1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 Sprache erfährt aber eine Abwertung, weil die Erkenntnis dem Bereich der Logik zugeordnet wird, und auch die Erkenntnisfunktion wird ihr abgesprochen.77 Die ἰδέα wird zum Gegenstand der Erkenntnis. Die Sprache selbst kann erst einen Bezug zur Erkenntnis gewinnen, wenn in ihr eine Idee zum Ausdruck gebracht wird. Als direktes Erkenntnismittel aber fungiert bei Platon der λόγος.78 Für den λόγος selbst wird ein enger Zusammenhang von Denken und Sprechen angenommen, der in einem Prozess zur Erkenntnis führen kann. Die These des Parmenides, dass es Nichtseiendes nicht geben kann, wird widerlegt, weil der λόγος Seiendes mit Nichtseiendem verbinden kann; auch ein falscher Aussagegehalt einer sprachlichen Äußerung wird nun als möglich angesehen.79 Die Ansicht Heraklits, dass eine Notwendigkeit besteht, nach der alles in Bewegung ist, wird entkräftet; wenn dem so wäre, könnte aufgrund von wechselnden Wortbedeutungen keine Kommunikation erfolgen. Weil dies aber der Fall ist, muss es „Fixpunkte“80 geben. Als einen solchen bestimmt Platon den λόγος.
Während der Fokus im Krat. auf dem Verhältnis von Wort und Sache liegt, verändert Platon im Tht. und Soph. den Blickwinkel. Sprache wird nicht mehr nur als Wort wahrgenommen, sondern auch auf Satzebene thematisiert. Der λόγος wird im Soph. als Satz bestimmt, der durch die Verbindung einzelner Ideen Wahrheit hervorbringen kann. Es wird also nicht mehr einzelnen Wörtern ein Wahrheitsgehalt zugesprochen, sondern Sätzen. Als Neuerung Platons gegenüber Heraklit und Parmenides ist zu sehen, dass Wörter auch einen falschen Aussagegehalt haben können.
Auch Aristoteles (384–322 v. Chr.) hat kein dezidiert sprachphilosophisches Werk verfasst. Er beschäftigt sich dennoch v.a. in der Schrift Περὶ ἑρμηνείας/De interpretatione1 mit Sprache, so dass anhand dieses Traktats die sprachphilosophischen Gedankengänge von Aristoteles herausgearbeitet werden können. Verschiedene Aspekte sind in den Blick zu nehmen: (1) Aristoteles bestimmt das sprachliche Zeichen als σύμβολον. Es ist zu erläutern, wie dies zu verstehen ist und was der Ausdruck παθήματα τῆς ψυχῆς bedeutet. (2) Im Anschluss daran kann nach dem aristotelischen Verständnis von ὄνομα und nach der Wendung κατὰ συνθήκην gefragt werden. In beiden Themenkomplexen wird der Standpunkt des Aristoteles bezüglich der φύσει-θέσει-Theorie aufgegriffen. (3) Weiterhin wird das aristotelische λόγος-Verständnis dargestellt, von welchem ausgehend sich der Fokus auf den Wahrheits- und Falschheitsgehalt von Sätzen richtet. (4) Zuletzt rückt Aristoteles als Realist in den Blick.
(1) Aristoteles interessiert sich für verschiedene sprachliche Relationen, die im Lauf der Untersuchung thematisiert werden. Mit einer Relation beschäftigt er sich allerdings nicht, und das ist diejenige, die die Sprachphilosophie bis dahin bestimmt hat, nämlich das Verhältnis von Laut und Gegenstand. Aristoteles stellt eine neue Frage: Er fragt nicht mehr, warum es Namen gibt und ob eine Entsprechung von Wort und Sache vorliegt, sondern wozu es Namen gibt und worin ihre Funktion für den Menschen besteht. Es reicht Aristoteles nicht aus, einen Namen als solchen zu bestimmen, indem man annimmt, dass Laute etwas ausdrücken, das von den Menschen interpretiert werden kann.2 Aristoteles schreibt dem Wort zu Beginn von Herm. daher eine Symbolfunktion zu:3
Ἔςι μὲν οὖν τὰ ἐν τῇ φωνῇ τῶν ἐν τῇ ψυχῇ παθημάτων σύμβολα, καὶ τὰ γραφόμενα τῶν ἐν τῇ φωνῇ. καὶ ὥσπερ οὐδὲ γράμματα πᾶσι τὰ αὐτά, οὐδὲ φωναὶ αἱ αὐταί. ὧν μέντοι ταῦτα σημεῖα πρώτως, ταὐτὰ πᾶσι παθήματα τῆς ψυχῆς, καὶ ὧν ταῦτα ὁμοιώματα, πράγματα ἤδη ταὐτά. (Herm. 16a 3–8)
Nun sind die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme ein Symbol [σύμβολον] für das, was (beim Sprechen) unserer Seele widerfährt, und das, was wir schriftlich äußern, (ist wiederum ein Symbol) für die (sprachlichen) Äußerungen unserer Stimme. | Und wie die Buchstaben nicht bei allen (Menschen) dieselben sind, so sind auch die stimmlichen Laute nicht (bei allen) dieselben].4 Die seelischen Widerfahrnisse [παθήματα τῆς ψυχῆς] aber, für welche dieses (Gesprochene und Geschriebene) an erster Stelle ein Zeichen [σημεῖον] ist, sind bei allen (Menschen) dieselben; und überdies sind auch schon die Dinge, von denen diese (seelischen Widerfahrnisse) Abbildungen sind, (für alle) dieselben. (Herm. 16a 3–8)
Stimmliche Äußerungen werden von Aristoteles als σύμβολον bezeichnet. Der Begriff muss dabei von der Semantik des Verbs her verstanden werden. Συμβάλλειν heißt zusammenwerfen; so werden in einem Symbol zwei Sachen zusammengeführt. Bezüglich der vorliegenden Thematik ist dies das gesprochene Wort, das mit den παθήματα τῆς ψυχῆς zusammengebracht wird. Das σύμβολον wird durch das σημεῖον näher erklärt. Das Zeichen macht auf eine zusätzliche Komponente aufmerksam, die nicht im Zeichen selbst enthalten ist. Von seiner Semantik her kann auch σύμβολον Zeichen bedeuten. Vor diesem Hintergrund kommt Hennigfeld zu der Feststellung: „Aristoteles faßt das Wort als ein Zeichen (sýmbolon), über das man sich so geeinigt hat, daß man dadurch jemandem etwas anzeigen, ihn auf etwas verweisen kann (semaínein)“5. Die Symbolfunktion der Sprache steht bei Aristoteles im Vordergrund, nicht etwa der Bezug der Sprache zum Denken. Es liegt im aristotelischen Fokus, sich der Wörter und ihrer Symbolfunktion zu bedienen, um Dinge zu verdeutlichen. Die menschliche Sprache als soziales Phänomen wird damit besonders betont und der Sprache als Kommunikationsfunktion wird Bedeutung verliehen.6
Der angeführte Text aus Herm. wirft eine weitere Frage auf, die in das Zentrum des aristotelischen Sprachverständnisses führt: Wenn stimmliche Äußerungen ein Symbol für die παθήματα τῆς ψυχῆς sind, was ist dann unter diesen zu verstehen? Hennigfeld spricht sich dafür aus, παθήματα als Eindrücke anzunehmen,7 die die Seele von außen aufnimmt und anschließend in einer stimmlichen Äußerung zugänglich macht.8 Weidemann fügt dem hinzu, dass „unter den fraglichen Dingen nicht nur Dinge im engeren Sinne dieses Wortes zu verstehen sind (…), sondern in Entsprechung zu diesen verschiedenartigen Gedanken verschiedene Arten von Dingen in einem weiteren Sinne dieses Wortes“9. Besonders wichtig erscheint dabei, dass die παθήματα „einen Bezug zu den Dingen haben und nicht subjektiv willkürlich sind“10. Aristoteles jedenfalls sieht das im sprachlichen Ausdruck Gesagte bereits als Vorstellung im Geist vorhanden.11
Aristoteles weist erstmals in der Geschichte der Sprachphilosophie direkt die Unterscheidung zwischen Ausdrucks- und Inhaltsseite des sprachlichen Zeichens auf, indem er zwischen φωνή und παθήματα τῆς ψυχῆς differenziert, zwischen beiden aber trotzdem einen Bezug herstellt, indem die Stimme die Erlebnisse der Seele zum Ausdruck bringt.12 Der Laut verweist also auf die παθήματα τῆς ψυχῆς. Diese sind allen Menschen gleich und haben als Abbilder der Dinge einen Bezug zu den Dingen selbst.13 Mit Hilfe der Wahrnehmung wird von den Dingen ein Bild erzeugt, das über ein sprachliches Zeichen ausgedrückt wird.14 Wie ein Wachsabdruck, den man von einem Ring nimmt, dessen Abbild zeigt, aber nicht das Objekt selbst enthält, so ist das Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Gegenstand zu erklären.15 Aristoteles wird zum Begründer des sog. semiotischen Dreiecks, das v.a. für die Sprachwissenschaft des 20. Jh. bedeutend wird, indem er das sprachliche Zeichen (ὄνομα) in Signifikant/Ausdruck (φωνή) und Signifikat/Inhalt (πάθημα) unterteilt.16 Er betrachtet nicht die Relation zwischen φωνή und Sache (in der Grafik gestrichelt markiert), sondern zum einen diejenige zwischen φωνή und πάθημα, zum anderen diejenige zwischen Gegenstand und ὄνομα (bestehend aus Laut und Inhalt/Bedeutung).17 Die folgende Grafik kann diese Verhältnisse verdeutlichen:
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