1 ...6 7 8 10 11 12 ...22 Im Tht. und im Soph. wird die Verbindung von Denken und Sprechen betont.48 Beide Komponenten können nicht voneinander getrennt werden, weil sie ihrem Wesen nach zusammengehören, denn das Denken ist der innere Dialog der Seele mit sich selbst.49
(3) Im Phaidros50 wird eine Sprachskepsis ersichtlich. Vor allem gegen Sprache in schriftlicher Form erhebt der platonische Sokrates erhebliche Zweifel:
Δεινὸν γάρ που, ὦ Φαῖδρε, τοῦτ᾽ ἔχει γραφή, καὶ ὡς ἀληθῶς ὅμοιον ζωγραφίᾳ. Καὶ γὰρ τὰ ἐκείνης ἔκγονα ἕστηκε μὲν ὡς ζῶντα· ἐὰν δ᾽ ἀνέρῃ τι, σεμνῶς πάνυ σιγᾷ. Ταὐτὸν δὲ καὶ οἱ λόγοι· δόξαις μὲν ἂν ὥς τι φρονοῦντας αὐτοὺς λέγειν· ἐὰν δέ τι ἔρῃ τῶν λεγομένων βουλόμενος μαθεῖν, ἕν τι σημαίνει μόνον ταὐτὸν ἀεί. Ὅταν δὲ ἅπαξ γραφῇ, κυλινδεῖται μὲν πανταχοῦ πᾶς λόγος ὁμοίως παρὰ τοῖς ἐπαΐουσιν, ὡς δ᾽ αὕτως παρ᾽ οἷς οὐδὲν προσήκει, καὶ οὐκ ἐπίσταται λέγειν οἷς δεῖ γε καὶ μή. (Phaidr. 275d-e)
Denn das, Phaidros, ist offenbar das Ärgerliche bei der Schrift und macht sie in der Tat vergleichbar der Malerei: Auch die Erzeugnisse der Malerei nämlich stehen da, als wären sie lebendig; fragst du sie aber etwas, so schweigen sie in aller Majestät. Und genauso ist es mit den geschriebenen Texten: Du könntest meinen, sie sprechen, als hätten sie Verstand; fragst du aber nach etwas von dem, was sie sagen, weil du es verstehen willst, so erzählt der Text immer nur ein und dasselbe. Und ist er erst einmal geschrieben, treibt jeder Text sich überall herum und zwar in gleicher Weise bei denen, die ihn verstehen, wie bei denen, für die er nicht paßt, und er weiß nicht, zu wem er reden soll und zu wem nicht. (Phaidr. 275d-e)51
Es sollten deshalb nur Überlegungen schriftlich aufgezeichnet werden, wenn sie der eigenen Erinnerung als „ὑπόμνημα“52 dienen. Als Kommunikations- und Informationsmittel kann lediglich der mündliche Dialog ernst genommen werden.53 Während Platon im Kratylos die Ansicht kritisiert, dass man Erkenntnis allein durch Wörter gewinnen kann, richtet sich seine Skepsis im Phaidr. auch auf eine mögliche Erkenntnisvermittlung durch geschriebene Sprache.54 Noch höher gewertet als der Dialog wird das Denken (νοεῖν), das Platon als „λόγον ὃν αὐτὴ πρὸς αὑτὴν ἡ ψυχή διεξέρχεται περὶ ὧν ἂν σκοπῇ“55 (eine Rede, welche die Seele bei sich selbst durchgeht über dasjenige, was sie erforschen will) versteht.
Der Siebte Brief56 formuliert die Kritik gegenüber der Sprache noch expliziter, indem Platon ein fünfstufiges Erkenntnismodell erläutert. Die ersten drei Stufen der Erkenntnis einer Sache sind für Platon ὄνομα (Name), λόγος (Erklärung) und εἴδωλον (Abbild). Die vierte Stufe ist ἐπιστήμη (Wissen), also die Erkenntnis an sich;57 unter der fünften Stufe ist der Gegenstand der Erkenntnis, also die ἰδέα (Idee) zu verstehen. Die einzige Möglichkeit, zur Erkenntnis zu gelangen, ist der Durchgang durch die ersten Stufen, da dies bei weisen Menschen zu einer plötzlichen Erkenntnis der Idee des Gegenstandes führen kann. Wer in einem Gespräch jedoch auf die Idee verweist, der wird sich nach Platons Ansicht lächerlich machen, weil die unfähigen Menschen solches nicht verstehen.58 Sie werden nicht durch den Durchgang der ersten Erkenntnisstufen an Einsicht gewinnen, auch nicht durch die Hilfe von sprachlichen Mitteln, denn die Idee kann nicht in Worten (und keinesfalls in der Schrift) erfasst werden.59 Damit ist die Sprachskepsis Platons nicht mehr nur auf die schriftliche Sprache bezogen, sondern richtet sich auch auf gesprochene Worte. Auch sie werden als Mittel, um zur Erkenntnis zu verhelfen, in Frage gestellt, da das Wort nicht geeignet ist, um das Sein einer Sache hervorzubringen.60 Platon spricht der Sprache trotz seiner Kritik aber nicht jeglichen Nutzen ab. Er ist gewillt, Möglichkeiten zu benennen, wie die Defizite bezüglich der Erkenntnis durch Sprache behoben werden können: So nennt er beispielsweise ein dauerhaftes Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler, eine enge Beziehung des Rezipienten mit der behandelten Sache oder Frage-Antwort-Spiele, die zu gegenseitiger Widerlegung führen können.61 Der λόγος dient bei Platon als sicheres Erkenntnismittel, nicht die mündliche oder schriftliche Sprache;62 deshalb spielt er in den platonischen Dialogen eine bedeutende Rolle.63 Er ermöglicht es den Menschen weiterhin, Gegenstände nicht direkt betrachten zu müssen, sondern das Wesen der Dinge im λόγος erblicken zu können.64 Es wurde bereits im Soph. deutlich, dass der λόγος einen Wahrheitsanspruch besitzt. Aus diesem Grund kommt ihm bei der philosophischen Wahrheitssuche eine zentrale Rolle zu, und von daher versteht sich der Philosoph als Freund des λόγος.65 In ihm ist der Zusammenhang von Sprachen und Denken verankert, den Platon als wechselseitig zu vollziehenden Prozess sieht, der zur Erkenntnis führt.66 Um diese und um die Kommunikation darüber geht es dem platonischen Sokrates, nicht um den Sieg in einem Gespräch. Der λόγος ermöglicht es Menschen, ihr Wissen freizusetzen und mitzuteilen. Dies alles wird nicht im Monolog, sondern vorrangig im Dialog erreicht; deshalb ist der mündliche Dialog für den platonischen Sokrates das ausschlagende Mittel, um zur Erkenntnis zu gelangen.67 Die Dialogpartner erinnern (ἀνάμνησις) sich während eines Dialogs gegenseitig an ihr ‚Ideenwissen’.68 Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die Gesprächspartner mit Begriffen arbeiten, die sie verstehen.69 Übereinstimmung ist also als wichtiger Bestandteil des λόγος zu werten.70
(4) Die Fragestellungen und Problemaufrisse, die Platon in seinen Dialogen bietet, haben das sprachphilosophische Denken der Folgezeit maßgeblich beeinflusst. Die Theorien der natürlichen und konventionellen Entstehung von Sprache werden in hellenistischer Zeit unter den Begriffen der Analogie und der Anomalie wieder aufgegriffen. Die Anomalisten sehen den Zusammenhang von Bezeichnendem und Bezeichnetem, der bei Platon nicht im Blick ist, als naturgegeben an, während die Analogisten die Ansicht vertreten, dass dieser Zusammenhang auf Konventionen beruht.71 In der mittelalterlichen Scholastik wird die Diskussion erneut aufgegriffen. Erst Ferdinand de Saussure schafft mit der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens ein neues Paradigma.72 Das Interesse an den Etymologien des Krat. blieb kontinuierlich erhalten. Die Etymologien werden von der Stoa an bis ins 19. Jh. hinein thematisiert und bearbeitet.73 Für die weitere sprachphilosophische/sprachwissenschaftliche Arbeit ist auch das von Platon angelegte Semiotikmodell bedeutend. Die Unterscheidung zwischen Referenz und Bedeutung eines Wortes greift beispielsweise Gottlob Frege auf, die Differenzierung zwischen äußerer Lautgestalt und innerer Wortform spiegelt sich in den Theorien von Ferdinand de Saussure und Noam Chomsky wieder, die Vorstellung von der Sprache als Werkzeug findet sich im Organonmodell Karl Bühlers. Das im Soph. entwickelte Satzmodell Platons wird die Grundlage der entstehenden Grammatiken. Es wird erstmals von Augustin aufgegriffen und weiterentwickelt.74
Zusammenfassung:
Platon überwindet das Denken, dass zwischen Wort und Sache eine Einheit besteht, wie Heraklit dies annahm. Für Platon bildet das Wort nicht mehr direkt den Gegenstand ab. Der Bezug zwischen Wort und Sache wird durch die neu eingeführte Komponente der Idee hergestellt. Die Namen sind demnach keine Abbilder der realen Dinge, sondern der Ideen. Dadurch entsteht das dreiteilige Modell von Wort, Sache und Idee. Die Ideenlehre wird in Krat. angedeutet, ist dort aber noch nicht vollständig entfaltet. Im Krat. setzt sich Platon intensiv mit der Verhältnisbestimmung von Wort und Sache und der Frage auseinander, ob die Sprache ihre Legitimation von Natur aus (φύσει) oder durch Konvention/Übereinkunft (ὁμολογία/συνθήκῃ) erhalten hat. Dabei ist in vorplatonischer Zeit und bei Platon selbst noch nicht von dem Gegensatz φύσει-θέσει die Rede, der φύσει-These werden die eben genannten Termini gegenüber gestellt.75 Eine eindeutige Position kann für Platon nicht ausgemacht werden.76 Dies spielt insofern keine Rolle, als der Dialog – auch ohne zu einer Entscheidung für oder gegen eine Theorie zu kommen – wichtige Einblicke in das sprachphilosophische Denken und die zentrale Fragestellungen gibt.
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