Eines Abends unterhielt ich mich auf einer Dinnerparty mit einer Neurologin und erwähnte beiläufig, dass ich die Farbe Blau im linken Auge etwas anders wahrnahm als im rechten; rechts sah ich sie etwas heller als links. Das schien sie zu interessieren.
„Sie werden eines Tages an Multipler Sklerose erkranken“, sagte sie. Es war das erste Mal, dass das jemand ausgesprochen hatte. Am nächsten Morgen starb mein Vater, und so gingen ihre Worte im Chaos der Trauer unter. Erst Jahre später erinnerte ich mich wieder an diese prophetische Bemerkung.
Als meine Frau Jackie beobachtete, dass ich offenbar einen merkwürdigen Gang hatte, glaubte ich ihr nicht. Ich bemerkte es nicht einmal, bis sie darauf bestand, ein paar Kilometer zu Fuß bis zum nächsten Kiosk gehen, um ein Eis zu kaufen. Als wir zurückkamen, zog ich meinen linken Fuß wie einen Sandsack nach. Ich konnte meine Zehen nicht bewegen. Ich war erschöpft, mir war schlecht und ich hatte Angst. Ich machte einen Termin bei meinem Arzt.
Viele Menschen, die schließlich mit der Diagnose Multiple Sklerose konfrontiert werden, machen ähnliche Erfahrungen. Die Symptome entwickeln sich langsam über viele Jahre hinweg, und es kann weitere Jahre dauern, bis die Diagnose feststeht, wenn sich körperliche Probleme manifestieren und offen zutage treten.
In den folgenden Wochen unterzog ich mich zahlreichen Untersuchungen und fürchtete mich vor jedem Ergebnis. Zu manchen gehörten Blitzlichter und Signaltöne, zu anderen mehr Strom und noch mehr Schmerzen. Mir wurde Blut abgenommen, immer und immer wieder. Ich sagte wenig und ängstigte mich sehr. Alle Ergebnisse waren negativ, und doch war klar, dass mit mir etwas nicht stimmte.
Schließlich waren wir bei der letzten Untersuchung angekommen, der Lumbalpunktion. Sollten sich Proteine, die sich als oligoklonale Banden darstellen lassen, in der Spinalflüssigkeit, dem Liquor, befinden (ein Hinweis auf erhöhte Antikörperwerte), würde das den Verdacht auf Multiple Sklerose stützen. Fiele jedoch auch dieser Test negativ aus, hieße das, dass wahrscheinlich eine „idiopathische Rückenmarksdegeneration“ vorläge (das bedeutet, dass man die Ursache nicht kennt). Angesichts der langen Liste potenzieller Krankheiten, mit denen ich konfrontiert war, erschien mir dies noch als die beste Option. Ich schöpfte Hoffnung.
Als ich am nächsten Morgen aufstand, wusste ich, dass die Ergebnisse in meiner Patientenakte waren. Ich konnte durch Fernzugriff an meinem Computer zu Hause Einblick in die Krankenunterlagen der Klinik nehmen. Ich rief die Laborergebnisse auf. Positiv. Ich stand auf. Ich ging auf und ab. Zwei Stunden später loggte ich mich wieder ein und sah noch einmal nach. Fünfmal machte ich das, in der Hoffnung, meine Ergebnisse würden sich noch verändern. Doch sie blieben gleich.
Nun war es also offiziell: Ich hatte Multiple Sklerose.
Im Sommer 2000 zog ich mit Jackie und meinen Kindern von Marshfield in Wisconsin nach Iowa. Man hatte mich zur Assistenz-Professorin an der Universität von Iowa ernannt und ich sollte eine leitende Funktion im Allgemeinkrankenhaus für Angehörige und ehemalige Angehörige der US-Streitkräfte übernehmen. Meine Multiple-Sklerose-Diagnose war noch nicht lange her. Ich nahm das MS-Medikament Copaxone® ein, das mein Arzt mir verschrieben hatte, und ich verließ mich in Bezug auf alle Behandlungsentscheidungen voll und ganz auf meine Ärzte. Als Medizinerin war ich darauf konditioniert zu glauben, dass die Ärzte es am besten wissen. Und was wusste ich schon über Multiple Sklerose? Das war nicht mein Fachgebiet. Ich ließ mich von den Besten des Fachs behandeln und erhielt die besten Medikamente, die es gab, also nahm ich an, dass ich alles Menschenmögliche tat.
Ich hatte mir fest vorgenommen, dass meine Diagnose keinen Einfluss auf meine neue Tätigkeit haben sollte. Ich hatte eine Führungsposition mit vielen Herausforderungen übernommen und liebte diese Arbeit. Es machte mir Spaß zu unterrichten, und die Kinder blühten in ihrem neuen Heim auf. Ich fand, dass ich mich ziemlich tapfer schlug, und meine Ärzte fanden das auch. Ich begann mir sogar vorzustellen, dass mein Zustand sich nicht verschlechtern würde. Ich meinen kühnsten Träumen verheimlichte ich die Multiple Sklerose sogar meinen Kindern.
Dann ließ die Kraft im rechten Arm und in der Hand nach. Man verschrieb mir Steroide zur Unterdrückung der Immunreaktion, und meine Kraft kehrte langsam zurück, doch das war der Beginn einer zwar langsamen, aber fortschreitenden Verschlechterung. Ich konnte es sehen, Jackie konnte es sehen und die Kinder sahen es auch. Inzwischen hatten sie zugegeben, dass es ihnen manchmal peinlich war, mich um sich zu haben, weil meine Beweglichkeit immer schlechter wurde. Manchmal wünschten sie sich, ich würde nicht an ihren Aktivitäten teilnehmen, und dann hatte ich Schuldgefühle, weil ich trotzdem dabei sein wollte. Es war eine Belastung für die ganze Familie, und ich fühlte mich dafür verantwortlich. Das war alles meine Schuld. Ich sollte die Familie ernähren und war nach und nach immer weniger in der Lage, mit meinem eigenen Körper zurechtzukommen. Dabei waren seit der ersten Diagnose erst zwei Jahre vergangen.
Dann geschah etwas, das mein Leben veränderte. Im Jahr 2002 stellte meine Neurologin fest, dass mein Zustand sich allmählich verschlechterte und verwies mich auf die Internetseite des Gynäkologen und promovierten Philosophen Dr. Ashton Embry ( www.direct-ms.org ; nur in englischer Sprache). Der Sohn von Dr. Embry war an MS erkrankt und sein Zustand besserte sich nach einer Ernährungsumstellung so eindrucksvoll, dass Dr. Embry sich für die Erforschung der Verbindung zwischen Ernährung und Multipler Sklerose einsetzte. Davon hatte ich bislang nichts gehört – oder es war zumindest das erste Mal, dass mich das Konzept aufhorchen ließ. Obwohl es ein wenig nach „Alternativbehandlung“ klang (und als Schulmedizinerin hatte ich nicht viel Vertrauen in etwas, das ich als Außenseitermedizin betrachtete), doch der Vorschlag kam schließlich von meiner Neurologin, also nahm ich das Ganze ernst. Ich beschloss, der Sache nachzugehen.
Dr. Embrys Internetseite quoll über von wissenschaftlichen Literaturangaben, die ich nach und nach zu lesen begann. Die Artikel stammten aus seriösen wissenschaftlichen Zeitschriften und waren von Wissenschaftlern angesehener medizinischer Fakultäten verfasst. Das war keine pseudowissenschaftliche „Außenseitermedizin“, sondern seriöse Forschung. Und das Ganze war anspruchsvoll. Vieles spielte sich in Bereichen ab, die außerhalb meiner Fachkompetenz lagen, oder beruhte auf Grundlagenforschung, die nicht zu meiner Ausbildung gehört hatte. Ich hatte Mühe, all das aufzunehmen, und die mit MS einhergehenden Konzentrationsstörungen waren nicht gerade hilfreich. Es gab so viele neue Informationen – wie kam es, dass ich davon überhaupt nichts wusste? Nach intensivem Lesen stellte ich fest, dass Dr. Embry einer großen Sache auf der Spur zu sein schien. Wenn die Ernährung tatsächlich eine wichtige Auswirkung auf MS hätte? Nach all den Jahren, in denen ich meine Gesundheit den Ärzten überlassen hatte und es mir trotzdem fortlaufend schlechter ging, faszinierte mich dieser Gedanke. Ich könnte über meine Ernährung selbst bestimmen. Es schien fast zu einfach und zu gut, um wahr zu sein. Ich musste mehr darüber in Erfahrung bringen.
Auf Dr. Embrys Internetseite las ich zum ersten Mal von Dr. Loren Cordain. Er brachte veränderte menschliche Ernährungsgewohnheiten mit der Entwicklung von Zivilisationskrankheiten in Verbindung. Er hatte eine Reihe von Artikeln veröffentlicht und kurz zuvor ein populärwissenschaftliches Buch herausgebracht: Die Paleo-Ernährung (Deutscher Trainer Verlag 2013), das wesentlich leichter zu lesen war als die technisch-wissenschaftlichen Arbeiten. 1Ich begann Informationen schneller aufzunehmen: Molekulare Mimikry, Barrierestörungen der Darmschleimhaut, Lektin, Immunmodulation (von all diesen Dingen wird später noch die Rede sein). Ich begann zu verstehen, worauf Dr. Embry und Dr. Cordain mit ihren Theorien hinaus wollten. Ich begann zu überlegen, dass die Nahrung einen eher größeren als kleineren Einfluss auf die Funktionsfähigkeit unseres Körpers ausüben könnte.
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