Die satirische Behandlung stützt sich nicht auf eine Kritik des Märchens an sich, vielmehr wird das Märchen als Form genutzt, um mithilfe seiner spezifischen Eigenarten Satire zu betreiben – als Sujets der kritischen Auseinandersetzung zeichnen sich bei den Märchendramen implizit oder explizit vorausgesetzte gesellschaftliche Normen und Diskurse ab. Zudem werden oftmals als solche von den Autorinnen und Autoren wahrgenommene Theaterkonventionen durch die ‚naive’ Perspektive des Märchens in Frage gestellt.
Um den satirischen Zugriff der Märchendramen im Hinblick auf diese Hypothesen zu untersuchen, werde ich sie sowohl formal und inhaltlich als auch der Veröffentlichung der Märchendramen chronologisch folgend vorstellen. Der Zeitraum der vorliegenden Stücke umfasst beinahe 200 Jahre; daher kann eine Einordnung der Märchendramen in den jeweiligen historischen Kontext sowie eine Übersicht der theaterpraktischen und theoretischen Diskurse in diesem Rahmen nur skizzenhaft erfolgen.11 Indem der Fokus auf den satirischen Mitteln der einzelnen Dramen liegt, werden allein die zeit- und kulturgeschichtlichen Hintergründe aufgegriffen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der satirischen Dimension der Texte stehen.
Es geht mir weniger darum, einzelne Werke und ihre Autorinnen und Autoren im Kontext ihrer Zeit vorzustellen; vielmehr möchte ich die Entwicklung und die Zusammenhänge der satirischen Tradition des Märchendramas im deutschsprachigen Raum aufzeigen. In diesem Sinne liegt das Augenmerk auf den Tendenzen der satirischen Disposition, ihrer spezifischen Ausprägung im Märchendrama und ihren Verwandtschaften untereinander. Ausgehend von Gozzi und Tieck lässt sich so eine Übersicht der märchenhaften Satirestücke geben.
Zu bedenken ist, dass eine derartige Suggestion den Blick auf die einzelnen Stücke verändert: Im Zuge der gemeinsamen Befragung könnten satirische Tendenzen dominanter interpretiert werden, als sie sich unabhängig voneinander darstellen würden. Um einer verzerrten Interpretation entgegenzuwirken, werde ich nicht nur auf die unterschiedliche Ausprägung der Märchensatiren und Märchendramen mit satirischen Elementen, sondern auch kurz auf Ausnahmen und Gegenbewegungen eingehen. So kann nicht zuletzt auch ein besserer Überblick der Märchendramen gegeben werden.
II.1 Komik und Ironie in Märchendramen des 19. Jahrhunderts
August von Platen: Der gläserne Pantoffel. Eine heroische Komödie in fünf Akten (1823)
Mit seinem Gläsernen Pantoffel 1 hat Platen formal Tiecks Verfahren der Märchendramatisierung übernommen, wobei er als erster deutschsprachiger Autor zwei heterogene Märchen in einem Drama zusammenlegt – Perraults La Belle au bois dormant (zu Dt. Dornröschen ) und Cendrillon ou la petite pantoufle de vair (zu Dt. Aschenputtel ).2 Seine Märchenkomödie hält sich dabei eng an die beiden Märchenvorlagen und weist wie bei Tieck zahlreiche Anspielungen auf Shakespeares Werk auf.3
Doch wenn auch zweifellos von Tieck inspiriert, geht Platen grundsätzlich in eine andere Richtung als dieser, wie auch Uwe Japp konstatiert: „Während nämlich Tieck das Nichtzusammengehörende zusammenbringt, um aus der offenkundigen Asymmetrie den Witz hervorgehen zu lassen, investiert Platen einen nicht unerheblichen intellektuellen und metrischen Aufwand, um dem Disparaten den Anschein poetisch legitimierter Plausibilität zu verleihen.“4 Platens Märchendrama nimmt sich einerseits der wundersamen Handlung beider Märchen an und schmückt diese szenisch aus, andererseits begrenzt es die märchenhaften Elemente zugunsten komödiantischer Szenen, denen Tiecks satirische Schärfe fremd ist.
Inhaltlich gestaltet sich dies in Platens Adaptation so, dass ein König zwei Söhne hat, die auf Brautschau gehen sollen. Während sich der eine in das hundert Jahre alte Bildnis einer Fremden (Dornröschen) verliebt, tanzt der andere auf einem Ball mit Aschenbrödel. Diese ist von ihrer Patin, einer Fee, für das Fest von ihrem ansonsten durch die Stiefmutter fremdbestimmten Leben befreit worden. Wie im Märchen muss sie den Ball verlassen, ohne dem Prinzen, der ihr bereits ganz ergeben ist, ihre Identität zu offenbaren. Dem Prinzen bleibt nur ihr gläserner Schuh, den sie auf dem Ball zurücklässt. Währenddessen schläft die Königstochter Dornröschen, ebenfalls ein Mündel der Fee, vergessen in einem zerfallenen Schloss. Im Verlauf des Stückes finden schließlich beide Paare mit der Hilfe der Fee und ihres supranaturalen Gefolges auf mehr oder weniger märchenhafte Weise zusammen. Vorab jedoch sehen sich Aschenbrödel und der Prinz unter den skeptischen Blicken des verzweifelnden Königs und den spöttischen Kommentaren der anderen einigen Hindernissen ausgesetzt; die schlafende Dornröschen ahnt hingegen nichts von ihrem Verehrer.
Der süffisante Ton, den Der gläserne Pantoffel aufweist, lässt sich vor allem an der Figur des Hofnarren Pernullo festmachen, denn dieser erinnert stark an Shakespeares Narrentypus und subtil an Gozzis gewitzte Buffoni.5 Seine emotionalen Szenen erhält das Stück, wie Gozzis Fiabe , primär durch das Leiden und Aufbegehren der jungen Liebenden. So etwa wird der Moment, in dem Prinz Diobat die schlafende Dornröschen findet, als schaurig anmutenden Szene ausgebaut:
DIOBAT Hier könnten Mörder ihren Raub verscharren,
Durch nichts entdeckt; es würde mit dem Beile
Der Henker stets auf ihre Häupter harren.
Doch, was ist das, vor dem ich hier verweile?
Ein roter Vorhang, sinkt herab mit Quasten,
Befestiget an lange, goldne Seile.
Soll hinter diesem jene Dame rasten?
O Gott! Was schlägt mein Herz mir an die Rippe?
Und was vermag ich nicht, ihn anzutasten?
Vielleicht verbirgt er nichts als ein Gerippe
Mit hohlen Augen, die mir finster grollen,
Daß mir der Hauch erstarrt auf meiner Lippe!
Wo nicht, so birgt er einen Sarg, verquollen
Durch langes Alter, rötlich angestrichen,
Mit schwarzem Kreuz und runden, schwarzen Stollen.
Allein, was gilt’s, und wenn sie auch erblichen?
Was ist der Tod? Dem Tode trotzt das Leben,
Das ewig lächelnde dem fürchterlichen!
O Diobat! Du hast verlernt, zu beben!
Geht nicht im Christenvolk die große Sage,
Daß auch die Toten sich zuletzt erheben? […]6
Die Kontraststrukturen sind vergleichbar mit denen in Gozzis Werk: Während sich die adeligen Märchenpaare auf die Suche nach einander begeben und sich in Abenteuern bewähren müssen, sorgen die von Platen zugefügten Figuren der Untergebenen für unterhaltsame Szenen – so etwa wenn Prinz Astorf Pernullo bittet, ihm bei der Suche nach der verschwundenen Aschenbrödel zu helfen:
ASTOLF Sage nur, wie man der Verlorenen auf die Spur kommen kann!
PERNULLO Durch Spürhunde!
ASTOLF Immer diese Spitzfindigkeiten!
PERNULLO Sie sind keine für Euch, wenn Ihr die Spitze findet.
ASTOLF Wenn ich nur wüßte, wo ich sie suchen sollte?
PERNULLO Die Spitze meiner Spitzfindigkeiten?
ASTORF Nein, die Prinzessin.
PERNULLO Ich will euch suchen helfen.7
Ähnlich wie Gozzi personifiziert Platen hierzu die romantisch leidenden Protagonisten und kontrastiert sie durch sprachlich saloppe und gewitzte Nebenfiguren, die deren Handeln hinterfragen. So wird das dramatisch reizvolle Potential an fantastischen Elementen voll ausgeschöpft; dabei belässt es der Autor jedoch nicht, sondern betont mit der teils kritischen, teils freundlichen Kommentierung der schematisierten Märchenfiguren und ihrer unrealistischen Handlungen eben deren märchentypische Künstlichkeit. Ebenso wie bei Gozzi ist die distanzierte Haltung gegenüber der zuweilen naiven Fraglosigkeit der Märchenhelden eindeutig den unadeligen Figuren zugeteilt. Dabei zeichnet sich in den selbstbewussten Kommentaren Pernullos eine gewisse Skepsis gegenüber einer als weltfremd wahrgenommenen Aristokratie ab. Im vierten Akt etwa äußert er sich teils kritisch, teils amüsiert über die Leiden der beiden verliebten Prinzen:
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