Trotz seiner Nähe zum Volkstheater hat der Humor von Grabbe, der von Roy C. Cowen auch als ein „Meister des Grotesken und Tragikomischen“24 bezeichnet wird, oft nichts Heiteres wie bei Platen, sondern ist verzweifelt, desillusioniert und voller Verachtung. Zwar ist die Verwandtschaft von Aschenbrödel zu Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung durch die Streichungen verborgen, doch wenn Grabbe letzteres ein „Lachen der Verzweiflung“25 nennt, trifft dies auch wesentlich auf sein Märchenstück zu.26 Auch die Hauptfiguren in Aschenbrödel stellen die Karikatur einer unzulänglichen und verblendeten Gesellschaft dar.27 Obgleich vor allem in der ersten Fassung eine potentiell vielschichtige Anlage und einzelne gelungene Szenen vorhanden sind, konnte Aschenbrödel seinerzeit nicht überzeugen und wird auch heute noch für seine insgesamt eher ungeschickte Handlungsentwicklung kritisiert.28 Nichtsdestotrotz schließt Grabbes Märchenadaptation in den aufgezeigten Aspekten eloquent an die von Gozzi und Tieck begründete Gattung des satirischen Märchendramas an.
II.2 Ausnahmen und Gegenbewegungen
Nach Platen und Grabbe pausierte die satirische Märchenbearbeitung in der deutschsprachigen Dramatik mit Ausnahme von Robert Walsers Lesedramen für etwa ein Jahrhundert. Nennenswert sind allerdings zwei Märchenadaptationen des Österreichers Johann Nestroy im Wiener Volkstheater: 1832 entsteht dessen Satire Nagerl und Handschuh oder die Schicksale der Familie Maxenpfutsch . Neue Parodie eines schon oft parodierten Stoffes in 3 Aufzügen , die sich auf zwei zeitgenössische Aschenbrödel -Opern bezieht. Vier Jahre später schreibt er die märchenhafte Posse Die beiden Nachtwandler oder Das Notwendige und das Überflüssige , welche inhaltlich sehr verwandt mit Grimms Das Märchen vom Fischer und syner Frau ist.
Grundsätzlich handelt es sich jedoch bei Nestroys Märchenstücken um Parodien der Werke seiner Zeitgenossen und weniger um eine direkte Adaptation der Märchen. So geht etwa die Wahl der Märchen nicht auf ihn selbst zurück; vielmehr bedient er sich der Stoffe, die seine Kollegen und Kolleginnen für sich entdeckt haben und greift diese auf, um sich ironisch mit einer zeitgenössischen Theaterästhetik und der Wiener Gesellschaft auseinanderzusetzen. Durch die direkte Übernahme seinerzeit populärer Bühnenstoffe wirkt die intendierte Satire noch unmittelbarer, da die konkreten Bezüge so nicht zu übersehen sind. Es wäre aber verfehlt, Nestroys Märchenoperparodien mit den Märchensatiren von Tieck, Platen und Grabbe in eine direkte Linie zu stellen.1
Der auffällig lange dramenliterarische Dornröschenschlaf wurde zwar um 1900 durch ungewöhnlich viele Märchenbearbeitungen im Drama unterbrochen, allerdings sind diese oft durch den Symbolismus bzw. durch den charakteristischen mythischen Ausdruck einer literarischen Neoromantik geprägt.2 Diese sympathisieren im Zuge einer Besinnung auf die ‚deutsche’ Kultur mit Mystik und Metaphysik.3 Hierzu zählen Eberhard Königs Gevatter Tod (1900), Herbert Eulenbergs Ritter Blaubart. Ein Märchenstück in drei Aufzügen (1905) und Hans Schönfelds Joringel und Jorinde. Ein Märchenspiel in 5 Akten (1922), die direkte Märchenadaptionen sind. Die genannten Märchenstücke sind im Unterschied zu vorherigen Bearbeitungen durch keinerlei satirische Komponenten gekennzeichnet.
Stattdessen handelt es sich um dramatische und ungebrochene Nacherzählungen der jeweiligen Märchen, die alle einen ausgeprägten Hang zur Verinnerlichung, formal zu allegorischen Szenen und inhaltlich zu transzendenter (Selbst-)Erfahrung der Figuren aufweisen.4 Die Autoren suchten „keine Objektivität […], sondern Weltanschauung, nicht überklugen Materialismus, sondern Mystik, nicht Tagespolitik, sondern Ewigkeitswerte, nicht Wirklichkeit, nicht Arbeiterelend, sondern Vornehmheit und Pracht, nicht Häßlichkeit, sondern Schönheit, nicht Abklatsch der Wirklichkeit, sondern Stilisierung, nicht Alltag, sondern Außergewöhnliches“5, so fassen es Jost Hermand und Richard Harmann treffend zusammen.
Diese lyrischen Märchendramen stellen eine evidente Ausnahme, wenn nicht sogar eine erhebliche Gegenbewegung zu satirischen Bearbeitungen dar – die These, dass Märchenbearbeitungen im Drama eine Affinität zu satirischen Formen aufweisen, ist daher nur eingeschränkt gültig. So ist zwar bei späteren Märchendramen, auf die ich noch eingehen werde, eine auffällige Tendenz zur satirischen Adaptation zu beobachten, allerdings werden die gerade genannten Werke in diesem Sinne nicht greifbar und bilden demnach eine partiell eigenständige Traditionslinie. Ob sie andere typische Züge, die bei Märchendramen vermutet werden, aufweisen, wird in den folgenden Kapiteln überprüft werden.
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