe ich] wenig interessant gefunden. Stupides bearbeiten der Aufgaben, farbiges markieren von verschiedenen Wortarten. Immer gleich und langweilig. Auch unsere Lehrerin zeigte kein großes Interesse.“ (Proband IRW)
„Ganz ehrlich: es war doch nur ein auswendiglernen von Dingen, die uns von oben, also Merksätzen oder Lehrerin aufgedrückt wurden und wo wir nicht wussten, warum das jetzt eigentlich so ist. Transparenz null. Wir mussten es einfach irgendwie machen.“ (Proband PJK)
Positive Erinnerungen sind meist an gute Noten, motivierende Lehrerinnen und Lehrer oder einen abwechslungsreichen Unterricht geknüpft. Wird Grammatikunterricht als wenig kreativ und lästig verkauft, werden Schülerinnen und Schüler kaum eine entdeckende und positiv gestimmte Haltung dazu entwickeln. Für (angehende) Lehrpersonen ist es daher umso wichtiger, die eigenen Erinnerungen, Überzeugungen und mitunter auch Vorurteile kritisch zu hinterfragen und diese nicht auf potenzielle Schülerinnen und Schüler zu übertragen:
„[Schülerinnen und Schüler finden Grammatikunterricht] wahrscheinlich ähnlich wie ich selbst eher langweilig (Proband ULW); schwer, unnötig, überflüssig (Proband SUW); eher langweilig und belastend, [denn es] gibt selten Schüler die es wirklich interessiert.“ (Proband MAW)
Befragt man Lernende3, zeigt sich ein deutlich differenzierteres Bild:
„Ich finde, dass Grammatik ein interessantes Thema ist, da mir das Thema einigermaßen liegt. Naja, er [der Grammatikunterricht] wird zu einseitig gestaltet und man muss immer auf die Leute warten, die es ewig nicht begreifen.“ (Proband G1)
„Die Grammatik die zwar sinnvoll ist aber zu viele regeln hat und ein zu großer teil davon in Noten verlangt wird“ (Proband G9)
„Eigentlich gern, aber manchmal nicht gern weil wenn die Lehrerin die ganze Zeit spricht und es Langweilig wird.“ (Proband R8)
„Gern nur dann wenn wir auch drüber reden und nicht nur unterstreichen. Manchmal denke ich das ich auch recht habe und versteh nicht warum das jetzt falsch ist.“ (Proband R20)
Nicht der Gegenstand an sich ist mit Langeweile, Abneigung oder Angst besetzt, sondern vielmehr beeinflusst die Art und Weise, wie die Lehrperson den Unterrichtsstoff aufbereitet und schließlich vor der Klasse auftritt, die Wahrnehmung, die Motivation und letztendlich das Lernen der Schülerinnen und Schüler. Schließlich „geht es im Grammatikunterricht nicht um ein ängstliches Befolgen von Regeln und Vermeiden von Fehlern, sondern um ein beobachtendes und spielerisches Entdecken der Sprache und der Muster, die sie zusammenhalten“ (Granzow-Emden 2013: 2).
Um die bemängelten fachlichen Inkonsequenzen oder das stupide Abarbeiten von grammatischen Proben zu vermeiden und stattdessen solche Konzepte zu vermitteln, die Systemeinsichtenund Sprachreflexionermöglichen, braucht es Überzeugungen, die den Erwerb fachwissenschaftlichen Wissensunterstützen, denn ohne dieses Wissen können fachdidaktische Überlegungen kaum zielführend angestellt werden: Erst muss der Gegenstand durchdrungen werden, um dann die richtigen Fragen zur schulpraktischen Umsetzung stellen und diese auch angemessen beantworten zu können. Für die Lektüre des Bandes gilt es daher,
sich die Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit bewusst zu machen
Abstand von Vorurteilen zur Unterrichtsgestaltung und zu Schülerreaktionen zu nehmen
den eigenen Einfluss auf den Lernerfolg und die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu bedenken und vor allem
sprachwissenschaftliche Konzepte als Ausgangspunkt für die Diskussion von sprachdidaktischen Gesichtspunkten anzuerkennen.
In den sprachdidaktischen Abschnitten wird exemplarisch vorgeführt, worin der Mehrgewinn besteht, wenn bei schulpraktischen Überlegungen explizit auf Fachwissen Bezug genommen wird. Auch wenn nicht alle Themenbereiche aufgegriffen werden können, so lassen sich allgemein übertragbare Denkstrukturen und Herangehensweisen ableiten, die den eigenen Lernprozess unterstützen und auch das Unterrichten erleichtern.
1.2 Der Gegenstandsbereich des Bandes
Wenn man danach fragt, woraus eine Sprache besteht, so lautet eine gängige Antwort: Aus Wörtern. Das mag daran liegen, dass Wörter die Bestandteile einer Sprache sind, die uns am ehesten zugänglich erscheinen. Dass dies keineswegs selbstverständlich ist, zeigt sich, wenn wir eine fremde Sprache hören, die wir nicht verstehen. In diesem Fall nehmen wir keine einzelnen Wörter wahr, sondern hören nur einen kontinuierlichen Lautstrom, der an- und abschwillt, hin und wieder seine Tonlage ändert und von einigen Pausen zum Luftholen durchzogen ist – tatsächlich sind wir nur dann in der Lage, eine lautliche Äußerung in individuelle Wörter zu zerlegen, wenn wir über gewisse Kenntnisse in der betreffenden Sprache verfügen. Dies zeigt uns, dass die Wahrnehmung und Identifizierung von Wörtern wesentlich davon abhängt, dass wir die Bedeutung der Äußerung (zumindest teilweise) erkennen können. Bei Wörtern handelt es sich also um Informationseinheiten, die eine bestimmte Bedeutung mit einer lautlichen Repräsentation verknüpfen. Darüber hinaus enthalten Wörter Informationen über ihr syntaktisches Verhalten, d.h. über mögliche oder notwendige Kombinationen mit anderen Wörtern. So wird es den meisten Sprechern des Deutschen klar sein, dass ein Wort wie
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